Jesus war gehorsam bis zum Tod, bis zum Tod am Kreuz. Das Leben Jesu wird in dem ältesten christlichen Hymnus des Philipperbriefs (2,5-11) als Hingabe und Gehorsam beschrieben. Jesus gibt seine Herrlichkeit auf, um den Menschen ganz gleich zu werden und sie so zu erlösen.
Das ist der Wille des Vaters, Jesus geht diesen Weg im Gehorsam. Zahlreiche Stellen bezeugen, dass Jesus sein Leben als ein von Gott, seinem Vater, bestimmtes Leben versteht. In der Versuchung in der Wüste widersteht Jesus jeder Form von Abgrenzung gegenüber dem Vater. Er kommt, das Gesetz zu erfüllen. Es ist seine Speise, den Willen des Vaters zu tun. Viele Nächte hat Jesus im Gebet verbracht. Das waren wohl die Stunden, in denen er gehört hat, „gehorcht“ hat, was der Vater ihm zu sagen hat. Jesus lebt aus dieser lebendigen Beziehung zum Vater, das bezeugen die Evangelien gemeinsam. Der Wille Gottes lässt sich nach dem Philipperhymnus so zusammenfassen, dass Jesus sich den Menschen hingeben musste, gehorsam bis zum Tod, ja, bis zum Tod am Kreuz. Der Gehorsam gipfelt nach dem letzten Abendmahl im Ruf Jesu nach einer Rettung aus dem Tod, aber der Wille des Vaters solle geschehen, nicht der eigene.
Im Vater Unser beten wir dies jeden Tag: Dein Wille geschehe, wie im Himmel, so auf Erden. Wenn ich dies auf mein Leben und meinen Alltag übertrage, bedeutet dies: Suche Gott immer wieder im Gebet, sei ein Kenner der Heiligen Schrift, vertraue ihm, dass er es gut mit dir meint, verwechsle nicht dein Bauchgefühl automatisch mit Gottes Willen. Lass Gott in deinem Leben wirken und handeln. Seinen Willen zu erkennen, bedeutet lebenslange Auseinandersetzung und ein tägliches Ringen.
Ich meine, dass Jesus auch nach einer anderen Seite hin gehorsam war. Er sieht den Willen des Vaters darin, ganz bei den Menschen zu sein. In einem gewissen Sinne ist er auch den Menschen gehorsam. Immer wieder begegnet er Menschen, die ihm ihre Not hinhalten. Es ist immer wieder faszinierend, wie Jesus erkennen kann, was der einzelne Mensch braucht. Das Johannesevangelium beschreibt diese Menschenkenntnis so: „(Jesus) brauchte von keinem ein Zeugnis über den Menschen, denn er wusste, was im Menschen war.“ (Joh 2,25) Wenn Jesus am Menschen das Heil wirkt, ist er nicht einfach ein menschlicher Glückspender. Er sieht tiefer, was dem einzelnen Menschen fehlt. Dem einen, der nach körperlichen Heil verlangt, schenkt er zunächst die Vergebung der Sünden (Mk 2). Allerdings lernt er auch von Menschen, die ihm Vertrauen schenken. Als er einer „heidnischen“ Frau die Heilung ihrer Tochter verweigert, lässt er sich durch ihren tiefen Glauben umstimmen (Mk 7). Er hört auch auf die Menschen und lernt von ihnen, was der Wille Gottes sein könnte. Ohne eine tiefe Kenntnis der Menschen, ihrer Freuden und Hoffnungen, Ängste und Fragen kann man wohl den Willen Gottes nicht wirklich erkennen.
Jesus fordert in seinem Anspruch, Sohn Gottes zu sein und das Reich Gottes zu verwirklichen, ebenso den Gehorsam gegenüber seinem Wort ein. Sein Wort will gehört und angenommen werden. In diesem Gehorsam findet der Mensch zu seinem Heil, nicht in der völligen Autonomie und dem Verfolgen individualistischer Ziele. Indem wir als Christinnen und Christen unseren Gehorsam, unser Hören, an die Person Jesu binden, folgen wir nicht irgendwelchen Sätzen oder Vorschriften, sondern wir gehen bei ihm persönlich in die Schule. Wir werden seine Jüngerinnen und Jünger, d.h. wir werden Lehrlinge in seiner Nachfolge. Wir schauen ihm auf die Finger und lernen bei ihm das gute Leben. Gehorsam hat so nicht nur den Charakter des Hinhörens, des „Horchens“, sondern verwirklicht sich im konkreten Tun. Die Zusammenfassung des Gesetzes ist die Liebe, zu Gott und zum Nächsten, wir sollen sie lieben wir „mich selbst“. Glauben und Handeln bilden in der Nachfolge Jesu eine Einheit.
