„Den Himmel zum Sprechen bringen“ – heißt ein Buch von Peter Sloterdijk aus dem Jahr 2020. Ihm geht es darum zu zeigen, dass die Religionen, wie auch das Christentum, vor aller Dogmatik aus Erzählungen leben, in denen die unendlichen Räume des Himmels und die Lebenswirklichkeit der Menschen verbunden werden.
Tatsächlich: den Himmel bringt auch das heutige Evangelium zum Sprechen. Darin unterscheidet es sich von heutigen Einstellungen. Sloterdijk verweist darauf, dass der Himmel heute aufgehört hat zu sprechen, er wird zum Symbol der Beliebigkeit. Die unendlichen Räume des Himmels rufen nur noch Schrecken hervor. Da ist dann niemand mehr, der sich mit uns aus dem Himmel her verbindet. Das wusste bereits Friedrich Nietzsche (aus dem Aphorismus 125, Die fröhliche Wissenschaft): „Irren wir nicht wie durch ein unendliches Nichts? Haucht uns nicht der leere Raum an? Ist es nicht kälter geworden? Kommt nicht immerfort die Nacht und mehr Nacht? Müssen nicht Laternen am Vormittage angezündet werden? Hören wir noch Nichts von dem Lärm der Todtengräber, welche Gott begraben? Riechen wir noch Nichts von der göttlichen Verwesung? — auch Götter verwesen! Gott ist todt! Gott bleibt todt! Und wir haben ihn getödtet!“ Der Himmel ohne Gott ist nicht Befreiung, sondern kalt und bedrohlich. Der Mensch ist ein Nichts im riesigen Universum.
Lassen wir mit dem Evangelisten den Himmel zum Sprechen bringen, heute am Fest der Erscheinung des Herrn. Im Stern von Bethlehem sieht der Evangelist einen Hinweis auf das Licht Gottes, das in diese Welt zu strahlen beginnt. Wir schauen mit den Weisen auf den Stern am Himmel. Bevor uns hier auf dieser kleinen Erde das Sternenlicht erreicht, hat es oft einen Weg vieler Tausend Lichtjahre hinter sich. Es bringt tatsächlich ein Licht aus unvorstellbaren Fernen. Das war den Menschen vor 2000 Jahren so nicht bewusst, aber unser heutiges Wissen macht uns demütig vor diesem Licht aus der Unendlichkeit des Kosmos. Dieses Licht berührt unsere Welt. Es bleibt stehen über der Krippe von Bethlehem. Das unendliche Licht des Himmels kommt auf dieser Erde an. Es ist Gottes Licht, und es bekommt Gestalt in diesem Kind. Das ist eine unglaubliche Liebeserklärung an unsere kleine Erde und uns kleine Menschen. Nein, es kommt nicht immer mehr Nacht – das ist die Botschaft des Evangeliums. „Gott liebt diese Welt, und wir sind sein Eigen“, heißt es in einem Kirchenlied (GL 464). Wir müssen im Glauben diese Spannung aushalten und leben. Gott ist unendlich und unvorstellbar groß, er entzieht sich jeder menschlichen Verkleinerung, und gerade er kommt so klein in unsere Welt, als Kind, als Mensch. Wir irren nicht durch ein „Nichts“. Diese Erfahrung beginnt damit, dass Gott uns nicht für „ein Nichts“ hält. Wir sind jemand vor ihm, bedeutsam, einzigartig und groß, Menschen mit Würde. Daher wird er Mensch. Nietzsche empfindet den Tod Gottes keineswegs als Befreiung. Er bringt Kälte, Dunkelheit und Beliebigkeit. Dieser Kälte setzt das Evangelium das Licht des Sterns von Bethlehem entgegen. Diese Welt ist Gottes so voll, schrieb der Jesuit Alfred Delp kurz vor seiner Hinrichtung in seinen Texten aus dem Gefängnis: „Das eine ist mir so klar und spürbar wie selten: Die Welt ist Gottes so voll. Aus allen Poren der Dinge quillt er gleichsam uns entgegen. Wir aber sind oft blind. Wir bleiben in den schönen und bösen Stunden hängen und erleben sie nicht durch bis an den Brunnenpunkt, an dem sie aus Gott herausströmen. Das gilt für alles Schöne und auch für das Elend. In allem will Gott Begegnung feiern und fragt und will die anbetende, hingebende Antwort. Die Kunst und der Auftrag ist nur dieser, aus diesen Einsichten und Gnaden dauerndes Bewusstsein und dauernde Haltung zu machen und werden zu lassen. Dann wird das Leben frei in der Freiheit, die wir immer gesucht haben.