Lieber Weihekandidat Benjamin Weis, liebe Festgemeinde!
Der Hirte muss nicht immer nur vor der Herde laufen. „Manchmal muss er in ihrer Mitte bleiben und manchmal hinterher gehen, damit niemand zurückbleibt und sich verirrt.“[1] So beschrieb Papst Franziskus den Hirtendienst des Priesters in einer Predigt bei einer Begegnung mit Bischöfen in Panama 2019.
Bei der Lektüre der heutigen Lesungen kam mir dieses Bild in den Sinn. Die Jünger wollen an der Vollmacht Jesu teilhaben, sie sehen sich als Teilhaber seiner Macht. Er ist das Haupt des Leibes, so der Epheserbrief Leibes (vgl. Eph 4,7-16), und die apostolischen Amtsträger wollen und sollen ihn gegenüber der Gemeinde darstellen. Dieser Gedanke ist in die Ämtertheologie eingegangen. Der Priester hat Vollmacht, indem er im Namen Jesu die Sakramente spendet, Sünden vergibt und insbesondere der Eucharistie vorsteht. Und er hat Macht, indem er den Leitungsdienst auf verschiedenen Ebenen versieht.
Jesus sieht menschliche Macht sehr kritisch. Er weiß um die Gefährdungen der Macht, wenn es nicht mehr um Verantwortung geht, die jemand wahrnimmt, sondern um Selbstbestätigung und Selbsterhöhung. Bereits das Neue Testament weiß um die Gefährdung, dass Macht einen Menschen verändert, dass sie nicht selten egoistisch macht und zu einer Art Sucht werden kann, von der man immer mehr haben will[1]. Für den Priester gilt es, sich seiner Verantwortung bewusst zu sein, und einen selbstkritischen Blick zu bewahren. Und es gilt immer wieder, in Jesus Orientierung zu suchen: Jesus wäscht seinen Jüngern die Füße und gibt uns ein Beispiel, wie er sich immer wieder seiner Macht entäußert, um sie in den Dienst der Menschen zu stellen. Insofern ist es für den Priester geradezu lebenswichtig, sich eine kritische Begleitung zu suchen, und sich immer wieder im Gehorsam gegenüber Gott und auch den Menschen zu üben. Wenn er dies zur Lebenshaltung macht, darf er dankbar seine Aufgabe wahrnehmen. Denn es ist etwas Großes, Christus berührbar zu machen, für ihn unterwegs zu sein, ihn darzustellen in Tat und Wort. Sich einerseits zu sagen: „Priester, du bist der Bote, nicht die Botschaft, es geht im Letzten nicht um dich“; andererseits aber seine ganze Person in den Dienst zu stellen. Das macht den Seelsorgeberuf so erfüllend und gleichzeitig entlastend. So muss der Priester sich Glaubwürdigkeit erarbeiten und sich schenken lassen, sie ist ihm nicht allein qua Amt gegeben. Auch er darf sich als schwacher Mensch zeigen und darf sich nicht hinter der Fassade seines Weiheamtes verstecken.
Dennoch zeigt sich Christus gerade stark in zerbrechlichen Gefäßen (vgl. 2 Kor 4,7). Christus handelt selbst durch den Dienst des Priesters. Dies entlastet ungemein und erinnert daran, dass der Priester Werkzeug Christi ist, der in seinem Dienst Christus Hand und Fuß, Herz und Verstand leiht. Wenn der Papst davon spricht, dass es Aufgabe des Hirten ist, immer wieder der Herde voranzugehen, ermutigt er dazu, mit Hilfe des Evangeliums und der Sakramente Orientierung, Hoffnung, Freude und Trost zu schenken. Diese Orientierung muss der Priester selbst ein Leben lang suchen. Daher geht es nicht ohne Gebet, Gottesdienst und die Sakramente, die er sich selbst schenken lassen muss. Es braucht fließende Quellen, aus denen der Priester lebt.