Schließlich werden wir in die gleiche Haltung der Hingabe geführt wie Jesus sie im Gehorsam gegenüber dem Vater gelebt hat. Neben dem Gebet, dem Hinhören auf Gottes Wort muss also die konkrete Nachfolge und die Bereitschaft kommen, von Jesus und den uns anvertrauten Menschen lernen zu wollen. Gehorsam ist so etwas wie der rote Faden eines Lebens im Glauben und in der Nachfolge Jesu. So können Menschen das Leben in Fülle finden, nicht in der verzweifelten Suche nach Selbstverwirklichung. Man kann es auch so drehen: Selbstverwirklichung finden wir nur in der Begegnung, im Hinhören, im konkreten Tun des Guten, im Verschenken und in der Nachfolge Jesu.
Die Karwoche führt uns wieder neu in diesen Kern des Glaubens hinein. Gehorsam ist sicher oft eine Frage des Gewissens, in dem der Mensch mit Gott allein ist. Gehorsam hat aber auch eine kirchliche Dimension, denn es braucht womöglich das Korrektive der Glaubensgemeinschaft, die einen Schatz an Erfahrungen mit sich trägt, den Willen Gottes auch deuten zu können. Das wird heute nicht mehr so einfach anerkannt, denn natürlich ist auch die Kirche geprägt von Fehlern, Schuld und dem Unvermögen, Gottes Willen zu hören und zu tun. Sobald in der Kirche von Gehorsam die Rede ist, steht aus verständlichen und bekannten Gründen schnell der Verdacht des Machtmissbrauchs im Raum. Tatsächlich kann in Abhängigkeitsverhältnissen Macht missbraucht werden, so dass Vorgesetzte ihren Willen durchsetzen und dabei selbst nicht Hörende und Gehorchende sind. Allerdings gilt auch: Nicht jede dem Wunsch eines Anvertrauten widerstreitende Entscheidung eines kirchlichen Vorgesetzten ist Machtmissbrauch. Da helfen auch rechtliche Vorgaben und Machtkontrolle. In der Kirche in Deutschland reden wir darüber. In der Weihe versprechen die Kandidaten dem Bischof und seinen Nachfolgern Ehrfurcht und Gehorsam. Das ist natürlich keine Einbahnstraße. Der Bischof muss auch die jeweilige Person respektieren und hören. Er selbst steht unter dem Anspruch Gottes, sein Wort ist nicht automatisch der Wille Gottes. Und dennoch fordert der kirchliche Gehorsam, dem Bischof zuzutrauen, dass er in Entscheidungen nicht den eigenen Kopf allein als Maßstab sieht, sondern auch den Auftrag verwirklichen muss, die kirchliche Einheit zu verwirklichen und damit der einzelnen Person zuzumuten, sich in diesen Auftrag und die kirchliche Sendung hineinzugeben.
Der kirchliche Gehorsam ist zumindest eine Anfrage an jeden und jede einzelne, wie sehr die eigene Haltung auch infrage gestellt werden kann. Jeder Mensch gehorcht irgendwem oder irgendwelchen Ideen. Der christliche Gehorsam will ausdrücklich keinen gedemütigten oder sich selbst entfremdeten Menschen. Es geht eher um die Frage, sich darüber Rechenschaft zu geben, wem ich mein Hinhorchen schenke und damit auch mein Vertrauen. Gehorsam auch in der Kirche heißt, sein Leben in den Dienst für andere zu geben, etwas von der Hingabe Christi zu lernen und darin sich und die Fülle des Lebens zu finden.
Wer Gehorsam fordert, steht ebenfalls in einer hohen Verantwortung. Gehorsam ist die Haltung, die über sich selbst hinausschauen kann. In meinem priesterlichen Leben habe ich immer wieder die Erfahrung machen dürfen, dass andere in mir Gaben und Fähigkeiten entdeckt haben, die ich selbst nicht gesehen hätte. Manchmal spricht Gott auch in den Stimmen derer, die mir etwas Positives oder auch Kritisches sagen. Der kirchliche Gehorsam wird konkret: Der Bischof ist gehalten, Ziele zu klären und Menschen zu stärken, auch loyal zu sein zu seinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. Der Gehorsam verbietet nicht das offene Wort. Zur Aufgabe des Bischofs aber gehört die Sendung. Diese ist mehr als eine Zuteilung eines Arbeitsplatzes. Der Ort der Sendung wird zum heiligen Boden. Der Bischof verlässt sich bei den Priestern und allen Hauptamtlichen darauf, dass sie den Ort, in den sie gesandt sind, als ihr Heiligtum entdecken und die Menschen, die dort leben[1].
In dieser Woche werden wir mit dem konsequenten Gehorsam Jesu konfrontiert. Er ruft uns in seine Haltung des Hörens und Betens. Er lädt uns ein zur Nachfolge und zum konkreten Tun. Er ermutigt uns, auf andere zu hören und durch sie den Willen Gottes für das eigene Leben besser verstehen zu können. Paulus leitet im Philipperbrief den Hymnus ein: Seid einander so gesinnt, wie es dem Leben in Christus Jesus entspricht (Phil 2,5).
Ich wünsche Ihnen und uns allen, dass die Feier der Heiligen Woche uns mehr in die Lebenshaltung Jesu hineinführt.
[1] Vgl. Andreas Wollbold, Als Priester leben. Ein Leitfaden, Regensburg 2010, 199ff.