Neben den bekannten Kriegsschauplätzen, die stark in den Medien präsent sind, hat der Papst in diesem Jahr Friedensinitiativen gefördert, die hierzulande nicht so stark wahrgenommen werden. Er hat entscheidend zur Entschärfung der Konflikte in Venezuela beigetragen, hat durch seinen Besuch in Kolumbien verfeindete Parteien ins Gespräch gebracht, schließlich in den letzten Wochen in Myanmar und Bangladesch behutsam für die Einhaltung der Menschenrechte besonders auch gegenüber Minderheiten geworben. In Kairo hat Papst Franziskus nach sechsjähriger Unterbrechung den christlich-islamischen Dialog wiederbelebt, und damit religiösen Extremisten gezeigt, dass Religionen Wege des Friedens sein sollen. Das Thema des Friedens und der Respekt vor der Würde jedes Menschen gehen uns an. Frieden muss erarbeitet und erhalten werden. Zu selbstverständlich sind die 72 Jahre Leben in Frieden und Freiheit in Westdeutschland, die 27 Jahre Deutsche Einheit geworden. Dass hierzulande die Begeisterung, sich für die Demokratie zu engagieren nachlässt, dass extreme Meinungen lauter und möglicherweise gesellschaftsfähiger werden, darf uns als Kirche und mir persönlich nicht gleichgültig sein. Daneben setzen sich aber gerade auch in der Kirche, in ihren Gruppen, Verbänden und Gemeinden viele Menschen, junge und alte, für die Einheit und den Frieden in der Gesellschaft ein. Wir stehen dafür, dass es nicht wertvollere und weniger wertvolle Menschen gibt. Für den Frieden und den Zusammenhalt einer Gesellschaft ist dieses Bewusstsein und eine entsprechende Praxis eine unverzichtbare Grundlage. Papst Franziskus ermutigt uns, in dieser Arbeit für den Frieden und die Einheit der Menschen nicht müde und mutlos zu werden. Dazu gehört auch das Bemühen um eine gute Gesprächskultur. Einige haben dem Papst vorgeworfen, in bestimmten Begegnungen zu zögerlich gesprochen zu haben. Er will jedoch im anderen Menschen das Gute fördern, und ihm „nicht die Tür ins Gesicht schlagen“. Diese Haltung mag auch ein Anreiz zur persönlichen Gewissenserforschung sein: wie begegne ich dem anderen Menschen, auch dem mit einer anderen Meinung und Haltung? Schüre ich das Feuer der Feindschaft oder trage ich dazu bei, Lösungen zu finden? Das müssen wir auch in der Kirche immer wieder neu lernen.
Der Blick auf Europa war Thema des Papstes, wie in den Jahren davor auch. In Rom hat er eine viel beachtete Grundsatzrede gehalten. Darin betont er, dass „das pulsierende Herz des Projekts Europa nur der Mensch sein konnte“. Die Idee Europas bestand nach dem 2. Weltkrieg in gegenseitiger Offenheit, Solidarität und einer gemeinsamen Wertegrundlage, die auch religiös motiviert war. Bisher verfeindete Völker gingen aufeinander zu in Respekt vor jedem Menschen und der gemeinsamen Verantwortung vor Gott. Der Papst hat deutlich gemacht, dass Nationalismen, Populismus und Spaltung, aber auch eine rein wirtschaftliche Sichtweise menschlichen Zusammenlebens, nicht nur der Idee Europas schaden, sondern auch dem einzelnen Menschen. Solidarität, gemeinsames Bemühen, gemeinsame Ziele, Offenheit und soziale Gerechtigkeit dienen jedem Menschen. Die Christen müssen Europa „wieder eine Seele“ geben, und hier steht jeder einzelne Mensch in Verantwortung.
„In Rom Reformen zu machen, ist wie die ägyptische Sphinx mit einer Zahnbürste zu putzen“ – so der Papst vor Mitarbeitern der Kurie in Rom am 21. Dezember. Besonders im vergangenen Jahr musste der Papst viele Anfeindungen ertragen, die stärker als früher substantiell waren. Lautstarke Gruppen in der Kirche warfen dem Papst sogar Irrlehre vor, ein ungeheuerlicher Vorwurf. Weiter entzünden sich die Auseinandersetzungen am päpstlichen Schreiben „Amoris Laetitia“, und dem Bemühen, der Einzigartigkeit jeder menschlichen Situation gerecht zu werden. Der Papst möchte Menschen in schwierigen Situationen begleiten, ihre Situation verstehen und unterscheiden helfen, Menschen ermöglichen, dass Lebensverhältnisse nicht zum Gefängnis werden und die spürbar in die Gemeinschaft der Kirche zurückgeführt werden können. An diesem konkreten Beispiel hängt eine grundsätzliche Sicht der kirchlichen Aufgabe und Rolle. Wird die Kirche als barmherzige Mutter erfahren, oder wirft sie mit Steinen auf die ihr anvertrauten Menschen? Natürlich muss Unrecht als Unrecht, Sünde als Sünde benannt werden. Das Urteil über den einzelnen Menschen muss dabei aber sehr behutsam erfolgen. Viele sind offenbar nicht bereit, diesen Weg der Unterscheidung mit zu gehen. Es ist ein sehr anspruchsvoller Weg, der auch von den Seelsorgern viel Fingerspitzengefühl und Bereitschaft erfordert, sich auf den anderen einzulassen. Der Satz des Papstes zur Reform der Kirche bezog sich natürlich nicht allein auf dieses Thema. Machtgelüste, Festhalten am Bequemen um jeden Preis berühren viele Bereiche der Kirche. Wir erleben, dass es nicht mehr genügt, einfach Altes zu wiederholen. Wir müssen neu-evangelisieren, das Evangelium in unsere Kultur übersetzen, wir müssen es leben und ins Gespräch bringen, nicht allein damit wir als Kirche noch ernst genommen werden, sondern weil das Evangelium in immer neuen Sprachen verkündet werden muss.
2017 war in ökumenischer Hinsicht ein wichtiges Jahr. Evangelische Christen haben Reformationsgedenken gefeiert, wir haben uns dem Christusfest angeschlossen. Wir begreifen mehr und mehr, dass wir Wege gemeinsam gehen müssen. Der Papst ermutigt bei einer Begegnung mit evangelischen Christen aus Deutschland, nicht in der Vergangenheit zu verweilen, sondern konkrete Schritte weiter zu gehen, die zur Einheit hinführen. Es wird zunehmend eine Realität, dass nicht – glaubende Menschen nach einem christlichen Bekenntnis fragen, nicht nach der Konfession. Wenn wir als Christen einen Auftrag in unserer Gesellschaft haben, können wir ihn nicht gegeneinander leisten, auch nicht den Dienst am Frieden, an einem menschenwürdigen Land und Europa, nicht in dem Bemühen, dem einzelnen Menschen zu dienen.
Wir nehmen diese Themen und manches andere mit ins neue Jahr. Sie werden uns weiter beschäftigen. Möge es ein gesegnetes Jahr werden, in dem etwas von Gottes lebendigem Geist weht, in der weiten Welt, in unserem Land, dem Bistum, und auch in meiner kleinen persönlichen Welt.