In einem Weihnachtslied („Zu Bethlehem geboren“ GL 239) betrachtet der Dichter Friedrich Spee diese Liebe, er will sich an der Krippe von Bethlehem in sie ganz hinein versenken: „In seine Lieb versenken, will ich mich ganz hinab“. Es kann nun geschehen, dass Menschen, die sich ernsthaft vertiefen, plötzlich eine Ahnung davon bekommen, was es heißt, dass dieses Kind Gegenliebe will. „Mein Herz will ich ihm schenken, und alles, was ich hab.“ – Das Kind lieben, „in Freuden und in Schmerzen, je länger, mehr und mehr.“ Viele Beispiele bezeugen, dass auch die menschliche Gegenliebe zu diesem Kind nicht ohne Konsequenzen bleiben kann. Stephanus war von Christus überzeugt, von seiner Liebe, seinem Anspruch. In seinen letzten Schriften „Im Angesicht des Todes“ beschäftigt sich der Jesuit Alfred Delp auch mit Stephanus als weihnachtlichem Menschen[1]. Stephanus hat eine Botschaft an uns und gleichzeitig ein Gericht: „Lasst uns aus der Gewöhnlichkeit herausspringen“. Ähnlich wie Stephanus kann auch Pater Delp Weihnachten 1944 im Gefängnis dem Ernst der Nachfolge nicht mehr ausweichen. So wie Gott selbst in der Menschwerdung Jesu nicht mehr der „normale“ Gott im Himmel bleibt, aus der Gewöhnlichkeit herausspringt, kann es den Menschen treffen, der tiefer in das Geheimnis des Kindes zu Bethlehem eindringt.
Delp nimmt seinerzeit bei den Glaubenden die Gewöhnlichkeit wahr. Sie bekennen mit den Lippen, aber sind zu einer echten Begegnung mit dem lebendigen und fordernden Gott oft nicht mehr bereit, viele auch nicht mehr fähig. Mir scheint seine Wahrnehmung auch heute aktuell zu sein. Glaube spricht nicht selten weder Herz noch Verstand an, ergreift nicht den Menschen als Ganzes. Unser Gott ist weder zum Fürchten noch zum Verlieben. Es muss bei jedem einzelnen beginnen, der sich auf eine Begegnung mit Gott einlässt, aus der Gewöhnlichkeit herauszuspringen. Uns wird dies keine Verfolgung einbringen, und stärker als Widerstand von außen mag bei uns der innere Widerstand sein, wenn wir feststellen, dass Christsein bei uns in vielen Bereichen unseres alltäglichen Lebens ohne Konsequenzen bleibt, dass Gott kein lebendiges Du mehr ist, es uns aber damit auch genug ist. Vielleicht hilft es, dass wir uns an diesem Fest tiefer in das Geheimnis der verschenkten Liebe Gottes versenken, wie wir es im Lied singen.
Viele Brüder und Schwestern sind aufgrund politischer und gesellschaftlicher Bedingungen heute gezwungen, sich zu entscheiden. Christen in Afrika, Asien, im Nahen Osten erleben Diskriminierung, Verfolgung, Entrechtung, Vertreibung. Nicht wenige kommen auch zu uns und fragen unsere Gewöhnlichkeit an, auch meine eigene. Das Stephanusfest ist nicht weit weg vom Weihnachtsgeheimnis, es ist ein wichtiger Kommentar dazu.
[1] Frankfurt a. M. 1961, 100.