In Begegnungen zeigt sich Jesus als der Auferstandene. Es fasziniert mich immer wieder, wenn ich davon lese, dass die Freundinnen und Freunde Jesu die Auferstehung keineswegs erwarten, sondern davon ausgehen, dass sein Tod endgültig ist. Sie wollen ihn salben, sie rollen den schweren Stein vor das Grab. Es ist aus und vorbei. Der Osterglaube entsteht wohl nicht aus dem Wunschgedanken der Jüngerinnen und Jünger, sondern aus den Begegnungen mit dem Auferstandenen. Selbst das leere Grab wird nirgends als Beweis aufgeführt, sondern eher als Schwierigkeit und Rätsel. Entscheidend sind die Begegnungen. Und auch sie sind so unterschiedlich und teilweise verwirrend, dass sie nicht dafürsprechen, dass da jemand ein einheitliches Predigtkonzept entwickelt hätte. Maria Magdalena hält ihn für den Gärtner, die Emmausjünger wundern sich über den seltsamen Weggefährten und Kenner der Schrift, an anderen Stellen erkennen die Menschen Jesus erst, als er sie anspricht, andere teilen das Essen mit ihm, sie lernen zu verstehen, dass er kein Gespenst ist. Er kommt zu den Seinen, er ist der Jesus, den sie kannten und dem sie folgten, und dennoch entspricht er nicht dem Bild des irdischen Jesus. Die menschliche Sprache und auch die Vorstellungskraft versagt. Er ist kein Wunschbild, er ist Realität; er ist derselbe, aber nicht einfach zu erkennen.
Wenn mich jemand persönlich fragt, ob ich die Berichte der Osterevangelien für glaubwürdig halte, würde ich trotz aller Fragen, die ich habe, gerade deswegen mit „Ja“ antworten. Er kommt ja nicht einfach ins irdische Leben zurück und lebt munter weiter. Er geht in eine andere, der Vorstellung entzogene Weise des Daseins, und ist doch ganz wirklich bei den Menschen. Einfach gesagt: Die Begegnung mit dem Auferstandenen muss anders sein als das Miteinander zu Jesu irdischen Lebzeiten. Was wäre eigentlich, wenn Jesus sich heute zu uns gesellt und mit uns ins Gespräch geht? Wie würden wir uns das vorstellen? Wir haben vielleicht Jesusbilder im Kopf: er mit langen Haaren, wallendem Gewand und dem typischen Schuhwerk.
Diesem Thema setzt sich ein Kurzfilm aus dem Jahr 1995 aus, mit dem Thema „Ernst und das Licht“. Die Handlung ist schnell erzählt. Ein Reinigungsmittelvertreter ist mit seinem Wagen auf dem Weg nach Hause und nimmt einen Anhalter mit. Dieser behauptet, Jesus, der Sohn Gottes zu sein, der nach 2000 Jahren endlich wieder auf die Erde kommt. Schon äußerlich wirkt dieser aus der Zeit gefallen. Beide kommen ins Gespräch. Jesus versucht in einer selten ungeschickten und altertümlichen Art, Ernst, den Vertreter, für seine Mission zu gewinnen, die Menschheit zu erlösen. Dieser interessiert sich für alles, nur nicht für das dringende Anliegen Jesu: sein Handy ist kaputt, er möchte schnell zu seiner Frau nach Hause. Der ganze „Missionsmist“ geht ihm zunehmend auf die Nerven. Jesus seinerseits hat in seiner Sprache und seinen Themen längst den Anschluss verpasst. Was auf der Erde vorgeht, weiß er nicht. Er war eben 2000 Jahre weg. Ernst schildert Jesus das wirkliche Leben. Ernst sagt: „Ok, mal angenommen, du sagst die Wahrheit, was willst du bei uns?“ Jesus antwortet: „Die Menschheit wartet seit 2000 Jahren auf meine Rückkehr. Nun werde ich sie erlösen“. Ernst: „Ich möchte dich nicht enttäuschen, aber daraus wird nichts. Vergiss es, ihr werdet nicht mehr gebraucht.“ Jesus: „Soll das heißen, es gibt auf der Welt niemanden mehr, der noch an Gott glaubt?“ Ernst: „Du sagst es. Die Leute interessieren sich nur für Gewalt, Sex und Geld.“ Jesus: „Ich bin die Rettung.“ Ernst: „Du brauchst hier keinen zu retten. Du brauchst nur ein bisschen an dich selbst zu denken.“ Jesus: „Ich gehe wieder zurück.“
Jesus, der Auferstandene, kommt zu den Menschen, er entspricht allen Klischees: unmodern, nicht mehr aktuell, in Sprache und Aussehen seltsam, keine Ahnung davon, was den Menschen heute wichtig ist. Selbstverständlich ist auch Ernst, der Vertreter, eine Karikatur des modernen Menschen: oberflächlich, konsumorientiert, an tieferen Fragen des Lebens und seiner Existenz nicht interessiert. Am Ende kommen die beiden nicht zusammen, sie haben sich nichts zu sagen. Der Auferstandene geht zurück in seine himmlische Blase, der irdische Ungläubige genügt sich mit seinem Alltag. Im Schulunterricht habe ich diesen Film einmal besprochen und eine Schülerin äußerte Kritik an Jesus. Er habe noch nicht einmal den Versuch unternommen, Ernst zu verstehen. Er habe einige Floskeln abgesondert, schließlich kapituliert und sich endgültig zurückgezogen. Er hätte besser zuhören müssen. Tatsächlich versteht dieser wiederkommende Jesus im Film den Menschen nicht. Der Film hat eine tiefgründige Botschaft und ist keineswegs dumm. Es ist nicht immer nur der oberflächliche Mensch, der Schuld daran trägt, dass die Botschaft vom Leben nicht ankommen kann. Es ist auch manchmal die Form und die Sprache der Verkündigung. So wie Jesus dort herüberkommt, erleben manche die Kirche: aus der Zeit gefallen, mit einer floskelhaften Sprache, sie versteht die Menschen dieser Zeit nicht mehr. Dagegen stehen die Evangelien: In den Osterevangelien begegnen wir einem Jesus, der eben nicht weit weg ist, sondern zuhört, erklärt, handelt, die Herzen brennen lässt und die Zeuginnen und Zeugen im Innersten bewegt. Er ist eben nicht für 2000 Jahre abgetaucht, sondern bleibt an der Seite der Menschen. Er nennt Maria beim Namen, dann erkennt sie ihn. Er bricht das Brot, und dann erkennen die Jünger ihn. Ich meine, dass die Botschaft des Evangeliums von der Kraft und Schönheit des Lebens aktuell ist. Wir müssen sie aus den Floskeln herausholen in die persönliche Begegnung mit Christus, dem Auferstandenen. Ich will an einer Kirche mitarbeiten, die Menschen diese Glaubenserfahrungen ermöglicht.
