„Die Ernte ist groß“ (Lk 10, 2)

Predigt von Bischof Peter Kohlgraf bei der Eucharistiefeier zur Verleihung der Missio canonica Dom zu Mainz, Donnerstag, 18.10.

Datum:
Do. 18. Okt. 2018
Von:
Bischof Peter Kohlgraf
Liebe Religionslehrerinnen und -lehrer, Schwestern und Brüder! Bittet den Herrn der Ernte, Arbeiter in seine Ernte auszusenden. Die Ernte ist groß. Das heutige Evangelium passt hervorragend zum Anlass der Missio, der Sendung im Namen Jesu und im Namen der Kirche zu den Kindern und Jugendlichen. Die Botschaft Jesu ist hoffnungsvoll und herausfordernd gleichermaßen. Es gibt viel zu tun, heißt seine Botschaft an Sie, und viele Menschen warten auf Sie.

Dabei sind wir alle nicht Herren des Glaubens anderer, sondern stehen im Dienst des Herrn der Ernte. Das ist beileibe keine Randbemerkung. Wir kommen mit der Botschaft eines Größeren. Es ist immer problematisch, wenn sich die Menschen, die im Namen der Kirche kommen, selbst zum Maßstab für andere machen. Religionsunterricht und Glaubensvermittlung finden in der Sendung Jesu, des Herrn, statt. Damit werden sie zum Dienst an den Kindern und Jugendlichen. Im Rahmen der derzeitigen Jugendsynode in Rom hat der Münsteraner Bischof Felix Genn ein ernstes Wort gesprochen. In diesen schwierigen Wochen erinnert er daran: Es gibt nicht nur das Problem sexualisierter Gewalt, sondern auch eine Form religiöser Gewalt gegenüber den uns Anvertrauten, wenn es uns nicht darum geht, ihnen zu einer eigenen Form des Glaubens, zu eigenen Gewissensentscheidungen zu verhelfen, zu eigenem Denken und selbstverantwortetem Handeln, sondern wenn wir unsere Form, unser Denken und Meinen auf sie übertragen wollen. Jesus möchte jedem und jeder einzelnen ein persönliches Angebot machen, wir packen die Jugendlichen und Kinder bitte nicht in eine religiöse Uniform. Es ist ein Beleg für einen guten Religionsunterricht, wenn Sie Widerspruch ernten, wenn sie die Jugendlichen und Kinder zu eigenem Denken anregen. Sie sollen Christus kennenlernen als den persönlichen Wegbegleiter, der die Fragen, Hoffnungen und Ängste ernst nimmt und sie nicht mit einigen hohlen religiösen Phrasen wegwischt. Bereits der Unterricht in den ganz frühen Jahren im Leben eines Kindes muss späterem kritischem Nachfragen standhalten. Wer in der Ernte Jesu arbeitet, fährt also nicht mit der riesigen Erntemaschine durchs Feld, sondern schaut sich die Pflanzen genau an, damit nichts zerstört wird. Wir dürfen hier durchaus selbstbewusst arbeiten. Denn wir haben große Themen im Angebot: Leben und Tod, Liebe und Verantwortung, Schuld und Vergebung, Leistung und Gnade, Hoffnung und Zuversicht, Frieden und Gemeinschaft. Indem wir von Gott erzählen, geben wir den jungen Menschen etwas ganz wichtiges mit, die Möglichkeit, ein Lebenshaus mit einem guten und soliden Fundament zu bauen. Wenn im Unterricht derartige Themen besprochen werden, darf unser Leben unsere Botschaft nicht Lügen strafen. Große Themen, viele unterschiedliche Menschen: die Ernte ist groß!

- Nehmt keine Vorräte mit!

