Die Bibel bleibt toter Buchstabe, wenn wir nicht zur lebendigen Bibel, zum lebendigen Wort Gottes werden.

Predigt von Bischof Peter Kohlgraf bei der Pontifikalmesse mit Beauftragungen (Institutio) im Rahmen des Geistlichen Tags der Diakone, Augustinerkirche, Samstag, 1. Dezember

Texttafel Predigt 1 Dezember (c) Bistum Mainz
Datum:
Sa. 1. Dez. 2018
Von:
Bischof Peter Kohlgraf
„Wer die Schrift nicht kennt, kennt Christus nicht.“ Es war der heilige Kirchenvater Hieronymus im 4 Jahrhundert, der dies formuliert hat. Über die Bedeutung der Heiligen Schrift für den Glauben denkt etwa auch Paulus im 2. Timotheusbrief nach. Er mahnt seinen Schüler Timotheus, treu zu den Aussagen der Heiligen Schrift zu stehen, weil in ihr Christus selbst zu uns Menschen spricht.

Dabei ist für den Apostel die Schrift nicht nur eine Information über etwas oder über Gott. Sie ist lebendiges Wort, Begegnung mit Christus selbst, so wie es auch Hieronymus ausdrückt. Die Heilige Schrift lernt man durch das Zeugnis lebendiger Menschen kennen: „Du weißt, von wem du es gelernt hast.“ – sagt Paulus.  Noch vor jedem Kontakt mit dem Buchstaben sind gläubige Menschen die lebendige Heilige Schrift, durch die Christus in unsere Welt hinein spricht. Ich kann mir vorstellen, dass diese Erfahrung viele von uns bestätigen können. Bei der Mainzer Jugendsynode vor wenigen Wochen sprachen viele Jugendliche über ihre Erfahrungen mit Predigten. Es gibt gute und ansprechende Beispiele, aber die Jugendlichen berichteten auch von anderen Erfahrungen. Manche Predigt wird als nichtssagend, formelhaft und wenig persönlich empfunden. Nicht nur Jugendliche können von solchen Eindrücken berichten. Die Bibel bleibt toter Buchstabe, wenn wir nicht zur lebendigen Bibel, zum lebendigen Wort Gottes werden. Ist uns das eigentlich klar, dass wir Gott repräsentieren als Getaufte und Gefirmte, als Lektoren, Diakone und Priester? Dass wir die Bibel glaubwürdig oder unglaubwürdig machen? Noch vor jedem gedruckten Buch sind wir die lebendige Bibel, die die Menschen lesen, so dass sie das Wort Gottes glauben oder ablehnen.
Im Beauftragungsgebet zum Lektorendienst finden sich dazu gute Hinweise. Zunächst einmal sollen wir das Wort Gottes in uns aufnehmen. So lassen wir uns heute auch die Frage stellen, welche Bedeutung die Bibel für unser Leben und unsere Lebensgestaltung hat. Zur Zeit des Hieronymus war es üblich, weite Teile der Bibel auswendig zu kennen. Die Kirchenväter haben auswendig seitenweise aus der Bibel zitieren können, sie lebten wirklich mit dem Wort Gottes. Wenn wir aufgerufen sind, die Bibel zu kennen, geht es allerdings nicht in erster Linie um die Quantität. Es geht darum, das Wort Gottes zu lieben, und wenn es nur wenige Stellen sind, die mich faszinieren. Und die mein Leben prägen. Vor der Priesterweihe war dies mein Primizspruch aus Apg 17,28: „In Ihm leben wir, bewegen wir uns und sind wir.“ Damals stand die Entscheidung für mein Leben an: Kannst du das, willst du das? In dem Wort aus der Apostelgeschichte fand ich mein Vertrauen wieder, dass ich ein Leben lang in ihm sein werden, er mich nie verlassen wird. Ich habe mich in vielen Situationen meines Lebens dann immer wieder an dieses Versprechen erinnert. Zur Bischofsweihe habe ich mich für das Wort vom nahegekommenen Gottesreich entschieden. Auch dieses Wort enthält ein tragendes Versprechen. Gott wirkt in der Welt, in der Kirche. Die Kirche ist kein Selbstzweck, sondern Instrument des Gottesreiches, Zeichen und Werkzeug. Wenn unsere Welt Gottes Welt ist, wenn die Kirche seine Kirche ist, wird er sie nicht verlassen. Ich darf in meinem Leben dieser Gottesherrschaft dienen, mich ihm zur Verfügung stellen. Eigentlich sollte jeder so ein Wort haben, das ihm zum Lebensmotto wird. Wer sich durch einen Bibeltext zum Guten bewegen lässt, hat mehr verstanden als jeder große Theologe, der vielleicht nur über die Bibel nachdenkt. Das Gebet zur Beauftragung formuliert, dass wir das Wort Gottes allezeit erwägen sollen. Ich erinnere daran, dass das Lukasevangelium dies immer wieder von Maria sagt. Sie bewegte das Wort Gottes in ihrem Herzen. So ist sie immer tiefer in die Aufgabe hineingewachsen, die Gott ihr gestellt hat. So sollen wir immer mehr vom Wort Gottes geformt werden. Noch einmal gesagt: so werden wir mehr und mehr zur lebendigen Bibel, zum lebendigen Wort Gottes.
Das II. Vatikanum hat als eine der großen Neuerungen in der Liturgie gefordert, den Tisch des Wortes Gottes in der Eucharistiefeier reicher zu decken. Liebe neue Lektoren, Sie dürfen nun bewusst der Verkündigung dieses Wortes in der Liturgie dienen. Dabei geht es um mehr als um das Vorlesen eines Textes. Es geht darum, etwas weiter zu geben, was in Ihnen lebt. Wer die Schrift nicht kennt, kennt Christus nicht. Wenn wir die Verkündigung Sonntag für Sonntag, Tag für Tag ernst nehmen, dann werden wir selbst zum lebendigen Wort, zur Bibel, die die Menschen lesen. Und das ist die wichtigste Voraussetzung dafür, dass Gottes Wort andere Menschen erreichen kann.
Ähnlich verhält es sich mit dem Dienst an der Eucharistie, zu dem Sie, liebe Kandidaten, heute beauftragt werden. Es geht um mehr als um das Austeilen der eucharistischen Gaben. Christus ermutigt und ruft zum Einsatz des Lebens, zur Hingabe, in seinen Spuren, in seiner Nachfolge. Sie werden das austeilen, was Sie zunächst selbst empfangen haben. Mögen Sie, wie es das Gebet sagt, im Glauben und in der Liebe wachsen. Die Eucharistie ist dazu die wichtigste Nahrung, die wir geschenkt bekommen.
Christus tiefer kennenlernen – dieser Wunsch soll aus diesem Tag hervorgehen. Ich wünsche Ihnen und Ihren Familien, Ihren Gemeinden und Freunden, dass Sie auf diesem Weg gemeinsam gut vorangehen können.