Trösten können ist eine von Gott geschenkte Gabe. Sein Geist ist selbst der „Tröster“. Trost brauchen die Menschen, die sich in einer Bedrängnis befinden, traurig oder ratlos sind, oder die mit ihrer Trauer oder einer Schuld nicht zurechtkommen. Trost brauchen Menschen, die verzweifelt sind und aus eigener Kraft keine Zukunft mehr sehen können. Paulus preist im 2. Korintherbrief (1,3-4) Gott selbst als den Tröster: „Gepriesen sei der Gott und Vater unseres Herrn Jesus Christus, der Vater des Erbarmens und Gott allen Trostes. Er tröstet uns in all unserer Not, damit auch wir die Kraft haben, alle zu trösten, die in Not sind, durch den Trost, mit dem auch wir von Gott getröstet werden.“
Gott schenkt Menschen, die an ihn glauben, Trost und Zuversicht. Das schönste, was wir als Glaubende weitergeben können, ist der Trost an andere. Trost schenken hat viele Formen: Voraussetzung ist, dass jemand die Not wahrnimmt, sich einem anderen zuwendet, Interesse an der Situation eines betrübten Menschen hat. Trost bedeutet, den anderen nicht mit ein paar schönen Floskeln abzuspeisen, sondern sich Zeit zu nehmen, an der Seite des Betroffenen zu bleiben, Trauer auszuhalten, Tränen und Klage zuzulassen. Trösterinnen und Tröster müssen sich einfühlen können, sie müssen offene Ohren und ein offenes Herz haben. Wer trösten will, darf nicht wegschauen, er muss bereit sein, Not und Trauer wahrzunehmen.
Jesus war zeitlebens ein Tröster. Er hatte Mitleid, er ließ sich von der Not der Menschen berühren. Mehrmals ist im Evangelium die Rede, dass Jesus Mitleid mit den Menschen hat. Er hat Mitleid mit den Menschen, die nichts zu essen haben, und er wirkt das Wunder der Brotvermehrung (vgl. Mt 15, 32). Er hat Mitleid mit den Kranken und heilt sie (vgl. Mt 14,14). Er hat Mitleid mit den Menschen, die keinen Hirten haben (vgl. Mk 6,34) und er lehrte sie lange. Jesus wendet sich den Hungrigen, den Kranken und den führungslosen Menschen zu. Niemals hat man den Eindruck, dass er einfach von oben herab irgendwelche Gaben spendet. Nein, der jeweilige Mensch war der wichtigste Mensch, um den es in diesem Augenblick ging. Jesus verkündet kein politisches Manifest, er spendet Trost an den einzelnen Menschen, er wendet sich dem einzelnen in seiner Not zu. Nach seiner Auferstehung bleibt diese Haltung Jesu bestehen. Es ist auffallend, dass die Evangelien davon erzählen, dass die Echtheit der Auferstehung an seinen bleibenden Wunden erkannt wird. Er behält seine Wunden. Was das bedeutet, hat ein Kind in unnachahmlicher Weise zusammengefasst: „Er kann sicher die Art, wie er gestorben ist, nie vergessen. Er weiß bestimmt noch, wie ihn die Menschen behandelt haben. Man vergisst nicht so leicht, wie es ist, ganz allein zu sein. Ich weiß noch, wie ich in die neue Schule kam und keinen kannte. Da war ich auch ganz allein. Das habe ich nicht vergessen“[1]. Nein, Jesus vergisst nicht, wie es ist, ganz einsam zu sein. Die offenen Wunden sind ein Bild für diese bleibende Erinnerung. Er verschwindet nicht einfach in eine Welt, die mit uns nichts mehr zu tun hat. Weil er seine Wunden behält, bleibt Jesus sensibel für uns, wenn wir einsam sind, wenn wir durch schwere Zeiten gehen, wenn wir Leid, Verachtung und Tod ausgesetzt sind. Man vergisst nicht so schnell, wie es ist, ganz allein zu sein. Gut, dass Jesus dies nicht vergisst.
Nach dem Psychologen C.G. Jung bestimmt die Persönlichkeit eines Arztes den Heilungsprozess eines Menschen entscheidend mit: welche Hoffnung er vermittelt, ob der Patient sich verstanden fühlt, ob der Patient dem Arzt persönlich etwas bedeutet. Ein Arzt, so beschrieben es bereits antike Philosophen, der selbst Verwundungen erlitten hat, bringt die besten Voraussetzungen dafür mit, sich in einen anderen kranken Menschen einzufühlen. Er wird den kranken Menschen nicht als Fall sehen, als Nummer, die er abarbeitet, sondern als Schicksalsgenossen, in den er sich einfühlen kann. Dafür muss er dem anderen Menschen wertschätzend und nicht von oben herab begegnen. Auch einem Seelsorger etwa steht es gut an, sich der eigenen Verwundungen und Schwächen zu erinnern, um einem anderen Menschen halbwegs gerecht werden zu können.
