Maria erinnert uns an das große Ziel

Predigt von Bischof Peter Kohlgraf Stiftsamt, Mariä Aufnahme in den Himmel Hoher Dom zu Mainz, Donnerstag, 14. August 2024, 10 Uhr

Mainz - Augustinerkirche (c) Darius Metzner
Datum:
Do. 15. Aug. 2024
Von:
Bischof Peter Kohlgraf

Würde und Bedeutung können uns nicht andere Menschen zuteilen, sondern wir haben sie: das ungeborene Kind hat sie, der Sterbende und Besinnungslose hat sie. Maria, die kleine Frau aus Nazareth ist in den Augen Gottes die Größte. Adolf Kolping hat einmal formuliert: Das Glück der Menschen liegt nicht in Geld und Gut, sondern es liegt in einem Herzen, das eine wahrhafte Liebe und Zufriedenheit hat.

Wer Christus in sein Leben eintreten lässt, verliert nichts, gar nichts, absolut nichts von dem, was das Leben frei, schön und groß macht. Nur in dieser Freundschaft öffnen sich die Türen des Lebens weit. Nur in dieser Freundschaft erschließen sich die großen Möglichkeiten des Menschseins.

Diesen Satz hat Papst Benedikt XVI. beim Weltjugendtag 2005 in Köln gesprochen. Tatsächlich wird auch Papst Franziskus nicht müde, uns in Erinnerung zu rufen, dass Glauben etwas Wunderbares sein kann, etwas Frohmachendes und Bereicherndes.

Jede Zeit entdeckt ihr Marienbild. Oft war es die schmerzhafte Mutter, die den Menschen besonders nahe war. In der Erfahrung von Flucht und Ausgestoßensein, in der Erfahrung des Leidens und des Dunkels kann sie vielen Menschen nahe sein – auch heute. Das Bild der Mutter mit ihrem toten Sohn auf dem Schoß ist gerade heute wieder bittere Realität in vielen Teilen unserer Welt. Vielleicht finden glaubende Menschen darin Trost, dass Maria ihnen in ihrem Schmerz nahe ist. Vor den Bildern der Schmerzensmutter, wie sie oft genannt wird, brennen oft Kerzen, viele Gebete werden dort gesprochen. Im Leiden sind wir nicht allein – das ist die Botschaft Mariens. Allerdings kann der alleinige Blick auf das Leiden und Kreuztragen auch zu einer sehr einseitigen Form der Nachfolge Christi führen. Es bleibt richtig: Wer Christus nachfolgen will, wird auch bereit sein müssen, mit ihm das Kreuz zu tragen. Das heißt nicht, das Leiden suchen zu müssen, aber auch das Schwere als Weg zum Leben und in das Leben annehmen und verwandeln zu lernen.

Es kann daher auch gut sein, dass es uns glauben hilft, wenn wir die Freuden Mariens betrachten. Die mittelalterliche Frömmigkeit hat neben den sieben Schmerzen auch eine Verehrung der sieben Freuden Mariens entwickelt.

Die ersten sechs sind der Kindheitsgeschichte entnommen. Verkündigung, Begegnung mit Elisabeth, Geburt Christi, Anbetung der Könige, Begegnung mit Simeon, Wiederfinden Jesu im Tempel.

Maria darf erleben, wie die Begegnung mit Christus die Welt wirklich verwandelt. Wie ganz unterschiedliche Menschen Christus als die Erfüllung ihrer Sehnsucht entdecken.

Zunächst einmal erlebt Maria selbst, dass Gott das Unmögliche möglich macht, eine Jungfrau wird Mutter, sie selbst darf Christus, den Erlöser zur Welt bringen. Sicher waren damit auch viele Fragen verbunden. Die Haupterfahrung ist aber, dass Gott nicht jemanden deswegen erwählt, weil er groß, klug und mächtig ist. Gott macht die groß, die nicht allein auf ihre Stärke bauen. Gott gibt denen Würde, die bei anderen keinen Namen haben.

