Heilige sind Menschen, die von Gott auserwählt sind, persönlich angesprochen, persönlich gerufen

Predigt von Bischof Peter Kohlgraf zu Allerheiligen 2017

Gräber segnen (c) Bistum Mainz
Datum:
Do. 2. Nov. 2017
Von:
Bischof Kohlgraf
„Gemeinsam Kirche sein“ – so heißt ein Text der deutschen Bischöfe aus dem Jahr 2015. Es geht um die Zukunft der Seelsorge, speziell auch um die Zukunft unserer Gemeinden. Das sind Themen, die viele gläubige Menschen beschäftigen, manchmal auch besorgt machen. Da hätte man von den Bischöfen vielleicht konkrete Arbeitshilfen erhofft. Was sollen wir tun, welche Methoden können wir anwenden, welche Strukturen sollen wir uns geben?

Das sind Fragen, die auch mich als neuen Bischof in Mainz natürlich bewegen und die eher früher als später auf uns zukommen. Die Bischöfe geben uns jedoch keinen Methodenkatalog an die Hand. Sie erinnern vielmehr an die Quellen des Christseins, an das Wesen der Kirche. Es ist gut, dass wir hören, dass wir die Kirche nicht machen, dass wir die Kirche auch nicht retten müssen. Es ist die Kirche des Herrn, sein Besitz. Allein der Begriff „Kirche“ leitet sich aus dem griechischen „zum Herrn gehörig“ ab. Antworten auf die Fragen können wir nur finden, wenn wir neu beginnen, nach seinem Willen zu fragen.
In manchen kontroversen Debatten dieser Tage scheint mir diese Frage nicht vorzukommen: Was will Er? Und nicht: Was finden wir gut? Das kann, muss aber nicht deckungsgleich sein. Vor dem Machen kommt das Hören, das Hinschauen, das Beten. Nur Antworten, die aus dem Gebet und einem lebendigen Glauben folgen, können für uns hilfreiche Antworten sein. Bevor wir also debattieren und planen, steht der Weg zu einer geistlichen, geisterfüllten Gemeinschaft. Die Bischöfe gehen drei Schritte:

1. Die Berufung aller zur Heiligkeit

Schwierige, vielleicht oft nichtssagende Begriffe. Nur wenige Menschen bringen heute ihr Christsein mit den Stichworten Berufung und schon gar nicht mit Heiligkeit zusammen. Da beginnt das eigentliche Problem, das wir in der Kirche haben. Der Apostel Paulus beginnt seine Briefe mit dem Gruß an die auserwählten Heiligen. Damit meint er nicht, dass seine Christen besonders heldenhafte oder fromme Menschen seien, erst recht meint er keine religiösen Höchstleistungen. Heilige stehen bei uns oft im Verdacht des Abgehobenen, Weltfremden. Genau das meint Heiligsein nicht. Heilige sind Menschen, die von Gott auserwählt sind, persönlich angesprochen, persönlich gerufen. Das betrifft jeden Getauften. Die Taufe ist der Beginn einer gemeinsamen Geschichte von Gott und Mensch. Durch unsere Taufpraxis ist das Bewusstsein weitgehend verloren gegangen. Kaum jemand erfährt die Taufe als Beginn einer persönlichen Freundschaft, einer Beziehung. Aber genau das ist sie. Wenn ich getauft werde, steht vor jedem Tun die persönliche Zusage Gottes: Ich liebe dich. Die Antwort auf den Ruf ist eine Lebensaufgabe. Berufen sind also nicht nur Priester und Ordensleute, sondern alle, die sich auf den Weg des Christseins begeben. Heilig sind nicht nur die Großen, die wir heute verehren; sie sind Fürsprecher und Weggefährten, sie ermutigen auf dem Weg der eigenen Nachfolge. Ich komme nicht daran vorbei, Gott in meinem Leben eine eigene Antwort auf seinen Ruf zu geben. Es ist nicht hilfreich, dass wir in der Kirche von „Laien“ sprechen, wenn wir die nichtgeweihten Gläubigen meinen. Getaufte sind nicht Laien im herkömmlichen Sinn, sondern können kompetente Experten des Glaubens und der Nachfolge sein, wenn sie sich denn darum bemühen und persönlich auf den Ruf antworten. Vor allen Unterschieden in der Kirche müssen wir diese Gemeinsamkeit neu entdecken: den Ruf aller Getauften in die Freundschaft mit Gott, und der Auftrag an alle, seinen Willen zu leben.

2. Jesus heiligt uns

Es bewegt uns nur noch wenig, dass wir eine so große Nähe zu dem unendlichen Gott haben, dass er uns so nahe kommt wie in Jesus, seinem Sohn. Durch seine Nähe zu uns im Wort und in den Sakramenten werden wir heilig: Noch einmal gesagt: heilig durch ihn, nicht durch unsere Taten. Christliches Leben besteht nicht darin, viele Gebote zu befolgen, auch wenn diese eine Orientierung sein können. Christliche Heiligkeit besteht in der Nachfolge Jesu, indem wir uns an ihm orientieren. Die Gemeinschaft ist dazu eine Hilfe. Ohne Kirche kann ich nicht Christ sein, hier empfange ich die Nahrung und Stärkung durch die Sakramente. Aber die Kirche kann mir meinen persönlichen Glaubensweg nicht abnehmen. Ich muss ihn selber gehen. Ich werde wohl nie ein zweiter Christus, aber ich kann ein wenig von dem, was mich an ihm fasziniert, in meine eigene Lebensgeschichte übersetzen. Hier gibt es dann auch keine Grenze mehr zwischen Kirche und Welt. Wir alle leben in der Welt, und müssen dort versuchen, unseren Weg der Nachfolge zu gehen.

3. Heiligkeit leben wir in Beziehungen

Der Bischof ist nicht heiliger als jeder und jede andere. Der Priester nicht und auch nicht die Ordensfrau oder der Ordensmann. Es gibt so viele Berufungen und Wege zur Heiligkeit, wie es Menschen gibt. Wer sich diesem Lebensprogramm unterwirft, wird demütig, er bleibt Schüler. Zu leicht urteilen wir über den Glauben und das Leben anderer. Kirche entsteht nicht dort, wo jeder so werden will wie der oder die andere. Kirche entsteht dann, wenn die unterschiedlichen Menschen gemeinsam beginnen, ihre unterschiedlichen Berufungen zu leben und in die Gemeinschaft zu bringen. Betrachtet man den anderen Menschen als Kind Gottes, als Bruder oder Schwester, als Heiligen, verändert sich auch die Qualität menschlicher Beziehungen.

Wir müssen die Kirche nicht retten. Wir sind berufen, Heilige zu werden, Christus in Gemeinschaft nachzufolgen. Die Zukunft der Kirche liegt in der Heiligkeit ihrer Mitglieder. Allerheiligen beweist, dass dies nicht große Worte bleiben müssen. Ich merke deutlich, dass uns dies erst einmal bewegen muss, bevor wir Methoden und Pläne ersinnen. Es klingt schwierig, wie soll das alles gehen? Es ist wohl schwierig, aber billiger ist die Zukunft der Kirche nicht zu haben.