„Zieht an die Waffenrüstung Gottes, um den listigen Anschlägen des Teufels zu widerstehen.“ (Eph 6,10). Ausgerechnet am Tag der Einführung des neuen Spirituals am Mainzer Priesterseminar hören wir diesen Text aus dem Epheserbrief.
Er gibt uns einen Einblick in die Welterfahrung einer kleinen Gemeinde, die sich wahrscheinlich nicht wesentlich von der ihrer andersgläubigen Zeitgenossen unterscheidet. Leben ist Kampf, Anfechtung, ein dem Bösen Ausgeliefertsein. Menschen erleben sich als hilflos gegenüber anonymen Mächten, die ihr Schicksal bestimmen. Gerade vor diesem düsteren Hintergrund entdecken sie den Wert des geistlichen Lebens, den Wert des Gebets, die Chance, die in einer glaubenden Gemeinschaft steckt. Der Text ist weit weg von uns – oder doch nicht?
Allein die Rede vom Teufel kommt uns nicht leicht über die Lippen. In der Verkündigung haben wir uns von ihm verabschiedet. Stellt man bei der Taufe oder bei der Firmung die Frage: „Widersagt ihr dem Satan?“ – ist es vielen eher peinlich. Papst Franziskus nennt den Teufel immer wieder – und wird nicht selten dafür belächelt. Der Schriftsteller C.S. Lewis (+1963) hat sich in seinem Buch „Dienstanweisungen an einen Unterteufel“ mit viel Menschenkenntnis und gleichzeitig humorvoll mit der Realität des Bösen auseinandergesetzt. Ein „Oberteufel“ gibt seinem Neffen, dem „Unterteufel“, Hinweise auf einen dem Teufel nützlichen Umgang mit dem Menschen. Im Vorwort findet sich der Hinweis darauf, dass es zwei dem Teufel nützliche Irrtümer gebe. Entweder leugne jemand dessen Existenz generell, oder jemand verehre den Teufel durch magische Praktiken: „Die Teufel selbst freuen sich über beide Irrtümer gleichmäßig.“ Den Teufel und seine Tätigkeit zu leugnen, nützt ihm. Es gibt nichts Besseres, als ihn zu unterschätzen oder zu ignorieren. In den folgenden Kapiteln gibt der teuflische Onkel seinem Neffen Hinweise auf einen zielführenden Umgang mit dem Menschen. Wann hat der Teufel Erfolg? Sein Erfolg liegt nicht darin, den Menschen rational von der Unmöglichkeit Gottes zu überzeugen. Es ist auf keinen Fall Ziel des Teufels, den Menschen zum Nachdenken zu bringen: „Nicht Vernunftgründe, sondern Schlagworte sind deine besten Helfer, deinen Mann der Kirche fernzuhalten.“ Tatsächlich leben wir wohl in einer Zeit medialer Schlagworte – nicht nur gegen die Kirche. Alles, was einen Menschen von einem tieferen Nachdenken abhält, nützt dem Teufel. Der Teufel hat kein Interesse daran, sein Opfer mit wissenschaftlichen Erkenntnissen zu konfrontieren. Alles, was das eigene Nachdenken schwächt, spielt dem Teufel in die Hände. Und es gilt: Menschen werden vom Glauben abgehalten, indem sie sich ins Alltägliche verlieren. Wo der Alltag so dominant wird, dass Gott nicht mehr in den Blick kommt, hat der Teufel gewonnen. Der Oberteufel resümiert: „Einer unserer besten Bundesgenossen ist gegenwärtig die Kirche selbst. (…) Ich meine natürlich nicht die Kirche, wie wir sie sehen: sich über Raum und Zeit erstreckend und verwurzelt in der Ewigkeit. (…). Alles, was dein Patient sehen kann, ist ein halbvollendetes Gebäude in falscher Gotik auf einem Neubaugrundstück.“ Ein Kirchgänger bietet dem Patienten ein liturgisches Buch dar, das für beide unverständlich ist. Die Nachbarn in der Kirche sind unerträglich. Das soll der Leib Christi sein, von dem in der Kirche in großen Worte gesprochen wird? Sobald der andere falsch singt, und in anderen Bereichen auffällt, ist jemand so vom Wesentlichen abgelenkt, dass er Gott nicht mehr nahekommen kann. „Arbeite aus allen Deinen Kräften an der Ernüchterung oder den Widersprüchen, die Dein Schützling während (…) seiner Kirchenzugehörigkeit erleben wird.“ Die Ernüchterung über den Alltag der Kirche macht jeden Glauben kaputt – so der Oberteufel. Dieser Gedanke ist erschreckend aktuell. Ein Glaube, der nur am guten Gefühl hängt, bietet ebenfalls ein gutes Einfallstor für das teuflische Bemühen, von Gott abzubringen. Genauso die Beobachtung, dass die Christen auch keine besseren Menschen sind.
