Die Form unseres diesjährigen Besinnungstages erinnert ein wenig an die römische Sieben-Kirchen-Wallfahrt. Nach unserem Gottesdienst werden wir uns auf verschiedene Angebote in den Mainzer Kirchen verteilen, so dass wir uns wenigstens in kleinem Rahmen auf einen Weg begeben.
In der Einladung zum heutigen Tag wurde die Wallfahrt thematisiert, die durch den hl. Philipp Neri in Rom im 16. Jahrhundert als Alternative zur Fassnacht wiederbelebt wurde, aber Philipp Neri war kein Freund der Traurigkeit. Auch die Wallfahrt war nichts Todernstes:„Wenn der auf Zucht und Ordnung bedachte Kardinal Moroni einer skurril anzusehenden Karawane aus Psalmen singenden Menschen und mit Chianti-Flaschen und Fleischpasteten beladenen Mauleseln begegnete und den Anführer dieser fröhlichen Wallfahrt ob solcher ,Schlemmerei' lautstark zur Rede stellte, dann war dieser wie ein begossener Pudel dastehende Pilgerführer bestimmt wieder Pippo buono, das gute Philippchen, wie Neri längst überall genannt wurde." So berichtet der Buchautor Christian Feldmann (Christian Feldmann: Gottes sanfte Rebellen, Freiburg 1984). Das Beten, Gehen und das Nachdenken über die neue Hinwendung zu Gott soll wenigstens von einer inneren und äußeren Freude geprägt sein.
Der gemeinsame Beginn hier im Dom ist die Feier der Eucharistie als „Quelle und Höhepunkt" unseres Glaubens. Bei der letzten Sitzung der Bischofskonferenz haben die deutschen Bischöfe für Menschen in konfessionsverbindenden Ehen die Möglichkeit eröffnet, nach einem Seelsorgsgespräch, einer wirklich geistlichen Beschäftigung mit der Eucharistie in einer Glaubenssituation, die als Notlage empfunden wird, gemeinsam die Eucharistie zu empfangen. Ich finde, dass dies neben der ökumenischen Chance auch eine Einladung an uns alle ist, die Bedeutung der Eucharistie für uns noch einmal zu bedenken. Die Idee der Bischöfe ist, dass die Gesprächsgrundlage für den Seelsorger das Hochgebet der Messe sein soll, in dem sich die Wandlung vollzieht, und die Gemeinschaft der Kirche mit dem Papst und dem Bischof zum Ausdruck kommt. Glauben wir an die Hingabe Jesu in Brot und Wein, an die verwandelnde Kraft des Geistes Gottes, an die Gemeinschaft der Kirche über den eigenen Kirchturm hinaus? Ist für uns die Eucharistie Ausdruck der Gemeinschaft mit den Menschen, die vor uns gelebt haben, so dass sich irdische und himmlische Kirche verbinden? Früher bereitete man sich auf den seltenen Kommunionempfang durch die Beichte vor. Bereits Papst Pius X. ermutigte die Katholiken zu einem häufigeren Empfang. Das gute Anliegen hat einen vielleicht manchmal sehr unbedachten Kommuniongang zur Folge. Ich trete in die Gemeinschaft mit Christus ein, die enger nicht sein könnte. Es geht ja nicht um heiliges Brot, sondern um die freundschaftliche Begegnung mit dem Herrn. Und eine Begegnung mit Christus soll nicht folgenlos sein. Sie verwandelt auch uns zu einer Gemeinschaft. Wie Brot und Wein verwandelt werden, werden wir verwandelt. Es ist eine ständige Testfrage an uns, ob das im Alltag, im gemeinsamen Arbeiten und Leben wirksam und spürbar wird. Wenn wir uns heute der Umkehr stellen, dann geht es um dieses alltägliche Tun aus dem Geist Christi heraus. Und in der österlichen Bußzeit darf ich Sie zum Empfang des Bußsakraments ermutigen, das eine ständige Einladung an uns ist, uns erneuern zu lassen durch Gottes Barmherzigkeit.
