In Bethlehem über der Krippe öffnet sich der Himmel, der ganze himmlische Hofstaat zeigt sich und singt vom Frieden. Derartige Szenen sind auch in der Bibel nur selten. Der Evangelist Lukas beschreibt die Einzigartigkeit dieser Geburt. Da wird nicht irgendein Kind geboren, sondern der Heiland, der Retter der Welt.
Damit kann Kaiser Augustus nicht mithalten. Das Weihnachtsevangelium ist auch ein politisches Statement. Augustus ließ sich Gott nennen, Erlöser, Friedensstifter. Auch die Volkszählung war eine Machtdemonstration. Er war sich sicher, die Menschheit verwalten zu können. Unter diesem Kaiser, so sein Anspruch, sollte ein geradezu paradiesischer Friede Wirklichkeit werden. Dagegen steht nun diese völlig unspektakuläre Geburt des Kindes im Stall zu Bethlehem. Es muss sich keine Denkmäler setzen, es muss sich keine Tempel bauen lassen, es wird die Menschen nicht verwalten wollen. Zeichen der irdischen Macht werden ihm zu Lebzeiten immer unangemessen bleiben. Und doch künden die Engel davon, dass es der einzige Erlöser der Welt ist. Christus ist der Friedensstifter, ja der Friede selbst.
In einem Kommentar lese ich einen wichtigen Hinweis. 1 Die Wahrheit einer Geschichte wie unser Evangelium will nicht zuerst durch kluge Erklärungen wachgehalten werden, sondern durch Feiern, auch durch die Gottesdienste. Genau dies tun wir in dieser Nacht. Wir lassen uns von dieser Geschichte berühren, indem wir sie feiern. Viele Menschen sind hier in den Dom gekommen, und auch die anderen Kirchen unseres Bistums werden gut besucht sein. Manchmal wird beklagt, dass die Menschen nur zu Weihnachten kommen. Ich möchte ausdrücklich sagen: Egal, wie diese Menschen sonst zur Kirche und ihren Gottesdiensten stehen: Herzlich willkommen. Wenn wir Gottesdienst feiern, klammern wir gerade an Weihnachten die Not von Menschen nicht aus. Feiern heißt hier nicht oberflächliches Fröhlich-Sein. Im Feiern der Menschwerdung Gottes sind uns gerade die Menschen, die im Dunkel sind, sehr nahe: die Menschen im Krieg und heute Abend auch die Menschen in Magdeburg.
Dieses Kind will die Menschen nicht verwalten, sondern willkommen heißen, es will ihnen Frieden und Erlösung schenken. Und viele Menschen feiern auf ihre Art Weihnachten, auch wenn sie ausdrücklich die Frage nach Gott, nach Erlösung und der Bedeutung Christi als Sohn Gottes nicht stellen. Sie freuen sich über das immer auch religiös geprägte Brauchtum, sie schauen auf die vielen Krippen, sie hören die oft auch religiös geprägten Lieder und die geistliche Musik und sind damit Teil des Geschehens von Bethlehem. Egal, ob unsere Krippen oder ein Großteil der geistlichen Weihnachtsmusik, die Menschen werden dadurch an die Krippe geholt, diese Geburt wird Teil ihrer Gegenwart. Nicht wenige Menschen stellen bewusst die Frage nach Gott nicht mehr, und sie vermissen ihn nicht. Aber es ist möglich, Gott in manchen Fragen und dem Handeln der Menschen zu sehen, ohne sie kirchlich zu vereinnahmen. Weihnachten und die vielen Ausdrücke der Sehnsucht nach Frieden, Glück und Heil sind nicht nur in der Kirche präsent. In der Suche nach dem Guten, dem Schönen, nach Gerechtigkeit, Frieden, nach Ruhe und Orientierung sind glaubende und nichtglaubende Menschen in einem Boot.2 Auch wenn die ausdrücklich Glaubenden in den Kirchen weniger werden, sie sollten sich immer als Zeitgenossinnen und Zeitgenossen derer verstehen, die diese Welt gerechter, menschenfreundlicher, friedvoller machen wollen. Die Weihnachtsgeschichte nach Lukas ist eine politische Stellungnahme gegen jeden menschlichen Machtdünkel. Es ist eine gehörige Provokation, wenn eine kleine christliche Gemeinde ihren Herrn und Erlöser dem großen Augustus entgegenstellt, und zwar zu dem Augenblick, wo er in einem Stall geboren wird.