Es lohnt sich, C.S.Lewis zu lesen, weil seine Gedanken und Erkenntnisse in das eigene geistliche Leben auch heute hineinreichen. Der Teufel und seine bösen Geister sind bis in die Kunstgeschichte interessant. Die Gesichter böser Geister etwa in der mittelalterlichen Kunst sind immer interessanter als die der Engel und guten Geister. Das Gute (Gott) wird dargestellt als in sich ruhend, weise, gütig, während die Dämonen, das Böse, als rastlos, getrieben, selbstgefällig, gezeichnet wird. Man kann es aber auch so empfinden: das Gute ist auf Dauer eintönig, langweilig, ja, spießig, während das Böse spannend, aufregend, abwechslungsreich und verlockend ist. Die Sünde macht Spaß, aber eben auf Kosten anderer. Es ist der teuflische Trick, seine Angebote als interessant und verlockend anzupreisen.
Der Teufel ist daher in der kulturellen Beschäftigung interessanter als das Gute. Klaus Mertes bezeichnet in einem Buch einen Roman von Stephen King mit dem Titel „In einer kleinen Stadt“ als einen der „genialsten Romane“ über den Teufel[1]. Der Teufel eröffnet einen Laden, in dem er attraktive Sachen billig verkauft. Der gute Preis läuft unter einer Bedingung. Jeder Kunde erhält die Auflage, einem anderen zu schaden. Am Ende droht die Stadt in Mord und Totschlag zu versinken. Der Teufel tritt mit freundlichem Gesicht auf, mit guten Begründungen, mit Versprechen. Er verkleidet sich sympathisch. Sogar Bibelzitate beherrscht der Teufel. In diesem Beispiel ist der Teufel nicht Hitler oder Stalin, sondern er tritt auf in dem guten Menschen, der einen anderen ermutigt, sich endlich selbst zu verwirklichen, wenn auch auf Kosten der Gemeinschaft.
Der Verfasser des Epheserbriefs warnt genau vor diesem Diabolos, dem Verwirrer im Leben der Kirche und im Leben des Einzelnen. Geistliches Leben braucht gute Unterscheidung der Geister. Nicht immer dient Gott dazu, mich persönlich zu bestätigen. Zu viele Schlagworte prägen auch das kirchliche Miteinander. Es geht darum, dem einen Gott den schuldigen Raum zu geben. Diese Erkenntnis des einen Gottes bliebt nicht eine rein innerliche Frömmigkeit. Sie zeigt sich nach dem Epheserbrief in dem Bemühen um Gerechtigkeit, Wahrheit und Liebe. Sie bedeutet auch inneren Kampf, das Ringen um den rechten Weg, der nicht immer darin besteht, nach Selbstbestätigung zu suchen. Auf diesem Weg brauche ich immer wieder das Gebet, das Eintauchen in die Wirklichkeit der Liebe Gottes, die mich den Versucher erkennen lässt.
Die frühchristliche Gemeinde in Ephesus sieht Hoffnung. Gott ist da, er geht mit. Er stellt die Verteidigungswaffen zur Verfügung. Interessanterweise trägt der Soldat, von dem da die Rede ist, keine Angriffswaffen. Er will niemanden zerstören, wohl aber das Böse abhalten, das Gute erkennen, das Rechte tun und wahrhaftig glauben. Glaube ist Aktivität des Guten, nicht nur innere Frömmigkeit. Dem Bösen kann man begegnen durch gutes und intensiver Beten und Nachdenken gleichermaßen. Die beste Waffe ist die Liebe.
Lieber Professor Müller, das Thema der Lesung ist kein einfacher Einstieg in die neue Aufgabe. Aber die Lesung kann Mut machen. Mut machen, in der Begegnung mit den Menschen nicht den bequemen Weg zu suchen; Mut zum eigenen Denken und zum persönlichen Beten; Mut zu unterscheiden; Mut, den Glauben nicht zu billig zu verkaufen, sondern Gott ernst zu nehmen; den Mut, den Blick auf das innere Wesen der Kirche zu lenken, nicht die Klischees zu fördern. Auch den Mut, die Problematik religiöser Parolen, religiösen Selbstbetrugs und gefälliger Oberflächlichkeit zu entlarven. Es ist eine anspruchsvolle, aber unverzichtbare Aufgabe. Im Grunde geht es darum, in sich selbst und anderen Menschen Lust am Guten, Lust für Gott zu wecken. Mit seiner Hilfe hat das Böse, hat der Böse, keine Macht. Die Gemeinde in Ephesus hat daraus Kraft und Hoffnung geschöpft. So soll es auch heute sein. Dazu wünsche ich von Herzen Gottes Segen!
[1] Klaus Mertes, Wie aus Hülsen Worte werden. Glaube neu buchstabiert, Ostfildern 2018, 140-144.