Die Osterevangelien erzählen nicht nur eine Geschichte, die sich vor 2000 Jahren ereignet hat, sondern sie erzählen von der Gegenwart des Auferstandenen in den vielen Formen und Lebenserfahrungen von Menschen heute. Deswegen stimmt von dieser Seite her die Aussage des Films für mich nicht. Jesus zieht sich nicht zurück, er bleibt bei den Menschen in dieser Welt. Er geht ihre Wege mit, er steht nicht einfach als Anhalter am Weg und redet auf sie ein, um seine Botschaft loswerden zu können. Und diese Christusbegegnung ist heute so vielfältig wie in den Texten vor 2000 Jahren. Er tritt in mein Leben, mit meinen Erfahrungen, mit meinen Freuden, Sorgen und Leiden. Er will mit mir in ein Gespräch gehen. Zu keiner Zeit haben die Jüngerinnen und Jünger seine Antworten als Floskeln erfahren. Aber es gibt Zeiten des Nichterkennens, es gibt Zeiten großer Nähe, es gibt Fragen, Zweifel und die Erfahrung des Getragenseins, es gibt die Erfahrung, dass er mich persönlich beim Namen ruft. Auch daher sind die Ostertexte so realistisch. Sie kennen die verschiedenen Facetten der Begegnung mit Christus auch heute. Die Geschichten in Bezug auf den Glauben sind oft leise und ohne Triumphalismus, ähnlich wie meine eigene alltägliche Glaubenserfahrung.
Auch der Mensch muss etwas beitragen, dass diese Beziehung gelingen kann. Wenn wirklich nur noch Geld, Macht und andere Dinge von Belang sind, am Ende nur noch eigene Stärke zählt, werde ich nicht verstehen, wozu ich einen Erlöser und Erlösung brauche. Ostern ist das Fest, an dem wir feiern, dass Gottes Macht dort am stärksten ist, wo der Mensch mit seiner Weisheit am Ende ist. Diese Schwäche darf ich in meinem Leben zulassen und dann öffnen sich vielleicht Augen und Herz für die Gegenwart des Auferstandenen. Er ist da, im Wort der Schrift, im Sakrament, in der Gemeinschaft der Kirche, in den Begegnungen mit Menschen, die mir helfen zu leben. Ich will gerettet werden. Das sage ich in vielerlei Hinsicht. Ich stehe auf gegen die Endgültigkeit und Sinnlosigkeit des Todes. Ich kann und will mich nicht damit abfinden, dass Gewalt und Tod in dieser Welt das letzte Wort haben sollen. Ich kann mich nicht mit dem Gedanken abfinden, dass Unrecht siegen soll. Ich lebe aus dem Glauben, dass mein Leben, dass die Welt einen Sinn hat, der ihr geschenkt ist. Ostern beginnt dort zu sprechen, wo Menschen nicht nur auf sich selbst und ihre Stärke setzen. Spätestens im Tod bin ich wirklich ohnmächtig, zu keiner eigenen Stärke mehr fähig. Aber gerade dann wird Gott mich tragen und begleiten.
„Ihr werdet nicht mehr gebraucht“, sagt Ernst im Film. Ich will ihm deutlich widersprechen. Gott wird gebraucht. Und es ist die Kernaufgabe der Kirche als österlicher Gemeinschaft der Hoffnung, seine Gegenwart zu erinnern und zu feiern. Ostern ist ja nicht zuletzt auch eingegangen in die Feier der Kirche. In der Liturgie feiern wir das Leben, das uns geschenkt ist. Wir feiern den Sieg des Guten, den Sieg des Lebens über den Tod. Wir feiern, dass das Böse nicht siegen wird. Manchmal staune ich über böse Kommentare, nicht allein über die konkrete Kirche, sondern über den Glauben an Gott insgesamt. Vertrauen wir wirklich auf eine Welt, in der die Kraft zum Leben allein aus dem Menschen kommt? An eine derartige Welt glaube ich nicht. Ich glaube aber fest daran, dass Menschen zum Guten fähig sind, weil die Kraft nicht allein aus ihnen, sondern aus Gott kommt, der seinen Sohn aus dem Tod geholt hat. Ostern lässt mich in den vielen Formen und Facetten mit der Gegenwart des Auferstandenen rechnen. Die Begegnung mit ihm ist weder plan- noch machbar. Sie hat so viele Formen, wie es menschliche Fragen und Themen gibt. Die Evangelien machen mich wachsam und hoffnungsvoll für seine vielen Möglichkeiten. Er lebt, er ist und bleibt da.