Die Deutungshoheit über das Kreuz

Bischof Peter Kohlgraf äußert sich auf Facebook zur Debatte um die Bedeutung des Kreuzes im öffentlichen Raum

Kreuz über dem Altar im Westchor des Mainzer Doms (c) Bistum Mainz / Blum
Datum:
Mo. 30. Apr. 2018
Von:
Bischof Peter Kohlgraf
Über das Kreuz im öffentlichen Raum wird derzeit heftig und kontrovers diskutiert. Die Debatte ist bereits über vierzig Jahre alt, bricht nur derzeit wieder neu auf (vgl. Ursula Nothelle-Wildfeuer, Ärgerlich konkret. Das Kreuz in der Öffentlichkeit, in: Julia Knop, Ursula Nothelle-Wildfeuer, Kreuzzeichen. Zwischen Hoffnung, Unverständnis und Empörung, Ostfildern 2013, 13-29).

Im Jahr 2011 und erneut 2013  beendeten Urteile des Europäischen Menschenrechtsgerichtshofs einen langen erbitterten Streit um das Kreuz in Schulen. Kreuze dürfen grundsätzlich hängen bleiben und müssen nicht zwangsläufig abgehängt werden aus Rücksichtnahme gegen andersgläubige oder atheistische Schülerinnen und Schüler. Das Kreuz in der Öffentlichkeit verstößt nicht gegen die Menschenrechte oder die Religionsfreiheit anderer. Religionsfreiheit bedeutet nicht „Freiheit von Religion“ in der Öffentlichkeit, sondern das Recht, sich zur Religion öffentlich zu bekennen. Das Religiöse gehört nicht allein in den privaten Raum. Es soll allerdings die Gefahr einer Indoktrinierung ausgeschlossen sein. Als katholische Kirche sind wir immer sehr aufmerksam gegenüber der Versuchung gewesen, das Religiöse aus der Öffentlichkeit auszuschließen. Religionsfreiheit ist ein grundlegendes Menschenrecht, auch das öffentliche Bekenntnis. Dabei ist es wichtig festzuhalten, dass der Staat sich neutral zu verhalten hat gegenüber den Religionen, sofern sie sich dem Grundgesetz loyal gegenüber verhalten. Der Staat setzt keine religiösen Begründungen. Daher haben sich viele Befürworter des Kreuzes im öffentlichen Raum auch vor der aktuellen Diskussion mit einer Deutung des Kreuzes begnügt, es sei Kultursymbol und Ausdruck der christlichen Herkunft zahlreicher Wertegrundlagen unseres Landes. Genauso wurde als Begründung des Kreuzes in den Schulen der pädagogische Wert betont. Beide Begründungen sind für einen glaubenden Christen nicht hinreichend. Den Tod Jesu am Kreuz auf seine kulturellen und pädagogischen Wirkungen zu beschränken, wird dem Kern der christlichen Botschaft nicht gerecht bzw. verkehrt ihn in sein Gegenteil. Jesus ist nicht am Kreuz gestorben, um ein kulturelles oder moralisches Statement zu setzen. Das Kreuz setzt auch in der Öffentlichkeit ein Zeugnis für die christliche Kernbotschaft. Es ist der „Höhepunkt, Konsequenz und Zusammenfassung des Lebens und der Verkündigung Jesu“ (Ebd. 26f.). Es steht für den Gott, der allen Menschen seine Liebe schenkt, ohne Vorleistung, den Gott, der ewiges Leben für alle möchte. Wer das Kreuz ernst nimmt, lässt sich an seine eigene Erlösungsbedürftigkeit und Begrenztheit erinnern und an die aller Menschen. Aus der Liebe Gottes gegenüber allen Menschen, die sich im Gekreuzigten zeigt, ergibt sich die Würde jedes einzelnen. Wenn wir als Kirche grundsätzlich dankbar sind für die Öffentlichkeit unseres Glaubens und seines zentralen Symbols, sollten diejenigen die Deutungshoheit über seinen Symbolgehalt behalten, die sich in der Haltung Jesu anschließen: „Wenn ich von der Erde erhöht bin, werde ich alle an mich ziehen.“ (Joh 12,32). „Es eröffnet und erinnert an Dimensionen, die menschliches Schaffen und Realität übersteigen“ (Ebd. 29). Deswegen passt es nicht, das Kreuz zur Bestätigung menschlicher Politik zu machen, erst recht nicht im Sinne einer Abgrenzung und Exklusion Andersdenkender. Wenn das Kreuz zum Zeichen christlicher Identität werden soll, dann erst in der Übernahme der Zuwendung des Gekreuzigten zu allen Menschen und einer entsprechenden Lebenspraxis.

