Licht – Leben – Liebe

Predigt von Bischof Peter Kohlgraf zum Bibeltext aus dem Johannesevangelium (Joh 1,1-18) am 1. Weihnachtstag 2017 im Hohen Dom zu Mainz

Stalingradmadonna (c) von photo by JoJan (Eigenes Werk) [Public domain oder CC BY 3.0 (http://creativecommons.org/licenses/by/3.0)], via Wikimedia Commons
Datum:
Mo. 25. Dez. 2017
Von:
Bischof Peter Kohlgraf
Die Weihnachtsszene in Bethlehem gehört sicher zu den am häufigsten gemalten biblischen Motiven. Oft steckt in diesen Bildern viel Theologie und auch viel Lebenserfahrung. Krippendarstellungen verlagern die Geburt des Erlösers in die eigene Zeit, die eigene Region. Das, was in Bethlehem geschehen ist, soll heute aktuell werden, unsere Welt prägen, mich persönlich berühren und bewegen. Diesem Anliegen dienen auch die Krippen in unseren Kirchen und Wohnungen. Weihnachten soll heute neu geschehen, den Alltag verwandeln.

Vor 75 Jahren, Weihnachten 1942, malt der Arzt Kurt Reuber in der „Hölle von Stalingrad“ eine Madonna mit Kind. Er malt mit einfachsten Mitteln, das Kind ist ganz innig in den Armen der Mutter geborgen. Er hat uns seine Deutung hinterlassen: „Das Bild ist so: Kind und Mutterkopf zueinander geneigt, von einem großen Tuch umschlossen. „Geborgenheit“ und „Umschließung“ von Mutter und Kind. Mir kamen die Worte aus dem Johannes-Evangelium: Licht, Leben, Liebe. Was soll ich dazu noch sagen? Wenn man unsere Lage bedenkt, in der Dunkelheit, Tod und Haß umgeben – und unsere Sehnsucht nach Licht, Leben, Liebe, die so unendlich groß ist in uns.“ Das Bild hat damals viele bewegt und getröstet.

Das Bild spricht bis heute viele Menschen an, das Bild und die Deutung durch den Maler berühren auch mich sehr. Der Text des Johannesevangeliums am Weihnachtsmorgen ist ein schwieriger Text, er ist hohe Theologie. Es handelt sich wohl um einen frühchristlichen Hymnus, den der Evangelist Johannes nimmt und bearbeitet. So schwierig der Text sein mag: Licht, Leben, Liebe fassen ihn gut zusammen, und der Maler Kurt Reuber kann in seiner dunklen Situation in der Mutter und ihrem Kind diese tröstenden Worte zusammenschauen. Maria mit dem schutzlosen Jesuskind ist das Bild des Trostes und der Hoffnung. Jesus wird Mensch mitten in unserer dunklen Welt, in meiner Welt.

Wir leben hierzulande seit über 70 Jahre in Frieden und Freiheit, die meisten Menschen haben einen sicheren Wohlstand, Gott sei Dank. Dennoch können wir die Augen nicht davor verschließen, dass Dunkelheit aller Art, Tod und Hass auch in unserer Zeit die Welt prägen. Ich muss kaum Beispiele nennen, die Medien liefern uns täglich die Bilder. Es genügt, aufmerksam einmal durch unsere Städte zu gehen. Blicke ich heute auf Maria mit dem kleinen Kind, und soll heute wirklich Weihnachten werden in unserer Welt, dann geht es gerade nicht darum, die Realität zu vergessen und für einige Tage einmal Dunkel und Tod auszublenden. Vielmehr möchte die Feier von Weihnachten auslösen, dass ich wachsamer und aufmerksamer, sensibler und barmherziger werde. So wie Jesus damals schutzlos und arm im Kessel von Stalingrad neu Mensch wurde, so schutzlos sind Jesus und seine Mutter heute in vielen Menschen in unserer Welt, auch in unserer Stadt, in unseren Dörfern, in unserem Bistum. Ich kenne Menschen, die im Augenblick persönlich dunkle Zeiten durchleben. Manchmal bleibt mir nichts anderes übrig, als ihnen etwas von der Liebe, dem Licht, dem Trost und der Geborgenheit zu schenken, an die ich besonders an Weihnachten glauben will.  Ich glaube fest, dass Christus ihnen ganz nahe ist, nicht in Macht und Herrlichkeit, sondern selbst schutzlos und arm. Kann von Weihnachten Licht, Leben, Liebe ausgehen? Da kommt es auch auf mich ganz persönlich an, dass dies geschieht.

Bischof Kamphaus hat in einer Predigt einmal gesagt: „Weihnachten feiern heißt: sich der Nacht stellen. (…) Jesus öffnet uns die Augen für die im Dunkeln.“ Ich meine, dass dieser Gedanke sehr nahe beim Evangelisten Johannes und seinem Evangelium ist. Es ist, wenn ich Menschen im Leid begegne, gar nicht einfach, bei ihnen zu bleiben. Jesus tut dies. Er kommt ins Dunkel und bleibt, er geht mit, er läuft nicht mehr fort. Johannes sagt: Das Licht, das Leben, die Liebe, braucht Menschen, die sie aufnehmen, verinnerlichen, leben und bezeugen. Das Wort Gottes braucht Menschen, die Licht, Leben und Liebe weitergeben, und das nicht nur zu Weihnachten. Dazu muss ich mich, muss sich der Mensch dem Dunkel stellen und bleiben.

Ich kann die Welt nicht zum Himmel machen. Aber ich gebe Christus erst dann einen Platz, wenn ich ihn dort suche, wo Menschen heute nach Licht und Leben suchen, um Liebe und Geborgenheit ringen. Ich glaube, dass wir in unseren Gemeinden und Familien, in unserer Caritas und auch ganz persönlich da schon viel tun. Wir wissen aber auch, dass es in der Liebe oft einen neuen Schwung und neue Ermutigung braucht. Weihnachten soll ermutigen, an den Menschen, ihren Sorgen und an ihrem Dunkel zu bleiben.

Jetzt wird Christus aber auch Mensch in meinem Dunkel, in meinen Sorgen, in meiner Nacht. Ich darf sicher sein, dass er da ist, und auch da bleibt. Ich kann mich dem Arzt und Maler anschließen: auch in mir ist die Sehnsucht nach Licht, Leben und Liebe unendlich groß. Und Johannes, der Evangelist sagt uns: „Ihr sucht das lebendige Wasser, das Brot, das Licht, den Hirten, die Auferstehung, den Weg, die Wahrheit, das Leben (…)? Alles das ist ER.“ Wenn ich in diesen Tagen auf Weihnachtsbilder schaue, die Lieder singe, meine Krippe zu Hause betrachte, darf ich mir dies sagen. Er kommt auch heute zu mir – und bleibt. Als Licht, Leben, Liebe, stellt er sich meiner Dunkelheit.

Ich wünsche Ihnen allen, dass Sie diese Hoffnung begleitet, heute, aber auch an allen Tagen, an denen Sie unterwegs sind.

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1 Franz Kamphaus, Lichtblicke, Jahreslesebuch, Freiburg i. Br. 2014, 376
2 Gottfried Voigt, Licht, Liebe, Leben. Das Evangelium nach Johannes, Göttingen 1991, 32