Gott schenkt uns neu sein Licht, seine Wärme, seine Hoffnung, seine Nähe

Predigt in der Feier der Osternacht im Hohen Dom zu Mainz am 30. März 2024

Osternacht_30.04.2024_SilkeKemmer_G4A4499_b (1) (c) Silke Kemmer
Datum:
Sa. 30. März 2024
Von:
Bischof Peter Kohlgraf

In der Osternacht feiern wir unseren Geburtstag zum ewigen Leben. Dazu können wir uns nur beglückwünschen. Denn die Osternacht ist die Stunde der Taufe. Auch wenn wir an einem anderen Tag getauft wurden, sind wir doch mit diesem nächtlichen Gottesdienst verbunden. Hier wird die Taufe geboren, hier werden wir geboren zum ewigen Leben.

Wir feiern diese Nacht in einer Zeit, in der sich viele Menschen von der Kirche abwenden. Die Taufe führt auch in die Gemeinschaft, und die jüngste Kirchenmitgliedschaftsstudie zeigt, dass persönlicher Glaube ohne Glaubensgemeinschaft schwierig ist. Man mag sich über „die Kirche“ ärgern, gehört aber zu ihr. Die Taufe lässt sich nicht abwaschen. Sie verleiht ein Prägemal, das bleibt. Es bleibt über den Tod hinaus. Die Taufe verbindet mit Christus, dem Auferstandenen, der diese Bindung mit dem Getauften nie aufgeben wird. Die Feier dieser Nacht lädt uns ein, die Taufe neu wertzuschätzen, dankbar zu bleiben für das Geschenk, das uns in der Taufe gemacht wurde. Wenn ich in meine alte Heimatgemeinde komme, gehe ich immer auch an den Taufbrunnen. Dort begann meine persönliche Heilsgeschichte, dort begann meine Berufung, für die ich dankbar bin und bleibe. Am Ende ist die Kirche bei aller Schwäche und Begrenztheit doch mehr als ein Verein, in den ich eintrete oder den ich aus Ärger verlasse. Wir werden geboren zum ewigen Leben.

Daran erinnern uns zu Beginn der Nacht das Osterfeuer und das Licht der Kerze. Christus ist das Licht, das unsere Welt und unser Leben erhellt. Unser Leben ohne Gott, ohne sein Licht, ohne seine Zuwendung wäre reines Dunkel, es wäre Tod und Vergehen. Gott bricht aber in das Dunkel unseres Lebens ein. Es ist gut, dass das Licht der Kerze ein kleines, warmes Licht ist. Gott überfällt uns nicht gewaltsam. Gott will gesucht, entdeckt werden. Die Osterkerze, auch unsere kleine Kerze, die wir in Händen tragen, ist eine Erinnerung an das Licht, das unseren Eltern und Paten bei der Taufe stellvertretend überreicht wurde. Es ist eine kleine Taufkerze, eine Geburtstagskerze für das ewige Leben. „Empfangt das Licht Christi“, wurde uns bei der Taufe gesagt. Dieses Licht muss gehütet werden, immer neu entfacht werden. Es kann plötzlich ausgehen, es kann langsam verlöschen. Gott schenkt uns neu sein Licht, seine Wärme, seine Hoffnung, seine Nähe. Wir feiern diese Nacht in einer Zeit, die für viele Menschen dunkel ist. Wir schauen in die Ukraine, wir schauen nach Gaza und in das Heilige Land. Wir denken aber auch an die vielen anderen Krisen- und Kriegsherde dieser Welt. Der Mensch schafft sich das Dunkel selbst. Es bleibt ein großes Rätsel, wie der Mensch, den Gott als sein Ebenbild gut geschaffen hat, zu einer derartigen Gewalt und Bosheit fähig ist. Und gerade in dieser Welt gibt Gott jedem und jeder einzelnen die Möglichkeit in die Hand, ein kleines Licht weiterzugeben. Wenn wir bei unserer Taufe das Licht Christi empfangen haben, dann müssen wir es weitergeben. In den großen Fragen der Weltpolitik herrschen auch unterschiedliche Positionen, die trennen und möglicherweise dauerhaft spalten. Die Verantwortung, Licht im Kleinen weiterzugeben, kann niemand an die große Politik weitergeben. Wer das Licht in den Händen hält, kann nicht selbst spalten und hassen.