Ich sehe den Priester notwendigerweise auch mitten unter den ihm anvertrauten Menschen. Wir sind als Geweihte im Dienst am Volk Gottes mit dem Volk Gottes unterwegs. Ein Priester kann seine Aufgabe nur gut ausfüllen, wenn er sich als Teil des Volkes Gottes versteht. Er ist nicht qua Amt heiliger oder wertiger. Es ist seine Aufgabe, die Gläubigen zu motivieren, zu ermutigen und zu befähigen, das je eigene Charisma, den je eigenen Glaubensweg zu finden und in Kirche und Gesellschaft einzubringen. Es läuft überall dort in der Kirche schief, wo sich die unterschiedlichen Glieder am Leib Christi als Konkurrenz oder gar als Bedrohung erleben. Es braucht daher die „Synodalität“, d.h. das gemeinsame Gehen des Weges, das gemeinsame Ringen um die Unterscheidung der Geister. Der Priester hat nicht per se den engeren Draht zu Christus oder zum Geist Gottes. Von Anfang der Kirche ging es darum, eine Gemeinschaft des Gebets, des Glaubens und der Nächstenliebe zu leben und zu gestalten.
Die Menschen, in deren Mitte der Priester leben muss, sind nicht nur die getauften Gläubigen. Wir dürfen keine Berührungsängste entwickeln gegenüber den Menschen unserer Zeit, mit ihren Freuden und Hoffnungen, Ängsten und Sorgen. Sicher, die frohe Botschaft ist kein Konstrukt von Menschen, sie ist nicht „von dieser Welt“, aber sie ist für diese Welt. Wir dürfen das Evangelium als etwas Herausragendes und Besonderes verkünden, denn das ist die Frohe Botschaft wahrlich. Aber wir dürfen sie nicht derart in eine kirchliche Sonderwelt, eine theologische Fachsprache und in nichtssagenden Formeln verstecken, dass sie ihre Kraft nicht entfalten kann. Gerade in den sich verändernden kirchlichen Zeiten und Bedingungen ist es meine große Sorge, dass dieses „mitten drin“ immer schwerer möglich sein wird. Es muss aber unser Herzensanliegen sein. Denn auch der menschliche Kontakt, Freundschaften, Begegnungen und auch Konflikte sind notwendige geistliche Erfahrungen im Leben des Priesters.
Es wird Situationen geben, in denen der Priester sich an das Ende der Pilgergruppe stellt. Es kann seine Aufgabe sein, die zu ermutigen, denen manches zu schnell geht, denen die Luft ausgeht in Gesellschaft und Kirche. Er wird sich zu den Letzten begeben müssen, den Abgehängten, die keine Lobby und keine laute Stimme haben. Nicht nur in der Gesellschaft, auch in der Kirche, geben oft die Lauten, die Fitten, die Starken, das Tempo und die Richtung vor. Wir müssen gut achtgeben, dass auch andere zu Wort kommen. Der priesterliche Dienst hat so auch eine prophetische Dimension. So wie die Propheten der Bibel an den einen Gott erinnern und den Gottesglauben untrennbar mit Liebe, Barmherzigkeit und Gerechtigkeit verbinden, muss sich der Priester einmischen in Fragen des Glaubens und Fragen des Lebens.
Der Priester in der Vertretung Christi als Gegenüber, der Priester mittendrin und der Priester in der Sorge um die Schwächeren: Es ist auf ein gutes Gleichgewicht zu achten. Damit es nicht zu einer Überforderung wird, sei an das Wort von Papst Johannes XXIII. erinnert: „Nimm dich nicht so wichtig.“ Zu vielen Themen in der Kirche darf ich aus der Erfahrung sagen, dass die Fähigkeit zur Relativierung des eigenen Wahrheitsanspruchs nicht immer stark ist. An der Verkündigung der Liebe Christi gibt es tatsächlich nichts zu relativieren, doch die eigene Person darf und muss immer wieder zurücktreten und darf auf Christus vertrauen und ihm das eigene Leben in die Hand geben.
Wir wünschen dem Neupriester Benjamin Weiß dieses Gottvertrauen und die Erfahrung von Gemeinschaft, die trägt: die Gemeinschaft mit Christus und die stärkende Gemeinschaft des Volkes Gottes.
1] http://www.vatican.va/content/francesco/de/speeches/2019/january/documents/papa-francesco_20190124_panama-vescovi-centroamericani.html (Abruf am 21.10.2020)
[1] Ich greife zurück auf Philipp Müller, Die Versuchung zur Macht (Vortrag im Erbacher Hof am 16.10.2020), Manuskript liegt vor.