Der Geist Gottes bewegt, er hilft, Konflikte und Unterschiede auszuhalten und auszutragen und er ermutigt weiter zu gehen

Predigt von Bischof Peter Kohlgraf im Pontifikalamt anlässlich der Einweihung des Gemeindehauses Sankt Nikolaus Mainz-Mombach Pfarrkirche Sankt Nikolaus, Mainz-Mombach, Sonntag, 19. Mai 2019

Datum:
So. 19. Mai 2019
Von:
Bischof Peter Kohlgraf

Missionarische Gemeinde sein – dazu ermutigen uns die Texte aus der Apostelgeschichte jedes Jahr zur Osterzeit. Wir hören von Missionaren, die die Gemeinden besuchen und stärken, wir hören von Menschen in den Gemeinden vor Ort, die ihren Glauben leben, und die auf eine Art Gemeinde sind, dass andere Menschen sich vor ihrem Glauben und ihrer Gemeinschaft anziehen lassen. Die Apostelgeschichte verschweigt jedoch nicht, dass es immer wieder auch zu Auseinandersetzungen kommt, zu Konflikten, die geklärt werden müssen, auch zu inneren und äußere Anfechtungen, dass Mutlosigkeit und Verfolgung die oft kleinen Gemeinden in Frage stellen. Es ist gut, dass uns Lukas, der die Apostelgeschichte geschrieben hat, bis heute keine heile kirchliche Welt malt, aber in den vielen unterschiedlichen Erfahrungen den Geist Gottes am Werk sieht – bis heute.

  1. Der Geist Gottes bewegt die Gläubigen zur Mission, zur Verkündigung des Glaubens

Bei meinen Besuchen in den Gemeinden und Dekanaten unseres Bistums höre ich immer wieder die besorgten Fragen, wie es mit dem Glauben und der Weitergabe an die kommenden Generationen gehen könne. Auch ich weiß darauf keine Patentantwort. Aber allein, dass Menschen wahrnehmen, dass es neuer Ideen und neuer Wege, vielleicht auch eines neuen Verständnisses bedarf, macht mir Mut. Vor wenigen Wochen ist eine Studie erschienen, die Prognosen über die Entwicklung der Zahl der Gläubigen in Deutschland entwickelt hat. Die Zahlen sind deutlich. Immer weniger junge Menschen lassen ihre Kinder taufen, und dies nicht aus einer grundsätzlichen Ablehnung der Kirche, sondern auch deswegen, weil sie niemand darauf anspricht. Viele Menschen gehen zur Kirche, erfahren aber wenig Ansprache: etwa die Gruppe der 20-45 Jährigen. Die Studie zeigt, dass der Zustand der Kirchen kein blindes Schicksal ist, sondern auch mit mangelnder Initiative zu tun hat. Mission ist aufgrund historischer Erfahrungen für viele nicht positiv belegt, aber als „Sendung“ in der Nachfolge Christi das Gebot der Stunde. Wie soll das gehen? Ich glaube nicht[1], dass die Christen in den frühen Gemeinden von Tür zu Tür gezogen sind, Pläne und Konzepte geschmiedet haben, oder sich auf die Straßen gestellt haben, um Menschen in Diskussionen zu verwickeln, die sie am Ende für den Glauben an Christus überzeugen. Sie konnten an Jesus Maß nehmen. Jesus ließ sich einladen, er begegnete Menschen, besonders denen am Rande: Zöllnern, Sündern, Kranken und Armen. Die Christusgläubigen ließen sich nun auch einladen von den sogenannten Heiden, deren Häuser ein frommer Jude eigentlich nicht betreten durfte. Mission lief über Begegnung, Gastfreundschaft, Einladungen, Gespräche, die sich aus den Fragen und Themen anderer ergaben. Wie mag es zu derartigen Einladungen gekommen sein? Im Lebensumfeld, bei der Arbeit, in Freundschaften, in Familienkreisen, in vielen alltäglichen Kontakten und Beziehungen begegnen Christinnen und Christen anderen Menschen, sie tragen nicht permanent ihren Glauben vor sich her, aber irgendwann mag die Frage kommen: „Was glaubst du, warum tust du dies oder jenes?“ Menschen ließen sich auf Beziehungen ein und konnten Antwort geben. Sie wussten vielleicht auch nicht auf jede Frage eine Antwort, aber sie werden nicht dadurch überzeugend gewesen sein, dass sie sich über andere erhoben haben. Vielleicht waren sie mit ihren Überzeugungen anregende Gesprächspartner. Mission ist Begegnung, Engagement, auch absichtslose Begegnung. Mission ist keine Überwältigung, sondern überzeugende Beziehungsarbeit. Das setzt natürlich voraus, dass ich mich als Christin oder Christ auch „outen“ kann. Diese Scheu sollten wir ablegen, auch in einer Zeit, in der die Zugehörigkeit zur katholischen Kirche von vielen kritisch gesehen wird.

