Die letzten Worte und Gesten eines Menschen vor seinem irdischen Abschied wiegen besonders schwer. Von berühmten Menschen werden letzte Worte überliefert, die dem Sterben Gewicht geben und der Nachwelt etwas Wichtiges hinterlassen sollen.
Die Australierin Bronnie Ware hat viele Jahre in der Palliativmedizin gearbeitet und Menschen in ihrer letzten Lebensphase betreut. Sie hat fünf Punkte zusammengestellt, was Menschen im Rückblick auf ihr Leben bedauern.1 Zuerst benennen die Sterbenden, dass sie mehr nach den eigenen Vorstellungen hätten leben müssen und nicht nach den Erwartungen anderer. Dann habe die Arbeit einen zu großen Stellenwert eingenommen. Menschen bedauerten, ihre Gefühle unterdrückt zu haben. Freundschaften hätten eine zu geringe Rolle gespielt. Und schließlich sei das Bemühen um ein glückliches Leben zu kurz gekommen.
Wie hätte Jesus wohl auf die Themen reagiert? Natürlich haben Menschen insgesamt vor 2000 Jahren andere Lebensschwerpunkte gesetzt, aber die Evangelien geben Hinweise darauf, wie Jesus wohl auf sein Leben geblickt hat. Gerade der Abend des Gründonnerstags war wohl ein Abend einer derartigen Einkehr Jesu. Was war ihm wichtig im Hinblick auf sein Leben und seinen Abschied? Jesus spricht so etwas wie seine letzten Worte an seine Freunde, mit denen er das letzte Abendmahl feiert. Wie hätte er eingeschätzt, nicht nach den eigenen Vorstellungen gelebt zu haben? Bei ihm wird immer wieder deutlich, dass er ganz eins ist mit dem Vater, auch wenn er immer wieder mit ihm ringt um den rechten Weg. In den Nächten des Gebets bringt er sein Leben mit dem Willen des Vaters zusammen. Der Hebräerbrief fasst diese Lebenseinstellung Jesu zusammen (mit Verweis auf Ps 40): „Da sagte ich: Siehe, ich komme – so steht es über mich in der Schriftrolle –, um deinen Willen, Gott, zu tun. Zunächst sagt er: Schlacht- und Speiseopfer, Brand- und Sündopfer forderst du nicht, du hast daran kein Gefallen, obgleich sie doch nach dem Gesetz dargebracht werden; dann aber hat er gesagt: Siehe, ich komme, um deinen Willen zu tun.“ (Hebr 10,7-9).
Jesu Leben besteht darin, den Willen seines Vaters zu erfüllen. Moderne Menschen würden vielleicht einen Einwand bringen: Wie kann ein Mensch glücklich werden, wenn er so fremdbestimmt ist? Jesus hätte wohl dagegen geantwortet. Sich in den Händen eines absolut liebenden Vaters zu wissen, ist für ihn die Quelle tiefsten Glücks. Das Wort Gottes gibt ihm in den verschiedenen Lebenslagen Orientierung und ist wirklich Quelle der Freude. Glück bedeutet für Jesus, den eigenen Horizont zu weiten, und so Erfüllung zu finden. Der Glaube an den Vater ist für ihn der Grund wirklicher Freiheit. Er macht sich eben nicht abhängig von den Meinungen und oberflächlichen Erwartungen der Menschen. Gott ist die Quelle innerer Freiheit. Wie oft haben dies glaubende Menschen gegenüber politischen Diktaturen erwiesen. Einem Maximilian Kolbe, einem Pater Delp, einem Dietrich Bonhoeffer und vielen anderen konnte die Diktatur und ihre Androhung von Gewalt und Tod nicht die innere Freiheit rauben. Wer sich durch Gottes Wort leiten lässt, hat innere Freiheit, er ist eben nicht fremdbestimmt, sondern findet zu seiner eigentlichen Bestimmung und Freiheit.
Wie schaut Jesus wohl am letzten Abend seines irdischen Lebens auf sein Arbeitspensum zurück? Es gibt Hinweise darauf, dass Jesus manchmal an seine körperlichen und seelischen Grenzen kam, wenn die Menschen mit all ihrem Leid und ihren Sorgen zu ihm kamen. Eine Quelle ist das Gebet, um die Last tragen zu können. Seine Begegnung mit den Menschen, in denen sich das Reich Gottes verwirklicht, ist für ihn seine Berufung, sie ist sein Lebensinhalt. Für die Menschen ist er da, ihnen gilt seine Sendung. Das ist sicher nicht in jedes menschliche Leben mit seinen Begrenzungen zu übertragen. Aber dennoch stelle ich mir die Frage, ob ich meine Arbeit nur als notwendige Last sehen kann oder sie als Berufung verstehen will. Ich werde mich nicht nur über die Tätigkeiten definieren wollen, aber meine Arbeit, die ich leiste, in den vielen Begegnungen und Möglichkeiten, will ich als meine Berufung leben, in der ich versuche, Gottes Herrschaft zu verwirklichen und zu leben. Es stimmt aber auch, dass meine Würde nicht nur an den beruflichen Leistungen hängt. In den alltäglichen Herausforderungen ist Jesus ein Vorbild, immer wieder an die Quellen zu gehen, die meine Arbeit und Berufung möglich machen. Auch ich brauche das Gebet, um mich zu orientieren und die rechten Schwerpunkte setzen zu können.
