„Lobgesänge gegen den Tod“: So hat der Bibelwissenschaftler Erich Zenger einmal die Psalmen der Heiligen Schrift bezeichnet. Solange jemand in das Gotteslob der Psalmen und anderer Gesänge der jüdisch-christlichen Tradition einstimmen kann, steht er auf Seiten des Lebens und der Hoffnung; auch Klage und Trauer ändern daran nichts. Der Klageschrei wendet sich an einen hörenden Gott, der sein Herz berühren lässt. In der Liturgie, der Kirchenmusik und auch im Gotteslob wird den Psalmen als den Grundgesängen der Bibel ein weiter Raum gegeben. Sie geben unserem Beten Qualität und Bedeutung. Sie ermutigen zum Lob, zum Dank, zum Klagen und zum Bitten. Indem wir Gott loben, indem wir singen, bekennen wir uns zum Leben. Das gilt auch für den großen Schatz der Kirchenmusik insgesamt. Viele Texte gehen auf biblische Vorbilder zurück, sie bringen die alten Texte in die Sprache unserer Zeit bzw. in die Zeit, in der die Lieder und Stücke komponiert wurden. „Lobgesänge gegen den Tod“: wir brauchen sie in unseren Tagen so sehr. Sie haben sich in dieser Woche in unterschiedlicher Weise mit dem Singen gegen den Tod beschäftigt und dass nicht nur in der Theorie, sondern auch in der Praxis, allein und in der Gemeinschaft. Bei Erich Zenger finde ich gute Gedanken für den heutigen Gottesdienst.
Der Lobpreis des einen Gottes bedeutet, sich gegen die Verehrung anderer Götter zu verweigern. Falsche Götter, Propheten und Götzen begegnen uns immer wieder: Personen, die sich als Verführer der Menschen oder als Heilsbringer aufspielen. Reichtum, Stärke, Schnelligkeit, Kraft, Gesundheit, die sich leicht in den Vordergrund drängen. Das Beten und Singen von Psalm 82 erinnert Kriegstreiber und Despoten unserer Tage daran, dass diejenigen, die sich für Götter halten, vom Thron gestoßen werden. Gott ist der einzige Gott, er richtet über Lebende und Tote. Die Gesänge der Liturgie stellen Gott in die erste Reihe. Und dieser Gott macht auch den Menschen, der singt, groß und bedeutsam. Wie wichtig ist es, zu wissen, was Gott ausmachen kann. Immer wieder bewegte mich ein Augenzeugenbericht, der von den Tagen des Sterbens von Maximilian Kolbe im Konzentrationslager Auschwitz berichtet. Beim täglichen Morgenappell wurde ein Gefangener vermisst, der wohl geflohen war. Dafür sollten zehn andere den Hungertod sterben. Maximilian Kolbe, der Minoritenpater, ging für einen Familienvater in den Hungerbunker, wo er den Tod finden sollte. Die Folterknechte konnten so ihre Macht ausüben. Wie anschließend berichtet wird, drängten aus der Todeszelle bis zuletzt Gesänge nach außen. Die zehn Männer sangen Lieder, Lobgesänge gegen den Tod. Es war ein Bekenntnis zum Gott des Lebens, aber es war auch die klare Botschaft, dass menschliche Macht über andere nicht das letzte Wort haben wird. Gott bleibt Gott; im Grunde war es auch eine klare Aussage gegen die Folterknechte, deren Macht im Tode endet. Der Glaube an den einen Gott war in diesem Beispiel ein Zeichen einer letzten inneren Freiheit, die nie vergeht.
Lieder gegen den Tod symbolisieren eine Beziehung zu diesem Gott. Im Singen können wir Menschen dieser Beziehung lebendigen Ausdruck geben. Singen und Musik weiten den Blick auf ein „Du“ – und sie führen Menschen zu einer Gemeinschaft zusammen. Gesang verbindet Menschen unterschiedlicher Sprachen und Kulturen. Lieder gegen den Tod sind immer auch ein Ausdruck eines dauerhaften Friedens. Gott im Gesang anzusprechen, den eigenen Gefühlen Sprache zu verleihen, eine Beziehung zu besingen mit Höhen und Tiefen, befreit den Menschen aus der Enge seines oft kleinen „Ich“. Besonders die Psalmen erinnern an die großen Heilstaten Gottes in der Geschichte des Gottesvolkes. Der Sänger, die Sängerin stellt sich in die große Heilsgeschichte Gottes mit den Menschen. Dieser Gott wird mich nie verlassen – auch wenn ich klage und schreie.
So ist der Gesang immer auch Ausdruck einer Hoffnung auf Leben: Lieder gegen den Tod. Von Dietrich Bonhoeffer stammt der Text: „Ein Glaube, der nicht hofft, ist krank. Er ist wie ein hungriges Kind, das nicht essen, oder wie ein müder Mensch, der nicht schlafen will. So gewiß der Mensch glaubt, so gewiß hofft er. Und es ist keine Schande zu hoffen, grenzenlos zu hoffen. Wer wollte auch von Gott reden, ohne zu hoffen. Wer wollte auch von Gott reden, ohne zu hoffen, ihn einmal zu schauen? Wer wollte von Frieden und von der Liebe unter den Menschen reden, ohne sie einmal in Ewigkeit erleben zu wollen? Nicht unserer Hoffnung werden wir uns einstmals zu schämen haben, sondern unsrer ärmlichen und ängstlichen Hoffnungslosigkeit, die Gott nichts zutraut, die in falscher Demut nicht zugreift, wo Gottes Verheißungen gegeben sind, die resigniert in diesem Leben und sich nicht freuen kann auf Gottes ewige Macht und Herrlichkeit. Je mehr ein Mensch zu hoffen wagt, desto größer wird er mit seiner Hoffnung: Der Mensch wächst mit seiner Hoffnung – wenn es nur die Hoffnung auf Gott und seine alleinige Kraft ist. Die Hoffnung bleibt.“ Gesang kann dies ausdrücken. Nicht umsonst singen die Engel in der biblischen Vorstellung vom Sieg des Lammes über das Böse und den Tod, und wir Menschen schließen uns ihnen an. Im Gesang überdauert die Hoffnung auf den Gott des Lebens den Tod.
Wenn Sie aus dieser Woche mit den Erfahrungen der Gemeinschaft und auch der eigenen Fähigkeiten herausgehen, nehmen Sie die Hoffnung mit und bringen sie in Ihrem Dienst zum Klingen. Menschen brauchen gerade in unseren Tagen Lieder gegen den Tod, Lieder gegen die Selbstüberhöhung, Lieder gegen Sprachlosigkeit. Musik braucht es, um eine sich zunehmend spaltende Welt, Gesellschaft und Kirche zusammenzuhalten. Insofern kann ich mir eine Kirche ohne Gesang und Musik nicht vorstellen. Ich bin dankbar, dass es in der Kirche Menschen der Hoffnung gibt, Menschen des Glaubens, die andere anstecken, nicht zuletzt durch Musik und Gesang. Es gibt ein Lied, das auch Gott mit Gesang verbindet. Es heißt in der ersten Strophe: „Ich glaub an einen Gott, der singt, von dem alles Leben klingt.“ Gott selbst singt Lieder gegen den Tod. Wir stimmen gerne mit ein.