„Für euch bin ich Bischof, mit euch bin ich Christ“ – dieses bekannte Wort des hl. Augustinus hat mein alter Kölner Heimatpfarrer auf seinem Gebetsbild zum Diamantenen Priesterjubiläum im Hinblick auf sein eigenes Priestersein so abgewandelt: „Für euch bin ich Priester, mit euch bin ich Christ“. Es lohnt sich, dieses „Für-Sein“ und „Mit-Sein“ auch als Modell für den heutigen Dienst in der Kirche zu bedenken. Es ist anzunehmen, dass Augustinus bewusst keine Über- oder Unterordnung thematisiert, sondern die Gemeinschaft aller betont.
Das entscheidende und grundlegende Sakrament, das in die Nachfolge Christi ruft, ist die Taufe. Sie verbindet alle Glieder des Volkes Gottes, in Christus sind wir bei aller Unterschiedlichkeit geeint. In dem Vergleich der Kirche und der Gemeinde mit dem Leib in unterschiedlichen Paulusbriefen wird dieses kirchliche Grundverständnis entfaltet: Unterschiedliche Dienste, aber aufeinander verwiesen, eine Einheit. Es ist wichtig, dass auch die Geweihten sich immer wieder an die priesterliche Würde aller Getauften erinnern. Alle Getauften sind auf je eigene Art gerufen, den priesterlichen Dienst des Lobes, des Dankens, des Bittens und der Hingabe an Gott und die Menschen zu leben. Die Gemeinschaft aller Getauften zu erinnern, scheint mir in der aktuellen Situation unserer Kirche von großer Bedeutung zu sein. Unsere Wege als Kirche können wir nur gemeinsam finden, im gemeinsamen Hören auf den Willen Gottes in dieser Zeit. Ich hoffe und bete darum, dass wir im Bistum zwischen allen Ebenen im Gespräch bleiben und dass sich niemand dem Gespräch und dem gemeinsamen Ringen entzieht. Priester brauchen eine Gemeinde, die sie mittragen und begleiten will. Und unsere Gemeinden und die unterschiedlichen Felder brauchen Priester, die sich nicht über die Menschen stellen, sondern an ihre Seite. Ich bin dankbar für die vielen gelebten und überzeugenden Beispiele in unserem Bistum. Auf den zukünftigen Wegen müssen wir sorgfältig darauf achten, dass wir die Pfarrer und die Priester in den anderen Diensten nicht auf eine pastorale Meta-Ebene versetzen, die sie am Ende dem übrigen Gottesvolk entfremden. Es gibt aber Erfahrungen aus anderen Diözesen, dass dies nicht der Fall sein muss. Es ist kein gutes Zeichen, wenn manchmal Fronten aufgebaut werden zwischen dem kirchlichen Amt und den übrigen Gläubigen (was von beiden Seiten ausgehen kann) und durchaus auch zwischen Priestern und Hauptamtlichen mit unterschiedlichen theologischen Positionen. Es wird immer unterschiedliche Sichtweisen und Erfahrungen in der Kirche geben, und es muss sie geben. Es war immer katholisch, konträre Positionen auszuhalten und nach Synthesen zu suchen. Das Priesterbild hat sich in den 2000 Jahren der Geschichte unserer Kirche immer wieder verändert. Und wir befinden uns im Prozess weiterer Veränderungen, der manchen auch verunsichert und nach seiner Rolle oder Identität fragen lässt. In allen Suchbewegungen will ich an das starke Fundament der Taufe erinnern, das uns in der Kirche verbindet. Wir alle sind ein Leib in Christus. Das Christsein ist die Grundlage für die vielfältigen unterschiedlichen Wege, Dienste und Ämter, die es in der Kirche gibt und die deren Reichtum ausmachen. Christus ist der einzige Priester, der allen auf unterschiedliche Weise Anteil an seinem Priestertum gibt. Was das heißt, sagt Papst Franziskus im nachsynodalen Schreiben „Christus vivit“ vom 25. März 2019: als Christus Liebende das Evangelium überall mit dem eigenen Leben zu bezeugen. Getauft zu sein bedeutet nicht, „eine Anstecknadel am Knopfloch der Jacke zu tragen; es bedeutet nicht, über die Wahrheit zu sprechen, sondern sie zu leben, sie zu verkörpern, sich in Christus zu verwandeln“. Getauft zu sein besteht nicht darin, „eine Fackel in der Hand zu halten, im Besitzen des Lichts, sondern im Licht sein […]. Das Evangelium […] ist mehr ein Vorbild als eine Unterweisung. Die in gelebtes Leben verwandelte Botschaft“ (vgl. 175). Darum geht es, wenn ich alle an ihre priesterliche Berufung erinnere. Das geht nur in Einheit, und das geht nur in der Verschiedenheit der Berufungen. Das muss ich an der Stelle tun, an der ich lebe und arbeite. Das ist auch das Entscheidende in den unterschiedlichen Stellen, an denen wir als Geweihte eingesetzt sind. Es wird wichtig sein, sich daran zu erinnern, was das Entscheidende des priesterlichen Dienstes ist: Christus zum Leuchten zu bringen, und nicht zu verwalten, oder an bestimmten Formen eines zeitbedingten Leitungsverständnisses zu hängen.