Zuerst veröffentlicht am 30.4.2018 auf der  Facebook-Seite des Bischofs (facebook.de/bischof.peter.kohlgraf)


Update: 1.5.2018:

Reaktionen zum Beitrag über das Kreuz im öffentlichen Raum
Ich erlaube mir eine kleine Nachbetrachtung zu meinem gestrigen Beitrag über das Kreuz in der Öffentlichkeit. Ausdrücklich wiederhole ich meinen Appell zu einem öffentlichen Bekenntnis, auch mittels der öffentlichen Präsenz durch das Kreuz. Mancher hat meine Position kritisiert, und zeigte sich enttäuscht über den fehlenden Bekennermuts des Bischofs von Mainz. Welche Signalwirkung politische Aktionen haben können, zeigen aber zwei Beispiele von Zuschriften, von denen mich nicht wenige erreichen. Was jemand intendiert, ist das eine. Wie Menschen dies verstehen wollen, ist die andere Seite. 
1. „Ich war froh, dass endlich jemand in politischer Verantwortung in unserem Land das Heft in die Hand nimmt und etwas gegen die „Überfremdung“ sowie das „gottlos werden“ in unserem Lande tut! Ich habe bewundert, mit welcher Selbstsicherheit und auch mit welcher stichhaltigen Argumentation Herr Söder diese Aktion initiierte. Das Vorbildland Bayern war wieder einmal der Vorreiter für eine absolute Notwendigkeit. 
Anstelle ihn nun zu bestärken, stürzt sich nicht nur ein großer Teil der religionslos gewordenen Politiker bzw. der Gesellschaft auf diesen mutigen Mann, sondern nun auch die beiden höchsten Kirchenvertreter unseres Landes, weil er endlich das tat, was gegenüber dem unbeirrten Eindringen des Islam in unser Land dringend notwendig war: zu zeigen, welche tiefe Grundlage unsere alte europäische Kultur wirklich hat. Alle reden nun darüber, welche Bedeutung dieses uralte Symbol des Kreuzes angeblich enthält, obwohl gerade heute keiner mehr weiß, was es damit wirklich auf sich hat.“
2. „Das Kreuz dürfe nicht zu einer Ausgrenzung Andersdenkender verwendet werden", so Ihr Bischof Kohlgraf. So weit, so gut. Wo war eigentlich diese Aussage in den zurückliegenden Jahrzehnten, als Millionen Andersdenkender, nämlich die Atheisten, ausgegrenzt wurden? Keinen Menschen hat dies interessiert. Bei dieser Debatte geht es meiner Meinung nach nicht um Ausgrenzung, sondern einzig und allein um die Befindlichkeiten von Muslimen.“
Noch einmal: nichts gegen ein öffentliches Bekenntnis zum Glauben. Aber die Begegnung mit den Muslimen und den sog. „Gottlosen“ würde ich als Bischof gerne etwas inhaltsreicher ausgestalten. Und das Kreuz als Gegenbild zur Überfremdung: vielleicht ahnen viele, warum mir dies als Christ und Bischof nicht gefällt.