Feier der Sendung der Pastoralreferentinnen und –referenten

Predigt von Bischof Peter Kohlgraf beim Pontifikalamt am 11. August 2018 im Hohen Dom zu Mainz

Predigt Bischof Kohlgraf am 11. August 2018 (c) Bistum Mainz
Datum:
Sa. 11. Aug. 2018
Von:
Bischof Peter Kohlgraf
Liebe Frau Mersch, lieber Herr Napp, liebe Frau Vetter, Schwestern und Brüder, In der Nacht zum Palmsonntag 1212 verlässt eine 18jährige junge Frau aus adliger Familie ihr Elternhaus, um sich einer Gruppe anzuschließen, die ein radikal armes Leben führt. Sie verzichtet auf die Familie, auf irdische Sicherheit, auf Besitz und weiht sich Christus, ihrem Bräutigam, in der kleinen Portiunkulakapelle in der Nähe der kleinen Stadt Assisi in Umbrien. Das Bemühen ihrer Verwandten, sie zurückzuholen, bleibt erfolglos. Über vierzig Jahre lebt diese Frau mit Namen Klara (Chiara) im kleinen Kloster San Damiano mit einer Gruppe gleichgesinnter Frauen, in ständigem Kontakt zu Franz von Assisi und seinen Gefährten, die demselben Armutsideal entsprechend leben, wenn auch in einer anderen Form. Dem armen Christus nachfolgen, in Radikalität und konsequent – das war der geistliche Weg dieser merkwürdigen Menschen. Heute feiern wir das Fest dieser Frau, die Kirche hat Klara bald nach ihrem Tod 1253 heiliggesprochen. Heute werden Sie gesendet zu einem Dienst in der Kirche von Mainz. Ich bin davon überzeugt, dass die Heilige uns und Ihnen heute etwas zu sagen hat.

In seinem Roman „Josef und seine Brüder“ beschreibt Thomas Mann die Berufungserfahrung des Abraham. Abraham wird als ein Mensch eingeführt, der sich seiner Würde bewusst wird. Ein stolzer Mann. Welchem Ziel unterwirft er sein Leben? Diese Frage treibt ihn um, den „Urwanderer“, wie Thomas Mann ihn nennt. Ausgangspunkt sei die hohe Selbstachtung gewesen, die den „Urvater“ geleitet habe, „ein Selbstgefühl, das man fast hoffärtig und überhitzt hätte nennen können“ und das seine hochgemute Forderung begründete, mit der alles anfing: „Ich, Abram, und in mir der Mensch, darf ausschließlich dem Höchsten dienen.“ Alles andere würde seinem stolzen Selbstverständnis nicht gerecht. Vielleicht lebt etwas von diesem stolzen Selbstbewusstsein in Klara von Assisi: „Wenn ich jemandem diene, dann allein dem Höchsten, keinem Menschen, nicht dem Geld, nicht menschlichem Ansehen.“ Der Franziskaner Richard Rohr beschreibt die heilige Klara als eine Meisterin, das Unwichtige und Zweitrangige loszulassen und in die Tiefe zu gehen[1]. Sie ist ein Mensch der tiefen Sehnsucht nach Gott, dem Höchsten, dem Urgrund des Lebens, sie sucht nicht etwas, sie sucht das Ganze, sie sucht „das“ Leben. Das scheint mir ein erster guter Gedanke am Tag der Sendung zu sein: in die Tiefe gehen, Menschen der Gottsehnsucht werden, die sich nur mit Gott allein zufrieden geben, die allein dem Höchsten dienen wollen. Gott sendet Sie heute, niemand geringerer. Er nimmt Sie in seinen Dienst, er, der Höchste. Ihm dürfen Sie die Wege in die Welt und zu den Menschen ebnen, niemand Geringerem. Das ist ein großartiger Ruf, den man tatsächlich auch in recht verstandenem Stolz bezeugen darf: Ich bin im Namen des Höchsten unterwegs. Das ist keine Überheblichkeit, sondern ein demütiges Zeugnis. Jeder und jede Gesandte ist nicht im eigenen Namen unterwegs. Er ruft, er sendet. Von der heiligen Klara gilt es nun zu lernen, Meisterinnen und Meister des Wesentlichen zu werden, in die Tiefe zu gehen, allein dem Höchsten zu dienen und nicht dem Sekundären, das sich auch in der pastoralen Arbeit oft in den Vordergrund schiebt. Das heißt aber auch, dass wir gerufen sind, ein Leben lang Spurensucher dieses Höchsten zu bleiben, nach seinem Willen zu fragen, mit ihm im Gespräch zu bleiben. Menschen suchen heute gewiss auch nach Menschen, die eine Ahnung vom wahren Leben in sich tragen.

