Krippen

Peter Kohlgraf, Bischof von Mainz in der hr2 Morgenfeier, Montag, 26.12.2022 (2. Weihnachtsfeiertag)

Bischofsbüro Mainz / Annette Wiesheu (c) Bistum Mainz/ Kohlgraf
Datum:
So. 25. Dez. 2022
Von:
Bischof Peter Kohlgraf

Krippendarstellungen in Kirchen, auf öffentlichen Plätzen, zu Hause im Wohnzimmer – in der Weihnachtszeit erfreuen sie viele Menschen. Dabei sind sie mehr als eine liebliche Erinnerung. Sie zeigen: Jesus ist einer von uns geworden.

Ich kenne Menschen, die sammeln Krippen oder Krippenfiguren. Sie schauen nicht nur in der Weihnachtszeit auf die oft liebevoll gestalteten Darstellungen des Ereignisses in Bethlehem, sondern erfreuen sich das ganz Jahr über an den Figuren und der Szene. Offenbar berührt es ihr Herz, sich an den Anfang des Lebens Jesu zu erinnern. Das neugeborene Kind steht für sie für einen Neuanfang, für neues Leben, für Hoffnung, für Zuwendung. Vielleicht erinnert es sie auch an die Schutzlosigkeit, denen dieses neugeborene Kind ausgesetzt war, so wie viele Menschen, besonders die Kinder, in den Krisengebieten dieser Zeit. Ich lese mit Schaudern davon, dass Kinder aus der Ukraine ihren Eltern weggenommen und nach Russland gebracht werden. Mit den Kindern will man den Menschen in der Ukraine die Hoffnung und die Zukunft nehmen. Diese Kinder werden ihr Leben lang durch dieses Verbrechen gezeichnet sein.

Auch das Kind in der Krippe ist nicht auf Rosen gebettet, so schön die Krippendarstellungen oft auch sein mögen. Es liegt auf Stroh in einem Futtertrog und bald schon wird es angefeindet und wird fliehen müssen: Ein mächtiger König, Herodes fürchtet das Kind als Bedrohung seiner Macht, so erzählt es das Matthäusevangelium. Ich hoffe, dass auch in diesem Jahr mit vielen Sorgen die Krippen Freude und Hoffnung schenken, gerade weil sie keine Idylle verkünden. Ähnlich wie die Kreuzesdarstellungen bewegen mich die Krippenbilder zum Nachdenken über meinen Glauben an Christus. Sie bleiben nicht nur schön und lieblich, je tiefer ich mich mit ihnen beschäftige. Vom eigenen Glauben angesichts des Kindes in der Krippe erzählt auch das bekannte Weihnachtslied „Ich steh an deiner Krippen hier“. Mir ist es besonders vertraut aus dem Weihnachtsoratorium von Johann Sebastian Bach:

 

Musik 1: Johann Sebastian Bach, Ich steh an deiner Krippen hier (CD: Bach, Weihnachtsoratorium, Gächinger Kantorei, Rademann, CD 2 – Track 24).

Ich bin in Köln geboren. In der Kölner Volksfrömmigkeit spricht man neben den klassischen sieben Sakramenten der katholischen Kirche (wie Taufe, Kommunion, Beichte, Firmung) von den sogenannten „kölschen Sakramenten“. Das sind besondere Orte, an denen Menschen sich von Gott berührt wissen. Zu diesen Orten gehören für den traditionellen Kölner und die Kölnerin die Krippen der Kölner Kirchen, denen man an den Weihnachtstagen einen Besuch abstattet. Zu meinen Kindheitserinnerungen gehören diese Besuche fest dazu. Ich erinnere mich an Krippen mit echten Bächen und Flüssen, mit Bewegung, an moderne Krippen, und auch an Darstellungen, die das Geschehen von Bethlehem in die Kölner Innenstadt legen.