Der Auferstandene bleibt verwundet. Erst seine Wunden erweisen, dass der auferstandene Christus kein Phantasieprodukt ist. Der Auferstandene geht in eine neue Welt, er tritt in Gottes Herrlichkeit ein, aber er nimmt die Wunden mit. Er wird jetzt erst Recht mich, den schwachen Menschen, nicht als lästig empfinden, in meinen Verwundungen erkennt er sich wieder, er vergisst nicht, was Leid und Schmerz bedeuten. So kann er trösten, Mut machen, berühren und begleiten.
Aus der Erfahrung, getröstet zu sein, können auch wir zu Trösterinnen und Tröstern werden. Maria ist eine derartige Trösterin, an die sich viele Menschen wenden. Sie weiß, was Leid bedeutet. Die christliche Tradition spricht von sieben Schmerzen: Sieben ist die Zahl der Vollkommenheit. Das heißt, Maria ist kein Schmerz erspart geblieben: die Weissagung Simeons, dass ein Schwert ihre Seele durchdringen werde (Lk, 2,35); die Flucht nach Ägypten (Mt 2,13); die Suche nach dem verlorenen Jesus (Lk 2,42-48); die Begegnung beim Kreuzweg (vgl. Lk 23,27); das Aushalten unter dem Kreuz (Joh 19,25-27); die Kreuzabnahme, die im Bild der Pietà, der Mutter mit dem toten Sohn auf dem Schoß dargestellt wird, und schließlich die Grablegung Jesu. Unzählige Menschen konnten ihr Schicksal mit dem Schicksal Mariens verbinden. Sie ist die „Frau aus dem Volke“ (GL 521,3), die dem Heiland zu Seite gestanden ist. Bis heute kommen Menschen nach Kevelaer und sind sicher, dass Maria ihr Leid verstehen kann, dass sie hier Trost, Nähe und neuen Mut finden können. Das Gnadenbild hier in Kevelaer ist klein und unspektakulär. Das passt zu Maria, der Trösterin der Betrübten. Sie ist auf Augenhöhe. Sie hat auch als Erhöhte und Gekrönte das Leid nicht vergessen, das sie tragen musste. Man kann den Satz der Schülerin etwas verändert gut auch auf Maria anwenden: „Sie kann sicher die Art, wie sie gelebt hat, nie vergessen. Sie weiß bestimmt noch, wie die Menschen ihren Sohn und sie behandelt haben. Man vergisst nicht so leicht, wie es ist, ganz allein zu sein.“ Das macht sie sensibel für die Nöte der Menschen – bis heute. Sie nimmt sich die Zeit, sie bleibt an unserer Seite, sie lässt Klagen und Tränen zu und läuft unserer Not nicht davon.
Wer hier gebetet hat, wird hoffentlich selbst zur Trösterin und zum Tröster anderer. Maria, die Trösterin der Betrübten, lehrt uns einen neuen Blick auf den Menschen, der bedürftig ist. Papst Franziskus formuliert es sehr schön: „Unser Einsatz besteht nicht ausschließlich in Taten oder in Förderungs- und Hilfsprogrammen; was der Heilige Geist in Gang setzt, ist nicht ein übertriebener Aktivismus, sondern vor allem eine aufmerksame Zuwendung zum anderen, indem man ihn ‚als eines Wesens mit sich selbst‘ betrachtet. Diese liebevolle Zuwendung ist der Anfang einer wahren Sorge um seine Person, und von dieser Basis aus bemühe ich mich dann wirklich um sein Wohl. Das schließt ein, den Armen in seinem besonderen Wert zu schätzen, mit seiner Wesensart, mit seiner Kultur und mit seiner Art, den Glauben zu leben. Die echte Liebe ist immer kontemplativ, sie erlaubt uns, dem anderen nicht aus Not oder aus Eitelkeit zu dienen, sondern weil es schön ist, jenseits des Scheins.“ (Evangelii Gaudium 199)
Dazu braucht es Mut, Geduld, Liebe und Interesse. Wer hier betet, kann nicht gleichgültig bleiben. Das ist der tiefste Sinn des Pilgerns heute. Das Pilgern verändert mein Denken und Fühlen. Ich mache mich auf den Weg und trage mein Leben mit mir, aber auch das Leben der vielen Menschen, die vielen Sorgen und Fragen, die die Menschen unserer Zeit bewegen. Ich erwarte hier keine Magie und keinen Automatismus. Vielmehr möchte ich mich trösten lassen, um selbst trösten zu können. Ich glaube, dass unsere Welt auf Trost wartet, auf Menschen, die sich der Not, den Fragen, der Trauer und den vielen Herausforderungen stellen. Maria möge uns Mut machen, hier nicht wegzulaufen, sondern an der Seite der Menschen zu bleiben. Maria, Trösterin der Betrübten – bitte für uns!
[1] Robert Coles, Wird Gott naß, wenn es regnet? Die religiöse Bilderwelt der Kinder, Hamburg 1992, 183.