Der Herr ist mit uns unterwegs, wenn auch oft unscheinbar und den Augen verborgen.

Predigt von Bischof Peter Kohlgraf beim Pontifikalamt am Hochfest des Leibes und Blutes Christi (Fronleichnam) Hoher Dom zu Mainz, Donnerstag, 3. Juni 2021

Busy motion blurred London street scene (c) William | stock.adobe.com
Datum:
Do. 3. Juni 2021
Von:
Bischof Peter Kohlgraf

Vielleicht kann man so den Sinn des Fronleichnamsfestes gut zusammenfassen. Der Herr ist mit uns unterwegs, als Auferstandener, als Lebendiger Herr. Papst Franziskus hat in einer Predigt im April einen einprägsamen Satz gesagt: „Der Glaube ist keine Antiquitätensammlung. Jesus ist nicht eine Gestalt, die längst überholt ist. Er lebt, hier und jetzt. Er begleitet dich jeden Tag.“ (3. April 2021). 

Das Fronleichnamsfest entsteht im 13. Jahrhundert in einer Zeit, in der Theologen über die Art der Gegenwart Christi in der Eucharistie stritten. Wie kann man das verstehen? Manche vertraten ein symbolisches Verständnis, andere setzten das Bekenntnis einer wirklichen leibhaftigen Gegenwart des Auferstandenen dagegen. Das Volk hat diese theologischen Streitigkeiten auf seine Art beantwortet. Während die Theologen über die Art der Gegenwart Christi streiten, setzen Gläubige zunehmend den eucharistischen Herrn in die Monstranz und auf die Altäre: anschauen, um anzubeten und in der Anbetung die Gegenwart des Herrn zu bekennen. Papst Benedikt XVI. wurde einmal in einem Interview gefragt: Sind denn die vielen komplizierten theologischen Gedanken zur Gegenwart Christi in der Eucharistie, die ja auch die Konfessionen bis heute trennen, wirklich notwendig, um das Geheimnis Christi und seine Gegenwart angemessen zu beschreiben? Er hat damals sinngemäß geantwortet: Wie wir es ausdrücken, ist zweitrangig, Hauptsache, die wirkliche Gegenwart des Herrn in der Eucharistie wird geglaubt und angebetet. Gott geht in Jesus Christus die Wege unseres Lebens mit und wartet auf unsere Anbetung, auf unsere liebende Aufmerksamkeit. Bis heute beschäftigen uns die Fragen im ökumenischen Miteinander, und auch im katholischen Bereich ist es mit dem orthodoxen, dem rechtgläubigen Bekenntnis allein nicht getan. Das Bekenntnis und der Empfang der Eucharistie dürfen nicht ohne Folgen bleiben. 

In wohl allen Religionen spielen besondere heilige Orte eine Rolle. Manchmal gehört es dazu, an diese Orte zu pilgern. Ein Christ muss nicht an heilige Stätten pilgern, um ein guter Christ zu sein. Das ist so, weil der lebendige Christus in jeder Kirche gegenwärtig ist, und nicht nur in der Kirche, sondern jeder und jede von uns selbst ist Tempel Gottes, ein Heiligtum, in dem Gott wohnt. Jeder und jede von uns wird in jeder Eucharistiefeier mit der Gegenwart Christi beschenkt. Mehr noch: Er und sie wird verwandelt in den Leib Christi, wird selbst zur Monstranz, zum Tempel Gottes, zum Heiligtum, in dem Christus wohnt. Wir sollen darstellen, was wir feiern und empfangen. Christus gewinnt in uns Gestalt, er bekommt durch uns Hand und Fuß. Eucharistiefeier wurde ja nie so verstanden, dass wir in den Genuss seiner Gegenwart kommen, und damit ist es genug, sondern: Wer Christus empfängt, wird ein zweiter Christus und setzt Christus in der Welt gegenwärtig. Jeder und jede von uns ist sozusagen eine kleine Fronleichnamsprozession in der Öffentlichkeit, eine Monstranz Christi, denn wir werden ja gesandt mit dem Auftrag, unseren Glauben öffentlich zu machen. Die Sendung, Zeugnis zu geben, dass Gott in unserer Stadt wohnt, dass wir sein Heiligtum sind und er den Weg unseres Lebens mitgeht, bekommt jeder von uns. Ein Christ muss nicht an heilige Stätten pilgern, weil Christus in unserer Stadt und in uns wohnt; als Lebendiger, der mit uns geht. Es ist unser aller Aufgabe, dies in den alltäglichen Dingen und Geschäften zu bezeugen und zu leben. 

Ein anderes Wort des Papstes ist mir ebenfalls in guter Erinnerung: Christus klopfe an die Türen unserer Kirchen, um endlich herauszukommen. Normalerweise würden wir am heutigen Fest die Eucharistie durch unsere Stadt tragen, Christus auf die Straßen der Welt bringen. Das fällt heute hier aus. Dennoch klopft auch heute Christus an die Türen unserer Kirchen, um herauszukommen. Damit ist unsere Aufgabe beschrieben. Wir müssen ihn auf die Straße bringen, zu den Menschen, gerade auch in diesen Zeiten. „Jesus zu bewundern reicht nicht aus. Es ist notwendig, ihm auf seinem Weg zu folgen.“ (Papst Franziskus am 28. März 2021). 

In der Diözese Mainz hat es eine Umfrage unter den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern über die Erfahrungen in der Corona-Zeit gegeben. Liturgie spielte eine große Rolle, die Gemeinden waren hier durchaus kreativ. Etwas schwächer waren die Aktivitäten, um auf die soziale Not zu reagieren. Wenn ich heute gefragt werde nach meinen Erfahrungen in den vergangenen Monaten, müsste ich hier den Finger in die Wunde legen. Am Anfang der Pandemie wurden von manchen die eigenen liturgischen Rechte lautstark eingefordert. Wir haben in den vergangenen Monaten gute Wege gefunden. In diesen Forderungen war viel vom „Ich“, von „meinem Recht“ die Rede. Ich kann nicht verhehlen, dass ich manchen gerne nach dem Maß der Nächstenliebe fragen würde, die sich auch in der Sehnsucht nach der Eucharistie zeigen muss. Liturgie, Gottesdienst ohne Liebe und Rücksicht, auch ohne ein Zurückstellen eigener Bedarfe zugunsten anderer ist – vorsichtig gesagt – hoch problematisch. Es ist eine Lehre aus der Pandemie, die wir nicht vergessen sollten. 

„Der Glaube ist keine Antiquitätensammlung. Jesus ist nicht eine Gestalt, die längst überholt ist. Er lebt, hier und jetzt. Er begleitet dich jeden Tag.“ So sagt der Papst. Wir bekommen von Christus alle notwendige Nahrung und Kraft, um seine Nähe an andere weiterzugeben. Diese Nahrung, diese Nähe feiern wir heute. Es ist uns allen zu wünschen, dass wir Christus die Gelegenheit geben, die Räume zu verlassen und auf den Straßen unserer Welt lebendig werden zu können.