Die Kirche im Ort muss mehr sein als ein Zeugnis vergangenen Glaubens. Das liegt nun in unserer, in Ihrer Verantwortung. Die Quellen Gottes jedenfalls sprudeln, jeden Tag, Tag und Nacht.

Predigt von Bischof Peter Kohlgraf beim Pontifikalamt aus Anlass des 175. Weihetags der der Kirche Sankt Cyriakus in Klein-Welzheim Klein-Welzheim, Sonntag, 9.9.2018

Texttafel Predigt (c) Bistum Mainz
Datum:
So. 9. Sept. 2018
Von:
Bischof Peter Kohlgraf
Die Menschen hier in Klein-Welzheim haben ihrer Kirche das Patrozinium des hl. Cyriakus gegeben. Das Leben dieses Heiligen ist weitgehend unbekannt, die Legende berichtet aber, dass er die Tochter des Kaisers vom Bösen befreit habe. Daher wird er oft mit einem an die Kette gelegten Teufel dargestellt. Er wird als einer der vierzehn Nothelfer verehrt, als Diakon und Märtyrer. Auch wenn man nur das von ihm wüsste, erinnerte er uns an die zentralen Aufgaben der Kirche heute: die würdige Feier der Liturgie, die Verkündigung des Evangeliums in Wort und Tat, die aktive Nächstenliebe und das Bemühen, dem Guten zum Sieg zu verhelfen in einer oft vom Bösen gequälten Welt. In seinem Schreiben „Evangelii Gaudium“ hat Papst Franziskus viel über die Aufgaben unserer christlichen Gemeinden nachgedacht, und dort findet sich auch folgender Gedanke: „Die Pfarrei ist (…) ein Bereich des Hörens des Wortes Gottes, des Wachstums des christlichen Lebens, des Dialogs, der Verkündigung, der großherzigen Nächstenliebe, der Anbetung und der liturgischen Feier. Durch all ihre Aktivitäten ermutigt und formt die Pfarrei ihre Mitglieder, damit sie aktiv Handelnde in der Evangelisierung sind. Sie ist eine Gemeinde der Gemeinschaft, ein Heiligtum, wo die Durstigen zum Trinken kommen, um ihren Weg fortzusetzen, und ein Zentrum ständiger missionarischer Aussendung.“ (EG 28).

„Ein Heiligtum, wohin die Durstigen zum Trinken kommen“: die Kirche als Brunnen lebendigen Wassers. Das ist ein schönes Bild und eine Anfrage an unser Tun. Jesus hat einmal davon gesprochen, dass der Geist, der im Gläubigen lebendig ist, diesen Menschen wiederum zu einer Quelle macht, die Leben weitergibt (Joh 7,37-39). Die Gemeinde als Lebensort des Geistes, des überquellenden Lebens. Das Wasser des Lebens kommt nicht aus uns. Der Papst erinnert an das Wort Gottes, das in unseren Gemeinden lebendig sein soll. Dieses Wort soll uns beschäftigen, bewegen, erfüllen und motivieren. Die Sonntagspredigt und das Hören des Evangeliums einmal in der Woche genügt nicht. Wer hier lebt und sich zu Christus bekennt, müsste das Wort Gottes, wie es einmal von Maria gesagt ist, im Herzen erwägen, es müsste zu einer Art Lebensmelodie werden, die ihm durch Kopf und Herz geht. Die Sakramente der Kirche sind Quellorte, in denen uns Gott selbst mit seiner Liebe berührt. Anbetung und Liturgie sind Geschenke, in denen Gott uns sein Wasser schenkt. Die Erfahrung von Gemeinschaft im Gebet und in der alltäglichen Nächstenliebe wird hoffentlich so in einer Gemeinde gelebt, dass sie als Kraftquelle erfahren werden kann. Vor einigen Wochen waren wir noch mit den Ministranten in Rom, und haben die Stadt erkundet bei oft mörderischer Hitze. Große Erleichterung verschafften dort die Quellen, die an vielen Orten der Stadt Wasser an die Durstigen verschenkten. Wenn das unseren Gemeinden gelingen könnte, so etwas für die durstigen Menschen heute im geistlichen Sinne zu sein: Orte des Aufatmens, des Verschenkens, der Erfrischung und des Ausruhens, dass Menschen in der Begegnung mit uns neues Leben erfahren. Die römischen Beobachtungen hat der Dichter Conrad Ferdinand Meyer in einem Gedicht über einen römischen Brunnen beschrieben:
Aufsteigt der Strahl und fallend gießt 
Er voll der Marmorschale Rund, 
Die, sich verschleiernd, überfließt 
In einer zweiten Schale Grund; 
Die zweite gibt, sie wird zu reich, 
Der dritten wallend ihre Flut, 
Und jede nimmt und gibt zugleich 
Und strömt und ruht.
Empfangen und weitergeben, was wir an Leben erfahren, das wäre eine Vision einer Gemeinde, wohin Menschen kommen können, weil sie Durst haben nach dem größeren Leben, wo sie Menschen treffen, die wie die Schalen des Brunnens weitergeben, was sie selbst erfüllt.
Es bleibt jedoch nicht bei der Sicht auf das Innenleben des Gemeinde und des einzelnen Gläubigen. Nächstenliebe, Dialog mit den Menschen, die Christus nicht kennen und eine Verkündigung sind sozusagen die Ströme, die aus dem Heiligtum fließen müssen. Das Wasser darf nicht im Heiligtum bleiben, und wir dürfen nicht warten, dass die Menschen zur Quelle kommen. Der Papst spricht von Evangelisierung. Dieses große Wort beschreibt den Wunsch, alle Lebensbereiche unserer Welt mit dem Geist des Evangeliums zu durchdringen, so dass das Böse, das Gleichgültige, das Menschenfeindliche keinen Raum mehr findet. Dafür steht der Diakon Cyriakus, der das Böse besiegt, der Menschen in der Not hilft, der das Evangelium nicht nur mit Worten verkündet, sondern lebt und anderen Menschen weiterschenkt. Der Papst ermutigt jeden und jede, die sich zu Christus bekennen, zu solchen Quellorten in der Welt zu werden. Das Wasser darf nicht im Heiligtum bleiben, vielmehr soll überall dort, wo glaubende Menschen leben und ihren Glauben bezeugen, die Welt zum Heiligtum, zum Ort der Gegenwart Gottes werden.
Das Ganze wird dort schwierig, wo selbst getaufte Menschen den Durst nach Gott nicht mehr verspüren. Umso wichtiger wird es werden, dass diejenigen, denen Gott am Herzen liegt, dem Geist Gottes Raum geben, der in ihnen zur Quelle wird. Umso wichtiger wird es werden, dass wir alle die Quellen des Wortes Gottes und der Sakramente neu als Lebensorte für uns wertschätzen lernen. Und dass wir dann das Wasser weitergeben, wie der römische Brunnen, Schale für Schale. Die Kirche im Ort muss mehr sein als ein Zeugnis vergangenen Glaubens. Das liegt nun in unserer, in Ihrer Verantwortung. Die Quellen Gottes jedenfalls sprudeln, jeden Tag, Tag und Nacht. Der hl. Cyriakus möge uns Wegbegleiter und Ansporn sein.