Eine Wallfahrt, auch wenn sie nur kurz ist, führt uns auf einen Weg durch unsere Stadt. Das war auch der Sinn der römischen Wallfahrt. Gott geht unsere Wege mit. Glauben und Kirche-Sein bedeutet immer auch Aufbruch und Unterwegs-Sein. Wir als glaubende Menschen gehen auf den Straßen unserer Stadt, wir begegnen Menschen, sehr unterschiedlichen Leuten mit ihren Fragen, in ihrer Hektik, ihren Freuden und Sorgen. Was heute ein Element unseres Besinnungstags ist, sagt uns etwas über unseren kirchlichen Auftrag. Wir leben als Teil unserer Welt, bringen das Evangelium in Tat und Wort, und sollen wachsam sein für die Spuren Gottes im Leben eines jeden Menschen. Im Moment stehen wir am Beginn eines pastoralen Weges im Bistum Mainz. Es gab viele Gespräche in den Gremien des Bistums, und bei meinen Besuchen in den Dekanaten kann ich mit vielen Menschen sprechen. Mitanderen Bistümern sprechen wir über deren Erfahrungen. Es wird zunehmend deutlich, dass es erst in zweiter Linie um strukturelle Fragen geht, auch wenn diese wichtig werden. Es geht um Grundhaltungen, die wir einüben müssen. Wie kann Kirche heute Menschen begegnen, wie kann sie hören? Was ist Gottes Wille für unsere Zeit? Wir spüren zunehmend: Auch die Kirche muss umkehren. Auf der Bischofskonferenz sind wir mit der schwierigen Finanzsituation in einzelnen Bistümern konfrontiert worden, die aber einen Systemfehler der Kirche insgesamt offenbaren. Man hat Kirche oft als ein geschlossenes System gesehen, „wir machen die Sachen unter uns aus". Kontrolle fand nicht statt, oder sie fand unprofessionell statt. Geld wird dann verwaltet nach Gutsherrenart. Es sichert die eigene Welt, in der man sich sicher zu bewegen glaubte. Kirchliches Vermögen aber ist das Vermögen der Gläubigen, das der Kirche anvertraut ist, um ihre Aufgaben in der Welt für die Menschen leisten zu können. Uns Bischöfen ist drastisch klar geworden, dass es so nicht weiter gehen kann. Geld dient, Besitz dient, Macht dient. Nicht mir, nicht unserem System, sondern unserem Auftrag. Dieses Umdenken gilt für das Bistum, und das muss heruntergebrochen werden auch auf die Gemeinden und andere kirchliche Orte. Wenn die Grundhaltung stimmt, werden wir mit Gottes Hilfe gute Wege finden und gehen können. Ich bin davon überzeugt, dass Gott auch für unsere Zeit Wege zeigen wird, die er für uns bereitet hat.
Die Kirchen, in denen wir uns versammeln, halten die Erinnerung an Gottes Gegenwart wach. Gott ist da, davon sprechen die Gebäude, die Türme, die Glocken rufen zum Gebet, auch heute noch. Sie sind lebendige Glaubenszeugnisse, erinnern an Personen, an historische Erfahrungen, oft auch an schwere Zeiten. Sie stehen dafür, dass Gott immer mitgegangen ist. Ich bin dankbar, dass wir einen solchen Reichtum in unserer Bischofsstadt haben. Heute bilden wir die Kirche aus lebendigen Steinen. Auch wir werden unsere Fußabdrücke hinterlassen. Ich möchte mir eine Welt ohne Christinnen und Christen, ohne unsere Kirche nicht vorstellen. Der heutige Tag ermutigt uns, bewusst und froh unseren Weg zu gehen. Er ermutigt uns, unsere Kirchengebäude mit Leben zu füllen, eine offene Kirche zu leben, die einladend wirkt auf Menschen, die uns begegnen und auf der Suche nach einem guten und erfüllten Leben sind.
Ich wünsche uns allen die frohe Erfahrung, dass Christus unsere Mitte bildet, dass Gott mit uns unterwegs ist, dass wir mehr sind als Kolleginnen und Kollegen, sondern auch eine Gemeinschaft der Glaubenden, die sich gegenseitig bereichern und begleiten.