  1. Der Geist Gottes hilft, Konflikte und Unterschiede auszuhalten und auszutragen

Auch in den frühchristlichen Gemeinden herrscht nicht eitel Sonnenschein. Die Liebe, die Jesus von seinen Jüngern als neues Gebot einfordert, muss nicht überschwängliche Sympathie sein, wohl aber Respekt und ein wertschätzendes Verhalten gerade auch denen gegenüber, die anderer Meinung sind. Es hat nie eine Kirche gegeben, in der nicht auch Recht gesprochen wurde, in der nicht um Regeln und Normen gekämpft wurde. Ein Streit hätte beinahe das Ende der frühen Kirche bedeutet. Der Kreis der Jünger Jesu ist zunächst eine Gruppe innerhalb des Judentums. Die Apostel gehen auch nach der Auferstehung Jesu in den Tempel, sie nehmen am Opfergottesdienst teil, sie hören die Predigt in der Synagoge. Daneben aber gibt es Missionare, die bei den sogenannten Heiden, den Nichtjuden, von Jesus erzählen. Ein frommer Jude kann mit ihnen keine Gottesdienst- und Mahlgemeinschaft pflegen. Denn sie leben nicht nach den Geboten, sie lassen sich nicht beschneiden: kurzum, sie sind kultisch unrein. Aber Missionare, von denen der berühmteste Paulus ist, sind überzeugt, Christus überwindet solche Schranken. Hier kommt es nun zum Streit. Müssen derartige Menschen nicht erst Juden werden, um Christen sein zu können? Kann man mit ihnen gemeinsam essen und beten? Für die einen steht die Wahrheit des Bundes auf dem Spiel. Für Paulus und die anderen die Frage nach der Wahrheit Christi. Er sprengt solche Grenzen. Es ging nicht um ein paar Vorschriften, sondern um die Frage nach der Autorität Christi. Um diese Wahrheit wird sogar heftig gestritten. Da gibt es keine Kompromisse. Paulus geht sogar so weit, dass er Petrus Feigheit vorwirft, als er sich auf die Seite der Traditionellen schlägt. Einen Frieden auf Kosten der Wahrheit Christi kann es für Paulus nicht geben. Einheit der Kirche kann es nur in der Wahrheit geben. Alles andere wäre ein Scheinfriede, der den Menschen nicht weiterbringt. Die Wahrheitsfrage muss er stellen. Die Apostel beraten im sogenannten Apostelkonzil (vgl. Apg 15) und finden einen Kompromiss, dem wir zu verdanken haben, dass wir heute glauben können. Die Heiden müssen nicht Juden werden, in Christus gibt es eine neue Gemeinschaft, ein neues Gottesvolk aus allen Völkern. Man soll nur das meiden, was einen in den Augen der anderen unrein machen könnte: Blut, Ersticktes und Unzucht. In diesem Streit wird etwas Bleibendes der Kirche gesagt: Es darf, ja es muss gestritten werden. Es ist Aufgabe besonders der Apostel, die Wahrheitsfrage wach zu halten. Es geht aber nicht um abstrakte Wahrheiten, sondern um die Frage: Wie können wir den Willen Christi in unserer Zeit, in dieser Welt am besten und eindeutigsten leben? Es wäre verantwortungslos, wenn wir eine solche Frage nicht gestellt bekämen oder uns selbst stellen würden. In den vergangenen Wochen haben in der Kirche engagierte Frauen mit der Aktion Maria 2.0. auf ihre Anliegen aufmerksam gemacht. Ich habe sie eingeladen, ihre Themen in den „synodalen Weg“ einzubringen, die die Bischöfe mit dem ganzen Volk Gottes gemeinsam gehen werden. Wahrscheinlich werden sich am Ende nicht alle Maximalforderungen umsetzen lassen, aber wer weiß, welche Erkenntnisse uns vom Geist geschenkt werden, wenn wir mit Offenheit und Wertschätzung ringen, vielleicht auch streiten. Am Ende werden wir alle aushalten müssen, dass es in der Kirche unterschiedliche Zugänge und Meinungen gibt. Es ist eine Gabe des Geistes, Einheit in der Verschiedenheit zu wahren. Vielleicht müssen wir in der Kirche erst einmal eine gute Streit- und Konfliktkultur entwickeln.

  1. Der Geist ermutigt in der Drangsal

Bedrängnisse sind auch heute deutlich wahrnehmbar. Für mich ist es weniger eine kirchenfeindliche Umwelt, von der ich mich bedrängt oder entmutigt fühle. Es sind eher die inneren Anfechtungen, die auch mich ergreifen, wenn ich manche Realität in der Kirche erlebe. Es sind auch die manchmal entmutigten und auch gleichgültig gewordenen Schwestern und Brüder, die meinen Glauben berühren. Es sind viele Fragen zur pastoralen Zukunft, die ich auch nicht beantworten kann, und bei denen ich das Gefühl habe, manches nicht steuern und beeinflussen zu können. Als Bischof erlebe ich subjektiv mehr Ohnmacht als Machtgefühle. Paulus und Barnabas sprechen den Gläubigen Mut zu, und ermahnen, treu am Glauben fest zu halten, bei allem Ärger, bei allen Fragen und Unsicherheiten. Diese Bitte will ich heute als Bischof auch an Sie und die Gläubigen im Bistum Mainz weitergeben. Der Geist Gottes möge Sie ermutigen, weiter zu gehen, treu zum Evangelium zu stehen, und Christus in Ihr Leben zu lassen. Vor allen Forderungen zur Liebe und Treue ist uns die Zusage geschenkt: Ihr seid geliebt, und Gott bleibt treu.

 

[1] Vgl. zum Folgenden auch Klaus Mertes, Wie aus Hülsen Worte werden, Ostfildern 2018, 126-129.