Klara lernt, wie das konkret geht. Für sie ist Gott keine abstrakte Idee, er ist Person. Sie sucht in der Kontemplation, im Gebet, das Antlitz Gottes. Und sie findet es in Christus, dem Abglanz seiner Herrlichkeit. In Christus spiegelt sich Gottes Ewigkeit in einem menschlichen Antlitz. Gebet ist für sie Anschauung dieses menschgewordenen Gottessohns. Sie betrachtet die Evangelien, seine Menschheit, seine Liebe, seine Zuwendung und schließlich auch seine Armut und Nähe zu uns Menschen. Sie sucht Gott nicht in den Sternen, in der Weite, sondern im Anschauen und sich Anschauen lassen[2] in diesem Gesicht des Mannes in Nazareth und in Jerusalem am Kreuz. So sehr sie dem Höchsten allein dienen will, findet sie den Höchsten doch allein in diesem Menschen Jesus von Nazareth. Dabei macht sie die Erfahrung, dass dieses Eintauchen in seine liebende Gegenwart sie nicht unverändert lässt. Christus nimmt den Menschen mit Haut und Haar, mit Herz und Verstand. In ihm berührt sie die Sehnsucht Gottes, beim Menschen zu sein. Christus gestaltet sie um, sie wird ihm ähnlich. Mehr und mehr versteht sie, dass Christusähnlichkeit Abstieg, Armut und Dienst bedeuten. Nicht die verklärte Seligkeit ist die Realität des Glaubenden, sondern das Einswerden mit ihm in seiner Menschlichkeit und seiner Menschenfreundlichkeit. Das kann man so zusammenfassen: sie lernt es, die eigene Gewöhnlichkeit, Schwäche und Begrenzung zu lieben und froh damit zu leben. Das Eintauchen und die Christusähnlichkeit sind keine spirituellen Heldentaten, sondern der alltägliche Dienst, das Aushalten der schwesterlichen Gemeinschaft mit allen Menschlichkeiten und Begrenzungen: das ist der Platz ihres Dienstes. Der pastorale Alltag wird für Sie, liebe Frau Mersch, liebe Frau Vetter und lieber Herr Napp, vieles von diesen Erfahrungen enthalten. Das Alltägliche lieben, den Menschen freundlich begegnen, Christus immer wieder im Gebet und in der Betrachtung die eigenen Grenzen hinhalten und mit ihm den Weg des Abstiegs gehen in Menschlichkeit und Menschenfreundlichkeit. Das ist die entscheidende Erfahrung christlicher Existenz und Spiritualität. Bleiben Sie Menschen, die sich von Jesu Liebe, von seinen Wunden und den Wunden der Menschen berühren lassen. Erlernen Sie die Liebe in seiner täglichen Schule, beginnen Sie den Alltag und die Gewöhnlichkeit zu lieben: die Gewöhnlichkeit des eigenen Tuns, die Gewöhnlichkeit der Menschen, zu denen Sie gesandt werden.

Klara und ihre Schwestern bemühen sich um ein Leben, das laut von Gottes Liebe erzählte[3]. So schaffen sie ein christliches Prinzip, das für alle Christen bedeutsam bleibt. Ein Leben zu versuchen, das laut von Gottes Liebe erzählt. Ihre letzten überlieferten Worte fassen ihr ganzes Lebensprogramm zusammen: „Geh nun, du hast einen guten Begleiter. Der dich erschaffen hat, sorgt für dich. Der dich erschaffen hat, wird dich beschützen, wie eine Mutter ihr kleines Kind beschützt.“ Diese Sätze scheinen mir auch für den Sendungsgottesdienst heute ein wunderbarer Zuspruch zu sein. „Geht nun, ihr habt einen guten Begleiter. Der euch erschaffen hat, sorgt für euch. Der euch erschaffen hat, wird euch beschützen, wie eine Mutter ihr kleines Kind beschützt.“

Sie haben in Ihrem Leitwort einen Satz aus Psalm 16 genommen. „Du zeigst mir den Weg zum Leben. Vor deinem Angesicht herrscht Freude in Fülle.“ (Ps 16,11). Den Weg zum Leben geht Klara im Betrachten Jesu und indem sie eintaucht in seine Liebe. Wir wünschen Ihnen, dass Sie einen solchen Weg gehen, und damit auch zunehmend Wegbegleiterinnen und –begleiter für andere werden, durch ein Leben, das laut von Gottes Liebe erzählt.

[1] Richard Rohr, Die Liebe leben. Was Franz von Assisi anders machte, Freiburg, Basel, Wien 2014, 145-157.

[2] Vgl. Margareta Gruber u.a. (Hg.), Gottes-Sehnsucht. Einübungen in franziskanische Spiritualität, München 2005, bes. 100-108.

[3] Richard Rohr, 153.