“ (17. November 1944). Das gilt auch in unseren Tagen, in unseren Sorgen und in unserer Zeit, die Gott gar nicht mehr bewusst für tot erklärt, sondern ihn oft einfach vergisst und ohne ihn auszukommen glaubt. Auch unsere Zeit ist Gottes so voll. Und ich bin mit dem Evangelisten und auch dem Philosophen Nietzsche einig: eine Welt ohne Gott wird keine freiere Welt, es wird ihr auf Dauer die Wärme fehlen, die Verbindlichkeit, das Licht, der Himmel hört auf zu sprechen. Ich glaube fest daran, dass nicht immer mehr Nacht kommt, gerade weil es diesen Gott gibt, der aus der Unendlichkeit zu uns kommt, erfahrbar und berührbar. Müssen wir Laternen anzünden, um dieses Licht Gottes, an das viele Menschen nicht mehr glauben, durch künstliches Licht zu ersetzen? Jemand hat einmal unsere Situation als „Lichtverschmutzung“ bezeichnet. Vor lauter künstlichem Licht sehen wir das Licht des Himmels nicht mehr. Buchstäblich ist das die Situation in unseren Städten. Um das Sternenlicht zu sehen, müssen wir die Städte verlassen. Auf Fotografien aus dem Weltall können wir das sehen: die Städte sind hell erleuchtet, die Nacht ist hell erleuchtet, aber es ist künstliches Licht. Gesundheit, Erfolg, Reichtum, Geltung, Schnelligkeit und viele andere Errungenschaften sind kein Hinweis auf Gottes Licht. Bei ihm geht es um etwas Anderes. Wir müssen die vielen Lichter hinter uns lassen, um das eine Licht sehen zu können. Es ist erstaunlich, dass es nicht die Glaubenden sind, die uns daran erinnern, dass der Verzicht auf das eine Licht keine bessere Welt verspricht. Ich rieche die Verwesung Gottes nicht. Wenn Gott die eine entscheidende Wirklichkeit ist, bringen wir ihn nicht um. Es schadet uns Menschen, wenn wir ihn vergessen und meinen ohne ihn auskommen zu können. Gott setzt sein Licht an unseren Himmel, er sendet seinen Sohn, und es liegt nicht an ihm wenn wir ihn nicht sehen oder wenn wir aufgehört haben, nach ihm Ausschau zu halten. Die Welt dreht sich ohne ihn weiter, aber wir verlieren die Orientierung. Eine Welt ohne Gott und sein Licht wird schnell beliebig, ein Himmel, der nicht mehr zu uns spricht, wird wohl tatsächlich zum Symbol der Beliebigkeit. Ist das die Freiheit, die wir wollen? Unverbindliche, einige nichtssagende Werte ersetzen nicht die Suche nach der Wahrheit, dem Licht vor den vielen künstlichen Lichtern, an der Entscheidung zu dem einen wahren Licht können wir uns nicht drücken.
Die Weisen aus dem Morgenland bringen den Himmel zum Sprechen. Es geht ihnen um mehr als um einige dogmatische Sätze. Sie beobachten, sie rechnen mit der Gegenwart Gottes in diesem Himmel und auf dieser Erde. Sie machen sich auf den Weg, indem sie sich diesem aus der Ewigkeit kommenden Licht aussetzen. Sie setzen dem ich-besessenen und moralisch beliebigen Herodes ihr Gewissen entgegen. Sie sind fähig zur Anbetung, sich diesem Licht Gottes auszusetzen und sich vor ihm klein zu machen. Die Weisen halten sich nicht für den letzten Maßstab dieser Welt. Sie nehmen als die Erfahrung mit, dass Gott nicht tot ist. Und dass es den Menschen beflügelt und wärmt, das Licht dieses Gottes zu suchen, ihm zu folgen und zu trauen. Es ist unsere Aufgabe heute, in unsere Zeit hinein den Himmel zum Sprechen zu bringen. Das kann gehen, indem wir von unseren Erfahrungen mit diesem Licht Gottes erzählen. Wenn wir Menschen mitnehmen, nach ihm zu suchen und ihm zu folgen. Wenn wir Menschen vom künstlichen zum wahren Licht führen, wenn wir den kalten Kosmos zu einem Himmel machen, der von Wärme erfüllt ist. Jeder Mensch ist jemand – davon erzählt der Stern am Himmel. Und der lebendige Gott leuchtet – am Himmel und in dieser Welt.