Dass Jesus seine Gefühle verborgen hätte, kann man ihm wohl nicht vorwerfen. Er hat nicht nur Liebe und Mitleid gezeigt, sondern auch Engagement bis hin zum Zorn. Der Eifer für Gott und die Menschen hat ihn leidenschaftlich verzehrt, so sagt es das Johannesevangelium (2,17). Jesus war Liebe und Barmherzigkeit, das waren seine Gefühle für die Menschen. Dem widersprach nicht, dass er Unrecht und Sünde beim Namen nennen konnte. Sein Bemühen um Gerechtigkeit ist Ausdruck seiner Liebe gerade gegenüber den Armen und Schwachen.
Für viele Menschen am Lebensende ist die Freundschaft ein Thema. Das letzte Abendmahl ist die Feier und Bestätigung einer über den Tod hinausreichenden Freundschaft. Er nennt uns, seine Jüngerinnen und Jünger, nicht mehr Knechte, sondern Freunde. Für uns gibt er sein Leben hin, die Gaben von Brot und Wein garantieren seine bleibende Gegenwart über seinen irdischen Tod hinaus. Jesus war zu tiefer Freundschaft fähig, denken wir an Lazarus, Maria und Martha, von denen im Johannesevangelium erzählt wird. Aber er nimmt alle in seine Freundschaft, die sich darauf einlassen. Jedes Mal, wenn wir ihn empfangen in Brot und Wein, schenkt er uns sein Leben, seine Nähe, seine Freundschaft. Mit den Konsequenzen, dass wir ihm immer ähnlicher werden sollen. Wer ihn empfängt, wer in seiner Freundschaft lebt, kann nicht hassen, Gewalt ausüben in Tat, Wort und Gedanken. In den Kriegen unserer Zeit ist eines der großen Ärgernisse, dass sich Menschen bekämpfen, die von sich behaupten, in seiner Freundschaft zu leben.
Um zum letzten Punkt zu kommen: War Jesus glücklich? Vordergründig zeigt sich das nicht deutlich. Aber glücklich, indem er sein Leben als sinnvoll sieht, indem er es nach Gottes Willen lebt und sich in seiner Hand wusste, ist es sicher. Beim letzten Abendmahl nimmt er uns mit in diese Glückserfahrung. Gott ist treu zu seinem Bund, das feiern Menschen in jeder Eucharistie. Vielleicht kann ich am Ende meines Lebens sagen: Ich war glücklich, weil mein Leben geborgen ist und ein Ziel und einen Inhalt hatte.
Hat Jesus etwas bedauert am Ende des Lebens? Wohl dieses eine: Dass viele Menschen diese Liebe nicht annehmen konnten, wollten, können oder wollen, bis heute. Am Kreuz wollte er alle Menschen an sich ziehen. Am Gründonnerstag nimmt er diese Hingabe in den Gaben von Brot und Wein vorweg. Wir sollten stellvertretend für andere, die für Jesu Freundschaft nicht mehr offen sind, unsere Hände uns unser Herz öffnen.
Wenn ich Jesus kenne und in seiner Freundschaft lebe, werde ich vielleicht nicht erst in meinen letzten Tagen darüber nachdenken, was denn mein Leben reich macht. Ohne Jesu Freundschaft will ich nicht gelebt haben. Ein Professor während meines Studiums hat einmal ein Lied als sein Lieblingsgebet vorgestellt, es findet sich – Gott sei Dank – wieder im Gotteslob: „Jesus, dir leb ich, Jesus, dir sterb ich. Jesus, dein bin ich im Leben und im Tod. O sei uns gnädig, sei uns barmherzig, führ uns, o Jesus, in deine Seligkeit.“ (GL 367). Heute Abend können wir von Jesus das Leben lernen, das, was am Ende des Lebens zählt: Freude an Gottes Wort, innere Freiheit, Freundschaft zu den Menschen, Vertrauen auf seine Nähe, zu wissen, was die Nahrung ist, von der wir leben, und das wahre Glück, das etwas anderes ist als die reine Selbstverwirklichung. Dieses Glück wird über den Tod hinausreichen. Nehmen wir an diesem Abend neu das Angebot seiner Freundschaft an.
1 5 Dinge, die Sterbende am meisten bereuen, München 2015.