„Jesus ist einer von uns“ – das ist die Botschaft. Jesus kommt in die Einfachheit und auch Armut unserer Städte und unseres Alltags, er bleibt uns nicht fremd, er ist der „Gott mit uns“ und „für uns“. Und heute erfreue ich mich als Bischof von Mainz an den Krippen unserer Kirchen, wie viele Menschen dort, wo sie wohnen. Nicht wenige stellen dann auch zuhause ihre Weihnachtskrippen auf. Ich selbst sammele keine Krippen, und dennoch habe ich mehrere, die ich in meinem Haus verteile. Ob sie künstlerisch wertvoll sind, interessiert mich dabei tatsächlich weniger. Eine kleine Krippe, nur Maria, Josef das Jesuskind, steht das ganze Jahr über in meinem Arbeitszimmer. Sie hat eine besondere Geschichte. Die mütterliche Linie meiner Familie stammt aus Pommern, die Familie ist Ende des Zweiten Weltkriegs von dort geflüchtet. Über viele Stationen sind die Großeltern, meine Mutter, die Onkel und die Tante nach Köln und Umgebung gekommen. Im Gepäck war diese kleine Krippe aus Gips. Viel Besitz hatten sie nicht bei sich, aber diese Krippe hat den langen Weg mitgemacht. Welche Erinnerungen an ihr hingen, kann ich heute nicht sagen, aber sie muss der Familie, auch meiner Mutter, viel bedeutet haben. An den Figuren hängen Lebensgeschichten. Die kleine Familie aus dem Evangelium war Wegbegleiterin und vielleicht auch Beschützerin. Heute begleitet sie mich.

Eine andere Krippe, die ich habe, stammt aus Ägypten. Koptische Christen haben sie angefertigt, ich habe sie von einem Besuch bei ihnen in der Nähe von Luxor mitgebracht. Sie atmet in aller Einfachheit orientalischen Flair. Wenn ich sie anschaue, denke ich an die Christinnen und Christen in der Minderheit und in Bedrängnis im Orient, in vielen Regionen dieser Erde und auch im Land Jesu. Er ist besonders ihr Bruder geworden.

 

Musik 2: Johann Sebastian Bach, Er ist auf Erden kommen arm (CD: Bach, Weihnachtsoratorium, Gächinger Kantorei, Rademann, CD 1 – Track 7).

 

„Er ist auf Erden kommen arm“, heißt es in dem Choral aus dem Weihnachtsoratorium, den wir soeben gehört haben. Es knüpft damit an die Weihnachtsgeschichte an, die erzählt von dieser armen Ankunft Jesu, im Stall, in der Futterkrippe, weil in der Herberge von Betlehem kein Platz war für seine Eltern und für ihn. Die kleine Familie war unterwegs, weil der Statthalter Quirinius auf Befehl des Kaisers Augustus eine Volkszählung durchführte. So mussten sich Maria und Josef in der Heimatstadt Josefs melden. Das Evangelium erzählt kein Märchen mit dem Beginn: „Es war einmal“, sondern das Evangelium der Heiligen Nacht beginnt mit „in jener Zeit“. Es erzählt von einem Ereignis, das sich an einem bestimmten Ort zu einer bestimmten Zeit zugetragen haben soll. Dazu gibt es uns sogar historische Zeitangaben: Kaiser Augustus und der Statthalter Quirinius helfen, das Geschehen genau einzuordnen. Dabei ist gar nicht entscheidend, ob die Geschichte von der Geburt im Stall wirklich so passiert ist. Dem Evangelium geht es darum, die Geburt Jesu historisch zu verankern. Die Botschaft ist: Weihnachten feiert ein Geschehen an einem bestimmten Ort und in einer bestimmten Zeit.