„Für euch bin ich Priester“ – und am Ende diskutieren wir über Machtfragen, wie bereits die Jünger im Evangelium. Ob wir diese Schieflage jemals überwinden werden? Ich bin skeptisch, weil es natürlich zu einfach ist, die Ausgestaltung des priesterlichen Amtes einfach als Dienst zu verkaufen. Macht ist eine gewaltige Versuchung. Für euch, sagt Augustinus – nicht über euch oder gegen euch. Und doch haben wir heute das Thema der Macht permanent im Raum, wir reden über Klerikalismus und sakrale Macht. Natürlich stellt der geweihte Priester auch Christus gegenüber der Gemeinde dar, aber für sein Selbstverständnis ist es heilsam, an Christus, dem einzigen Priester Maß zu nehmen. Jesus macht sich zum Diener und Sklaven im Hinblick auf zwei „Richtungen“: gegenüber dem Vater und gegenüber den Menschen, zu denen er gesandt ist. Jesus empfängt seine Sendung und auch seine Autorität und Vollmacht von seinem Vater. Zu Lebzeiten ist nichts an ihm „selbstherrlich“. Die Sendung Jesu ist auf das Heil der Menschen und der Welt ausgerichtet. Christus kann seinen Dienst nur verrichten, indem er dem Vater gehorsam ist. Diener der Menschen zu sein beinhaltet aber auch, den Menschen zu kennen, ganz für ihn da zu sein. Er muss genau kennenlernen, was der Mensch braucht, er muss sich dessen Bedürfnisse zu Eigen machen, er muss selbst Mensch sein. Diener, Sklave sein, geht nur in einer tiefen, unlösbaren Beziehung, Beziehung zu Gott und Beziehung zum Menschen. Indem Jesus diese Beziehung wie kein anderer leben konnte, gelingt es ihm, Vermittler des Heils zu werden. Auch wir als Kirche und als Geweihte müssen in beide Richtungen hören lernen. Das Priestersein Jesu vollzieht sich nicht in der Überordnung über jemanden, sondern im Gehorsam, im Hinhören. Auch hier findet sich in „Christus vivit“ eine gute Aktualisierung: „Auch wenn es junge Menschen gibt, die mit einer Kirche zufrieden sind, die sich in aller Demut ihrer Gaben gewiss ist und eine redliche und brüderliche Kritik zu üben weiß, so wünschen doch andere junge Menschen eine Kirche, die mehr zuhört und nicht ständig die Welt verdammt. Sie wollen keine schweigende und schüchterne Kirche sehen, aber auch keine, die immer Krieg führt wegen zwei oder drei Themen, auf die sie fixiert ist. Um in den Augen der jungen Menschen glaubwürdig zu sein, muss sie zuweilen die Demut wieder zurückgewinnen und einfach zuhören, und in dem, was andere sagen, ein Licht erkennen, das ihr helfen kann, das Evangelium tiefer zu verstehen. Eine Kirche in Defensive, die die Demut verliert, das Zuhören aufgibt und die sich nicht infrage stellen lässt, verliert die Jugendlichkeit und verwandelt sich in ein Museum. Wie kann sie so die Träume der jungen Menschen beherbergen? Wenn sie auch die Wahrheit des Evangeliums besitzt, heißt das nicht, dass sie es in seiner Fülle verstanden hätte; sie muss vielmehr im Verständnis dieses unerschöpflichen Schatzes immer weiter wachsen.“ (41) Diese Grundhaltung gilt nicht nur im Hinblick auf die Jugend in der Kirche. Im Verständnis der Wahrheit wachsen: dafür brauchen wir einander. Ich bin davon überzeugt, dass die jetzige Krise unserer Kirche uns die notwendige Frage stellt, wie wir es mit Macht und Verantwortung in der Kirche halten wollen.
Mit euch Christ – für euch Priester: Im Letzten geht es immer darum, Christus zum Leuchten zu bringen. Ich danke allen für ihren Dienst, besonders in diesen schwierigen Zeiten, das tägliche Bemühen, die Sorge um die Kirche und das Heil aller. Mögen uns die kommenden Tage neu beflügeln, dem Beispiel Christi zu folgen, der nicht gekommen ist, sich bedienen zu lassen, sondern zu dienen.