Jesus gibt sehr konkrete, für heutige Menschen etwas verstörende Hinweise auf die Lebensweise seiner Zeuginnen und Zeugen. Wir leben nun nicht mehr in der Zeit der ersten Wanderprediger. Es geht heute nicht um Äußerlichkeiten, die den Ernst und die Glaubwürdigkeit der Botschaft belegen. Das Leben muss jedoch mit der Botschaft übereinstimmen. Kinder und Jugendliche merken schnell, ob wir „echt“ sind. Ob die Themen, für die wir einstehen, auch unsere Lebensthemen sind. Ob wir auf dem Weg der Freundschaft mit Jesus sind, oder nicht. Ob wir eigene gläubige Positionen haben zu den Fragen des Glaubens und des Lebens, die sich aus einer persönlichen Beschäftigung und dem Gebet nähren, oder ob wir auswendig Gelerntes reproduzieren. Auch Zweifel und Fragen haben ihr Recht, wenn wir denn nicht unsere Zweifel zu denen der Jugendlichen machen. Nehmt keine Vorräte mit – diesen Satz möchte ich so deuten: lebt nicht von Konserven, sondern von frischer Nahrung, schöpft aus einem lebendigen Glauben, der sich verändern kann. Ein solcher Glaube braucht neue Nahrung, Begleitung, Gespräch, Gottesdienst, Gebet. Das zum 20. Mal reproduzierte Arbeitsblatt ist der Tod eines überzeugenden Unterrichts. Nicht, weil das Blatt nicht mehr gut wäre, sondern deswegen, weil Sie sich möglicherweise keine aktuellen Gedanken mehr machen. Holen Sie sich immer wieder neue Nahrung für den Glauben und die Verkündigung, das Bistum steht Ihnen hier gerne zur Seite.

- Das Reich Gottes ist euch nahe

Jesus schickt seine Jünger hinaus, auch in eine Umwelt, die nicht immer freundlich zu uns ist („wie Schafe unter die Wölfe“). Der Religionsunterricht ist ein ganz zentraler Ort, an dem die Kirche sich auf den Straßen dieser Welt bewegt, mit dem Risiko, sich zu verbeulen, wie Papst Franziskus sagt. Aber wer sich in das Wagnis begibt, macht die Erfahrung Jesu, dass Gottes Reich schon da ist, bevor wir kommen. Wir machen nicht den Glauben der Menschen. Wir können Jesus und seine Botschaft nur anbieten, oder besser noch, wir können den Kindern und Jugendlichen helfen, Spuren des Gottesreiches im eigenen Leben zu entdecken. Unsere Botschaft ist Frieden und Heilung. Zwar ist der Religionsunterricht kein zentraler Ort religiöser Praxis und Erfahrung, aber auch sie gehören dazu. Es beginnt bei einem heilvollen und wertschätzenden Umgang untereinander, es setzt sich fort in der Art und Weise, auf die Themen der Menschen einzugehen, ihre Werte und Sehnsüchte ernst zu nehmen. Meine eigene Erfahrung ist: in der Begegnung verändert sich auch der eigene Glaube. Ich muss selbst auskunftsfähiger werden, sensibler für Gottes Spuren, für Unsicherheiten und Fragen, für die Tatsache, dass Gottes Reich Leben bedeutet und sich nicht in ein paar noch so gute und treffende Sätze packen lässt. Vielleicht ist die Begegnung in der Schule, das Gehen gemeinsamer Wege, schon eine Form der Verwirklichung des Gottesreiches, indem wir helfen, dass Kleine groß werden können an Wissen und Vertrauen. Die Schule kann große Spuren der Gegenwart Gottes in dieser Welt zeigen.

Liebe Schwestern und Brüder, zu Ihrem Dienst bei der Ernte und der Sendung zu den jungen Menschen wünsche ich Ihnen Gottes Segen. Ich bin dankbar, dass Sie sich senden lassen. Die Ernte ist groß, und Gott braucht Zeuginnen und Zeugen. Er braucht Menschen, die ihre Erfahrungen mit ihm weitergeben. Er braucht Menschen, die die Gottesherrschaft leben und verwirklichen helfen.