An die Taufe und seine Gegenwart erinnert uns das Wort der Schrift, das wir in dieser Nacht hören. Wichtiger noch als die Schöpfung ist Verwandlung ins ewige Leben. „Du hast uns wunderbar geschaffen, aber noch wunderbarer wiederhergestellt“ – heißt es in einem Gebet dieser Nacht. Jeder und jede von uns trägt die Ewigkeit in sich, weil uns Gott dieses Versprechen gegeben hat. Jeder Mensch war seit Erschaffung der Welt in Gottes Gedanken da. Jeder von uns ist gewollt und geliebt. Taufe bedeutet, wie die Lesung aus dem Buch Exodus andeutet, Auszug aus einem Land auf einen Weg, der in ein neues, schönes Land führen soll. Aber es liegen auch Wege durch Wüste und Trockenheit vor uns. Die Taufe ist Auszug aus der Welt des Todes in ein neues, blühendes Land. Wichtiger als irdische Freiheit ist die Freiheit der Kinder Gottes, die Würde, die Gott uns schenkt. „Schöpft voll Freude aus den Quellen des Heils“, sagt der Prophet Jesaja. Wir sind mit Christus begraben worden und in der Taufe auferstanden (Röm 6). Wir können nicht mehr sterben, weil wir schon mit ihm gestorben und auferstanden sind. Wir hören diese Texte in einer Zeit, die ihre geistlichen Quellen nicht mehr kennt. Die Frage nach Gott spielt zunehmend keine Rolle mehr. Viele Menschen brauchen Gott nicht, und sie vermissen ihn noch nicht einmal mehr. Der Schriftsteller Martin Walser hat es für sich einmal anders formuliert: „Wer sagt, es gebe Gott nicht, und nicht dazusagen kann, dass Gott fehlt und wie er fehlt, der hat keine Ahnung. Einer Ahnung allerdings bedarf es.“ (Walser, Rechtfertigung, 33). Dagegen zu argumentieren hilft nicht weiter. Wir dürfen die Einladung hören, selbst Zeuginnen und Zeugen zu sein für die Quellen, die uns nähren, dass Gott für uns die Quelle einer inneren Freiheit ist. Die Texte dieser Nacht stellen uns in die große Heilsgeschichte Gottes mit den Menschen. Er hat auch heute nicht aufgehört, mit uns zu gehen.

An die Taufe erinnert uns in dieser Nacht die Weihe des Wassers und das erneute Taufversprechen. Wir werden die Heiligen anrufen, denn Christ oder Christin ist man nie für sich allein. Zu der Gemeinschaft gehören Lebende und Tote, Sünder und Heilige. Wir haben Vorbilder und Wegbegleiter im Glauben. Der Priester besprengt die Gemeinde mit dem neu geweihten Wasser. Es ist vergleichbar mit der Erneuerung eines Eheversprechens. Gott bleibt treu. Und in den Heiligen haben wir treue Fürsprecherinnen und Fürsprecher, Menschen, die uns in der großen Gemeinschaft der Heiligen nahe sind.

Schließlich feiern wir die Erfahrung der Nähe Gottes in der Eucharistie in dieser Nacht. In der Zeit der frühen Kirche, als es nur die Erwachsenentaufe gab, war die Osternacht auch die Nacht des ersten Eucharistieempfangs. Jahre hatte man sich auf die Taufe vorbereitet und nun empfängt man die Taufe und die Geheimnisse des Leibes und Blutes Christi. Vielleicht erinnern wir uns an unsere erste hl. Kommunion. Ist es zu pathetisch zu sagen, dass dieser Tag nach dem Tauftag ein wichtiger Schritt einer Beziehungsgeschichte sein sollte? Gott geht doch unseren Lebensweg mit. In der Osternacht feiern wir diese Geschichte Gottes mit jedem von uns. Der auferstandene Christus ist unsere Nahrung, er stärkt uns. Auf ihn können wir uns verlassen. Wir feiern diese Nacht in einer Zeit, in der viele Menschen diese Nahrung der Eucharistie nicht mehr suchen. Es geht nicht darum, jemanden zu verurteilen oder gar zu richten. Aber diese Nacht lädt uns ein, die Hingabe und Gegenwart Christi in den kleinen Zeichen von Brot und Wein neu schätzen zu lernen.

Unseren irdischen Geburtstag feiern wir gerne. Wir danken an einem solchen Tag den Eltern, denken vielleicht gerne an sie zurück, je älter man wird, desto wehmütiger möglicherweise. Die Taufe ist der Geburtstag zum ewigen Leben. Die Osternacht könnte ein Termin sein, Gott Dank zu sagen. Er schenkt uns mehr als das irdische Leben: Er schenkt uns Ewigkeit, Würde, Geborgenheit, Vergebung. Er ruft uns auf den Weg aus der Finsternis in sein Licht. Dabei lässt er uns nicht allein.

Feier der Osternacht im Mainzer Dom

So. 31. März 2024
6 Bilder