„Eucharistie: offene Tür, Heilmittel und Nahrung“

Predigt von Bischof Peter Kohlgraf beim Abendmahlsamt im Hohen Dom zu Mainz, Gründonnerstag, 29. März 2018, 19.00 Uhr

Datum:
Do. 29. März 2018
Von:
Bischof Kohlgraf
Über dem Gründonnerstagabend liegt eine Wehmut, es ist ein Abend endgültigen irdischen Abschieds. „Ich werde nicht mehr mit euch von der Frucht des Weinstocks trinken, bis ich euch begegnen werde im Reiche Gottes“ (Mt 26,29).

Wer sich an persönliche Abschiede erinnert, spürt vielleicht etwas von dem Schmerz der Jünger Jesu, ja auch vom Schmerz Jesu selbst. Drei Jahre waren sie seine Jünger, seine Freunde, und nun endet es so, mit dem Ausblick auf den schlimmen Abschied des Karfreitags. Für die Jünger, die vielleicht noch gar nicht viel begreifen, heißt das ja auch: hast du nicht dein Leben weggeworfen für eine Idee, die dich getäuscht hat? Hat nicht sogar der Herr selbst die Erwartungen enttäuscht? Und auch Jesus, bei allem Vertrauen in den Vater, mag die Realität seiner Jünger schmerzlich erleben: die Enttäuschung, der Verrat, die Feigheit. Es ist kein Abend zum Jubeln. Deswegen zählt jedes Wort umso mehr, das Jesus an diesem Abend seinen Jüngern schenkt.

„Das ist mein Leib, das ist mein Blut, gegeben für euch. Nehmt und esst, nehmt und trinkt“. Jesus sieht in dem Ganzen, was kommt, offenbar einen Sinn, den die Jünger nicht erkennen. Beim Abendmahl nimmt Jesus die Hingabe seines Lebens vorweg. So wie Brot gebrochen wird, wird sein Leben gegeben und damit weitergeschenkt. So wie die Traube zerstoßen und zum Wein wird, so wird er sich geben. Auch den österlichen Gedanken symbolisieren Brot und Wein: sie verweisen auf die ewige Gemeinschaft mit Christus im Reich Gottes.

Wir müssen uns dies bei jeder Eucharistiefeier klar machen, was da geschieht. Er gibt sich für uns, in Brot und Wein. Er möchte unsere Nahrung sein. Er möchte - Zeichen des Weines - Ursache unserer Freude sein. Es gibt keine größere Liebe als die, dass jemand sein Leben gibt für seine Freunde (Joh 15,13). Es gibt damit für uns kein größeres Geschenk als die Eucharistie. Weil sich in ihr Christus selbst schenkt. Menschliche Schuld, Versagen, Verrat halten Jesus nicht davon ab, sich zu verschenken, ganz im Gegenteil. Er trägt ja gerade am Kreuz diese ganze Last und in der Eucharistie schenkt er uns seine Antwort auf unser menschliches Versagen: nicht Rache, sondern Hingabe und Zuwendung. Gerade weil wir Sünder sind, sucht er unsere Gemeinschaft. Das hat Folgen für die kirchliche Praxis.

Im 47. Abschnitt seines Schreibens „Evangelii Gaudium“ formuliert Papst Franziskus:

„Die Kirche ist berufen, immer das offene Haus des Vaters zu sein. (…) So stößt einer, wenn er einer Eingebung des Geistes folgen will und näherkommt, weil er Gott sucht, nicht auf die Kälte einer verschlossenen Tür. Doch es gibt noch andere Türen, die ebenfalls nicht geschlossen werden dürfen. Alle können in irgendeiner Weise am kirchlichen Leben teilnehmen, alle können zur Gemeinschaft gehören, und auch die Türen der Sakramente dürfen nicht aus irgendeinem beliebigen Grund geschlossen werden. Das gilt vor allem, wenn es sich um jenes Sakrament handelt, das ,die Tür‘ ist: die Taufe. Die Eucharistie ist, obwohl sie die Fülle des sakramentalen Lebens darstellt, nicht eine Belohnung für die Vollkommenen, sondern ein großzügiges Heilmittel und eine Nahrung für die Schwachen. Diese Überzeugungen haben auch pastorale Konsequenzen, und wir sind berufen, sie mit Besonnenheit und Wagemut in Betracht zu ziehen. Häufig verhalten wir uns wie Kontrolleure der Gnade und nicht wie ihre Förderer. Doch die Kirche ist keine Zollstation, sie ist das Vaterhaus, wo Platz ist für jeden mit seinem mühevollen Leben.“

Am Abend vor seinem Leiden öffnet Jesus die Tür zu den Menschen mit all ihren Schwächen: die Tür zum Verräter, zu den Feiglingen und Ängstlichen, zu den Zweiflern und – zu uns hier und heute. Wir sind nicht besser als seine Jünger damals, und genau deswegen braucht es seine Freundschaft, brauchen wir die Nahrung und das Heilmittel der Eucharistie. Auf der einen Seite gilt es zu erkennen, wo wir als Kirche uns zu sehr als Kontrolleurin der Gnade betätigen, auf der anderen Seite ist der Text des Papstes aber auch eine Ermutigung und Ermahnung für uns, die Sakramente, besonders das Sakrament der Eucharistie neu wertschätzen zu lernen und jeder Gedankenlosigkeit vorzubeugen.

Wertschätzung des Sakraments in den verschiedenen Dimensionen: Es ist Zeichen seiner Hingabe, Vergegenwärtigung seines Todes und seiner Auferstehung, Vorwegnahme der Gemeinschaft mit ihm in der Zukunft des Reiches Gottes im Himmel. Zu schnell betonen wir die Bedeutung menschlicher Gemeinschaft in der Eucharistie, die vertikale Linie scheint manchmal zweitrangig zu sein.

Der Eucharistieempfang hat Konsequenzen. Im Erleben der Fußwaschung bekommen wir eine Ahnung davon. Wer die Eucharistie empfängt, wird in die Bewegung des Dienens hineingenommen. Es gibt einen unwürdigen Kommunionempfang, wenn wir nicht bereit sind, uns bewegen zu lassen zu Hingabe und Dienst am Nächsten, gerade auch den Leidenden, Armen und den Menschen am Rande. Wenn wir nicht bereit werden, den Dienst der Fußwaschung zu leisten, kann die Eucharistie auch an uns nicht ihre heilende und nahrhafte Wirkung entfalten. Insofern soll die eucharistische Gemeinschaft immer eine Verwandlung auch des Empfängers bewirken. Wir halten ihm unsere Wunden hin, unsere Schuld, unsere Sehnsucht, das offene Herz, müssen dann aber auch damit rechnen, dass er zu wirken beginnt. So kann, wenn wir es ernst nehmen, der Eucharistieempfang auch der Beginn einer zunächst unerwarteten und manchmal schmerzhaften Therapie sein.

Die Jünger werden all das an diesem Abend nicht verstanden haben. Sie waren einfach nur traurig. Sie müssen mit ihrem Herrn auch noch den Karfreitag bewältigen. Eucharistie ist Vorwegnahme dieser Hingabe, sie ist aber auch Ostern. Wir feiern kein Totengedächtnismahl, sondern er selbst, der Gekreuzigte und Auferstandene gibt sich uns, damit er in uns bleibt, und wir in ihm.

Es gibt keine größere Liebe, als wenn einer sein Leben gibt für seine Freunde. Diese Liebe dürfen wir heute Abend feiern, und an jedem Tag. Möge dies nie reine Routine oder ein Verwaltungsakt der Gnade werden.