Kann ein solches Kind die Welt verändern? Diese Frage wird sich bis heute durch die Geschichte ziehen. In einem Interview wurde ich gefragt, ob etwa die Bergpredigt, die Rede von Frieden, Vergebung und Gewaltlosigkeit nicht eine sträflich naive sei angesichts der Weltlage. Kann man damit Politik machen? Vielleicht nicht, aber ich wage zu fragen, wer soll denn heute unsere Welt prägen? Ein Kaiser Augustus oder ein Jesus mit seiner Friedensbotschaft. Ich möchte mir keine Welt vorstellen, in der die Vision des Friedens nicht zumindest in Betracht gezogen wird. Damit lösen wir hier keinen Weltkonflikt. Aber ich will in meinen Möglichkeiten keine Welt gestalten, die nur von Gewalt und Gegengewalt geprägt ist, sondern die sieht, welches menschenfreundliche Potential in der Gewaltlosigkeit Jesu, des Kindes in der Krippe, liegt. Und dies muss im Kleinen beginnen. Es gibt wohl viele Menschen, die sich darum bemühen, deren Glauben Gott allein kennt. Aber sie sind diejenigen, die so handeln, wie es Jesus von der Krippe bis zum Kreuz vorgelebt hat. Unsere Welt wird besser durch solche Menschen, von denen es wahrscheinlich mehr gibt, als wir ahnen. Kann man damit Politik machen, wird damit fast zur zynischen Frage. Denn Politik und Alltag können nicht nur von der Rache, dem Hass, dem Willen zum Besiegen und der Stärke geprägt sein. Offenbar genügt das Feiern des Weihnachtsfestes und des Brauchtums noch nicht. Es geht auch um das Handeln, es geht darum, konkret werden zu lassen, was uns an Weihnachten berührt. Dafür sind gefühlsselige Angebote am Ende sicher zu wenig. Das Kind in der Krippe hat einen konkreten Anspruch. Im besten Fall lädt es ein zur Nachfolge, zum Glauben, zur Umkehr.
Im Mainzer Diözesan- und Dommuseum ist derzeit eine Ausstellung der Chorbücher des Mainzer Karmel aus dem 15. Jahrhundert. Unten auf einer Pergamentseite sieht man einen Affen, der in einen Spiegel schaut. Er steht für viele Menschen, besonders auch die Mächtigen dieser Welt, die sich bewundern und bewundert werden wollen. Das Bild verspottet sie. Sie sind eitle Affen, könnte man despektierlich sagen. Und doch sagt dieses kleine Bild auch etwas über die Versuchung eines jeden Menschen aus. Manchmal sehe ich nur mich, und ich denke darüber nach, wie ich es schaffe, bewundert zu werden. Diese Pergamentseite ist die Seite mit dem Introitus, dem Eingangslied zum Weihnachtsfest. Oben ist dort die Geburtsszene in Bethlehem kunstvoll gemalt. Das ist der Gegenentwurf zu dieser lächerlichen Eitelkeit und Machtgier des Menschen.
Wie will ich leben? – fragt dieses Bild. Wem will ich folgen? Das Evangelium nennt Jesus den Erlöser. Erlösung und die Sehnsucht danach dürfte den meisten Menschen heute ein Fremdwort sein, die Sehnsucht haben sie nicht. Vielleicht hilft aber das Nachdenken über das spätmittelalterliche Bild vom eitlen Affen. Erlösung beginnt dort, wo ich den Spiegel beiseitelege und beginne, auf andere zu achten; dort, wo das Motiv meines Handelns nicht die Eitelkeit, sondern Gerechtigkeit, Wahrheit und Liebe werden. Erlösung findet dort statt, wo ich meine Kraft nicht aus mir selbst allen habe, sondern wo ich sie als Geschenk annehmen kann. Erlösung findet dort statt, wo ich meine Schuld eingestehen kann und auch selbst beginne, vergeben zu können. Erlösung kann dort stattfinden, wo ich aufhöre, eitel in den Spiegel zu schauen und nur auf mich konzentriert zu sein. Wo ich den Blick weite auf diese Welt, die meinen Einsatz braucht und dann auch auf meinen Gott, dem ich mein Leben verdanke. Wir feiern Weihnachten, aber wir sollen es auch handeln, in den Alltag hinein. Damit entfaltet das Kind in der Krippe mehr Macht, als jeder Kaiser Augustus dieser Welt es je könnte. Dieses Kind will die Menschen nicht verwalten, sondern für ein Leben in seiner Nachfolge gewinnen. Diese Bewegung begann damals und sie setzt sich heute fort. Möge aus unserer Feier diese verwandelnde Kraft des Alltags entstehen und wachsen. So möge Weihnachten auch in diesem Jahr ein Fest der Freude und des Friedens werden.
1Marius Reiser, „Und er wurde vor ihren Augen verwandelt“. Fiktion und Wahrheit in neutestamentlichen Geschichtserzählungen, Freiburg, Basel, Wien 2021, 140.
2Vgl. Matthias Sellmann, Die Rede von Gott ist nicht tot, www.katholisch.de vom 17.12.2024.