Erstmals stellt der heilige Franz von Assisi im 13. Jahrhundert eine lebendige Krippe nach. Dabei war ihm besonders wichtig, den Glauben zu bekennen: Gott kommt konkret erfahrbar in diese Welt. Dazu legte er ein echtes Kind in die Krippe, er besorgte echte Tiere, Schafe, Ochs und Esel, und es war gewollt, dass es dort laut ist, dass dort Leben herrscht, dass die Tiere und die Menschen sich lautstark zu Wort melden. Und die Tiere sollten auch den entsprechenden Stallgeruch mitbringen. Es ging darum, zu erleben, was damals wirklich geschehen ist. Und die Menschen, die am Gottesdienst teilnahmen, waren nicht unbeteiligte Zuschauer. Plötzlich waren sie Zeitgenossen von Maria und Josef, den Hirten, den Tieren. Sie waren Akteure des Geschehens von Bethlehem. Ursprünglich war die Idee der Krippen nicht, eine liebliche Erinnerung zu pflegen, sondern: Ich trete hinzu zu diesem Geschehen, das plötzlich Teil unserer Welt wird. Gott wird Mensch mitten in unserer Welt. Um diesen Gedanken geht es auch in dem Choral „Schaut hin, dort liegt im finstern Stall“, wiederum aus dem Weihnachtsoratorium von Johann Sebastian Bach.

 

Musik 3:  Johann Sebastian Bach, Schaut hin, dort liegt im finstern Stall (CD: Bach, Weihnachtsoratorium, Gächinger Kantorei, Rademann, CD 1 – Track 17).

Von den Menschen und Tieren an der Krippe kann ich lernen: Was heißt es, Christus einzulassen, Christus zu empfangen? Bestimmte Figuren gehören fest dazu. Natürlich Maria und Josef, die noch ganz am Anfang ihres Weges mit diesem Kinde stehen und bei denen es vielleicht noch mehr Fragezeichen gibt als wirkliche Antworten. Was Maria damals wusste oder ahnte von diesem Kind, wissen wir nicht. Die Evangelien erzählen, vorsichtig gesagt, von einer nicht zu erwartenden Schwangerschaft. Sie nennen Maria Jungfrau, denn das Kind ist für diese Welt ein Geschenk Gottes. Auch der schweigende Josef ist oft ein einziges Fragezeichen an der Krippe. Beide zeigen uns: Gott verstehen heißt, ihn in das Leben aufzunehmen. Wer sich auf den Glauben an Gott einlässt, begreift ihn nicht in einem einzigen Augenblick; es bleibt eine lebenslange Suche. Noch nach Jahren halten Verwandte von Jesus und Maria Jesus für von Sinnen, so erzählt das Markusevangelium (Mk 3,21). Glauben ist ein Weg, den Menschen gehen. Glauben bedeutet: Jesus in mein Leben aufnehmen, mich mit ihm auf einen Weg machen. Glauben bedeutet: ihm Heimat geben, nicht nur in Stunden des Lichts, nicht nur, wenn mir danach ist, sondern auch im Alltag, in den täglichen Routinen, in den Stunden des Dunkels. Maria und Josef sind an der Krippe noch ganz am Anfang ihres Weges, aber sie gehen ihn konsequent, in Liebe zu diesem Kind. Wenn ich sie betrachte, sehe ich meinen eigenen Glaubensweg. Es macht mich nicht traurig, wenn ich immer wieder spüre: Es gibt im Glauben Höhen und Tiefen, wunderbare Momente der Sicherheit, aber auch Fragen und Zweifel.

Hören wir das Lied „Uns ist ein Kindlein heut geborn“ von Michael Prätorius.

 

Musik 4: Michael Prätorius, Uns ist ein Kindlein heut geborn (CD: Christmette, Gabrieli Consort & Players, Paul McCReesh, Track 18).

 