Die erste Freude Mariens ist etwas Hochaktuelles, wenn sie auch manches moderne Denken auf den Kopf stellt. Wie nie zuvor meinen sich Menschen ihren Wert selbst geben zu müssen, durch Erfolg und Reichtum, durch Gesundheit und Aktivitäten. Sie übersehen, dass das Wichtigste, was uns wertvoll macht, ein Geschenk bleibt, das Gott uns gemacht hat. Würde und Bedeutung können uns nicht andere Menschen zuteilen, sondern wir haben sie: das ungeborene Kind hat sie, der Sterbende und Besinnungslose hat sie. Maria, die kleine Frau aus Nazareth ist in den Augen Gottes die Größte. Adolf Kolping hat einmal formuliert: Das Glück der Menschen liegt nicht in Geld und Gut, sondern es liegt in einem Herzen, das eine wahrhafte Liebe und Zufriedenheit hat.

Die weiteren Freuden Mariens zeigen Christus als die Erfüllung der Sehnsucht der Menschen. Johannes der Täufer hüpft vor Freude im Schoss seiner Mutter, die Hirten beten an, genau wie die Könige, die alles stehen und liegen lassen, um ihn als das Licht der Welt zu finden, auch der alte Simeon erkennt Christus als die Sehnsucht, die ihn ruhig und erfüllt sterben lässt. Wenn diese Menschen Christus gefunden haben, haben sie alles. Reiche und Arme, Gesunde und Kranke, Gebildete und schlichte Menschen, sie alle entdecken Christus als die Wahrheit und das Fundament ihres Lebens. Auch hierin ist etwas Bleibendes:  Die Kirche beginnt nicht mit Programmen und Papieren. Glaube überträgt sich in der Regel nicht durch noch so schlaue Bücher. Sondern er überträgt sich durch den Zeugen, denjenigen, der Christus liebt, der ihn zu anderen trägt. Und dann etwas von der Freude des Glaubens, von der Erfahrung weitergeben zu können, dass Gott eine lebendige, liebende Wirklichkeit ist, darin besteht der Dienst Mariens. Daran hat sich bis heute nichts geändert. Glaube überträgt sich durch Beziehung zum Glaubenden. Glaube steckt dort an, wo jemand selbst Christus als den Schatz seines Lebens entdeckt hat. Wo deutlich wird, dass der Glaube für mich nicht nur eine Last ist, sondern der Lebensinhalt, der mich reich macht, der mir leben hilft. Wo ich Christus berührbar mache, weil ich meine alltägliche Arbeit mit Liebe mache, nicht nur aus Pflicht.

Maria findet Christus im Tempel wieder – das ist zunächst keine große Sache. Vielleicht besteht die Freude Mariens darin zu erfahren, dass ihr Sohn gut in Gottes Händen steht. Dass es den Sohn groß macht, ihn nicht besitzen zu wollen. Maria ist uns eine große Wegbegleiterin dann, wenn wir meinen, Christus verloren zu haben.

Die letzte Freude Mariens: Ihre Aufnahme in den Himmel und ihre Krönung. Christinnen und Christen haben in ihr damit ein Zeichen der Hoffnung gefunden, einen Orientierungspunkt, wenn sie das Ziel aus den Augen verlieren. Wir verzetteln uns nicht selten in den Angelegenheiten des Alltags. Sie kennen vielleicht den berühmten Satz: Wenn du ein Schiff bauen willst, dann verteile nicht Baupläne o.ä., sondern wecke in den Menschen die Sehnsucht nach dem weiten Meer. Vielleicht ist das oft auch unsere Not in der Kirche. Wir haben Material, wir haben Menschen, die mitmachen, wir haben Pläne zuhauf. Aber die Sehnsucht ist nicht mehr da, das Wissen darum, warum wir das tun, warum wir Christinnen und Christen sind. Maria erinnert uns an das große Ziel, sie weckt die Sehnsucht nach dem Großen und Weiten, nach der Ewigkeit.

Christus nimmt uns nichts, er gibt uns alles. Vielleicht sind die freudenreichen Aspekte des Lebens Mariens ein wunderschöner Kommentar zu diesem Satz des Papstes beim Weltjugendtag in Deutschland. Sie können zu einem Beweis dafür werden, dass Christsein nicht arm macht, sondern etwas sehr Schönes sein kann, das uns von unserer großen Würde spricht, von unserer großen Aufgabe für andere Menschen und die Welt und vom großen Ziel, dass Gott uns vor Augen stellt.

Nur in dieser Freundschaft mit Christus öffnen sich die Türen des Lebens weit. Nur in dieser Freundschaft erschließen sich die großen Möglichkeiten des Menschseins. Das dürfen wir heute feiern.

Christus nimmt nichts weg von dem, was wir an großem und schönem in uns haben, sondern er gibt alles.