„Es wird nicht so weitergehen“

Eltern sehen den Glauben durch die Abgabe der Trägerschaft katholischer Schulen in Gefahr. Bischof Kohlgraf sagt dazu: „Unsere Schulen sind Orte der kirchlichen Erfahrung; wenn es aber die einzigen sind, retten sie nichts.“ (c) Kirchenzeitung/Anja Weiffen
Datum:
Do. 29. Okt. 2020
Von:
Anja Weiffen

Gegenwind hat die Bistumsleitung bekommen, anlässlich der Ankündigung, Bildungshäuser zu schließen und Schulen abzugeben. Bischof Peter Kohlgraf hinterfragt im „Wort des Bischofs“ manches Protestargument kritisch.

Trauer, Wut, Enttäuschung, Unverständnis – das waren vorwiegend die Reaktionen auf die vom Bistum angekündigten Schließungen von Bildungshäusern und Trägerwechsel für Schulen. Vereinzelt gab es auch nachdenkliche Stimmen, und von manchen die Bereitschaft, nach guten Lösungen zu suchen. In einer Karikatur der vorletzten Woche wurde ich dargestellt als Bischof, der sich selbst ein Bein abschneidet. Sicher war das vom Zeichner nicht beabsichtigt, aber er gibt durchaus meine Gefühlslage wieder. Mir ist bewusst: Es ist ein Einschnitt, der weh tut. Ich und andere Verantwortliche wissen um die Tragweite der Planungen, zumal ich selbst neun Jahre an katholischen Schulen tätig war. Ich kenne den Wert dieser Schulen und das Engagement vieler. Ich muss es allerdings unmissverständlich sagen: Es gibt keinen anderen Weg. Bereits einen Tag nach meiner Bischofsweihe tagte der Diözesankirchensteuerrat und hat mir deutlich gemacht: So kann es nicht weitergehen. Noch wenige Jahre, und wir würden nicht nur über Schließung einzelner Einrichtungen reden, sondern über den finanziellen Bestand des Bistums überhaupt. Danach begannen wir intern ein intensives Ringen und Suchen. Wir reden nicht von einer überstürzten Panikreaktion. Die jetzigen Entscheidungen sind die ersten Folgen. Wie in der Pressekonferenz bei der Bekanntgabe der Maßnahmen gesagt, werden alle Bereiche Konsequenzen treffen. Wir stehen vor weiteren schmerzhaften Einschnitten. Warum beginnen wir mit den Schulen (und der Bildung)? Ganz einfach: weil der Schulbereich neben den Pfarreien den größten Brocken im Haushalt darstellt. Dennoch behalten wir 13 Schulen, das Bistum Mainz wird – im Vergleich mit anderen Diözesen – weiterhin einen Schulschwerpunkt haben.

"Die Not und die Fragen, die Trauer und die Sorgen nehme ich sehr ernst."

Wenn ich früher als Professor für Praktische Theologie und jetzt als Bischof davon sprach, dass die Volkskirche am Ende sei, nahm ich immer freundliches zustimmendes Nicken wahr. Auch als ich vor gut zwei Jahren das Konzept des Pastoralen Wegs vorstellte, gab es viel Zustimmung, sogar Applaus – obwohl ich die Zahlen offenlegte und die drastischen Entwicklungen benannte. Das hat mich damals sehr verwundert. Heute habe ich einen Verdacht: Man hatte es so oft gehört, es müsse gespart werden, es gebe weniger Priester etc. Das war offenbar typischer „Bischofs-Sprech“, ernstgenommen wurde er nicht. Solche Ankündigungen kennt man seit 50 Jahren, passiert ist nicht viel. So könnte es fröhlich weitergehen. Es wird nicht fröhlich so weitergehen. Konsequenzen stehen an. Die Zahl der Kirchenmitglieder sinkt und wird weiter sinken. Die demographische Entwicklung ist eine Ursache, die vielen Kirchenaustritte eine weitere. In großer Zahl verlassen Menschen die Kirche, jeder und jede kennt jemanden. Jedes Jahr betonen Bischöfe darüber ihre Betroffenheit. Die Entscheidung zum Kirchenaustritt hat natürlich Folgen. Ist denjenigen, die austreten, immer bewusst, dass sie damit auch „Nein“ sagen zum kirchlichen Engagement in den verschiedenen gesellschaftlichen Bereichen? Studien sagen uns, dass die Säkularisierung in der Gesellschaft nicht aufzuhalten ist, unabhängig von kirchlichen Reformmaßnahmen. Was diese Entwicklung für die ganze Gesellschaft bedeutet, wird abzuwarten sein. Es wird kein Spaziergang werden. Der religionspädagogische Bereich ist besonders sensibel, das spüren wir derzeit deutlich. Es geht um unsere Kinder und Jugendlichen. Erlauben Sie mir zu sagen, dass mich manches hier auch stutzig macht, etwa wenn ich auf Protestplakaten lese, dass ohne die katholischen Schulen der Glaube in Gefahr ist oder gar „stirbt“. Wo Eltern mit ihren Kindern den Glauben leben, können wir mit unseren Schulen wichtige Unterstützung leisten. Aber die Grundlagen werden zu Hause gelegt! Fehlende häusliche Praxis kann durch Schule, Katechese usw. nicht ersetzt werden. Und dass katholische Schulen eine lebenslange kirchliche Bindung ihrer Schülerinnen und Schüler garantiert – dies scheint mir nur ein Teil der Realität zu sein. Unsere Schulen sind Orte der kirchlichen Erfahrung; wenn es aber die einzigen sind, retten sie nichts. Ich und die Verantwortlichen machen uns die kommenden Wege wahrlich nicht leicht. Natürlich baut ein Bischof lieber auf als abzugeben. Derzeit müssen wir mit vielen Protesten umgehen. Die Not und die Fragen, die Trauer und die Sorgen nehme ich sehr ernst. Zu manchen Argumenten habe ich allerdings auch kritische Rückfragen. Sie machen mich sehr nachdenklich, wofür unsere Schulen auch herhalten müssen.
Ihr Bischof Peter Kohlgraf