An der Krippe gibt es in vielen Darstellungen neben den Schafen auch einen Ochsen und einen Esel. Das ist nicht zufällig. Es sind Tiere, die wir eher für dumm halten. Die Klugen und Weisen fehlen, Ochs und Esel aber stehen an der Krippe. Beim Propheten Jesaja heißt es: Der Ochse kennt seinen Besitzer, und der Esel kennt die Krippe seines Herrn; die Menschen, das Volk Israel aber erkennt ihn nicht. (vgl. Jes 1, 3). Der heilige Franziskus hatte eine besondere Liebe zum Esel. Am Ende seines Lebens nennt er seinen Leib einmal den Bruder Esel, der ihn die ganze Lebenszeit getragen hat. Der Esel ist das Tier, das damals vielleicht am meisten geschlagen wurde, er läuft nicht schnell, seine Hufe passen sich harten Böden an. Er läuft in Stresssituationen nicht davon, sondern bleibt stur stehen. Ob Jesus selbst zu dem Esel nicht vielleicht eine besondere Nähe gespürt hat? Ein wenig sind beide ja Schicksalsgenossen. Die am meisten Geprügelten, diejenigen, die nur als Arbeitstiere gehalten werden, erkennen ihn, die Großen und Klugen nicht. Wie sehr hat sich das später auch im Leben Jesu in Galiläa und Judäa bewahrheitet. Wenn ich Ochs und Esel betrachte, sehe ich die Einladung, zu ihm zu kommen, wenn ich mühselig und beladen bin. Er ist manchmal dann der einzige, der mich versteht. In meinem Leben bin ich vielen Menschen begegnet, die mich im Glauben nicht durch gewandte Rede überzeugt haben, sondern durch eine tiefe Bescheidenheit, eine Kraft, auch schwierige Situationen im Vertrauen auf Gott durchzuhalten und dann weiterzugehen.

An der Krippe sind schließlich die Hirten. Sie sind die ersten Zeugen der Geburt Jesu auf den Feldern von Bethlehem. Sie sind das menschliche Pendant zu Ochse und Esel, könnte man sagen. Sie waren Menschen in einem wenig angesehenen Beruf, sie gehörten zu den Verachteten, die in der Gemeinschaft der Städte keinen Platz hatten. Diese Menschen erkennen im Kind, wen sie vor sich haben, sie beten an. Papst Franziskus ermutigt mit deutlichen Worten immer wieder, Menschen vom Rande in die Mitte zu holen. Vor allem die Geflüchteten, die vielen anderen Armen unserer Zeit hat er dabei im Blick.

Hören wir nochmals ein Stück aus dem Weihnachtsoratorium von Johann Sebastian Bach: das Rezitativ „Es waren Hirten in der derselben Gegend“

 

Musik 5: Johann Sebastian Bach, Es waren Hirten in derselben Gegend (CD: Bach, Weihnachtsoratorium, Gächinger Kantorei, Rademann, CD 1 – Track 11).

 

Viele Krippen in den Kirchen oder auch zuhause sind liebevoll mit Blumen geschmückt. Der Stall selbst ist ja ursprünglich zunächst nichts anderes als eine Stelle, an der Tiere Dach und Fressen finden, kein Ort des Lebens für Menschen. Bei den Propheten im Alten Testament findet sich das Bild der blühenden Wüste. Dort, wo es für Menschen keinen Lebensraum geben kann, werden Wasser fließen und wird es blühende Blumen und Bäume geben. Aus totem Gelände wird blühendes Land. Die Krippenlandschaften sprechen daher auch von der Hoffnung auf Erlösung. Das größte, was Gott in Christus schenkt, ist ewiges Leben im Tod. Dieses Kind in der Krippe ist nicht irgendwer, sondern der, der von sich gesagt hat: Wer an mich glaubt, hat das ewige Leben. (vgl. Joh 11, 25).

Die Krippen sind eine Predigt in Bildern. In diesen Weihnachtstagen nehme ich mir immer mal wieder Zeit, meine Krippen in Ruhe zu betrachten. Sie laden mich ein, nicht nur unbeteiligter Zuschauer zu bleiben. Auch heute ist Weihnachten kein Märchen, sondern Wirklichkeit. Gott berührt die Welt: „In jener Zeit“, aber auch hier und heute. Wenn ich an die Krippe trete, höre ich die Frage: Wo ist heute mein Ort?  

Musik 6: Johann Sebastian Bach: Ich steh an deiner Krippen hier (CD: O Nata Lux, The Zurich Chamber Singers / Christian Erny, Track 11).

Sendung ist auf www.kirche-im-hr.de online am 26.12