Nicht erst seit Beginn unseres Pastoralen Weges im Bistum Mainz inspiriert uns das Lebens- und Glaubensbeispiel des heiligen Martinus von Tours. Er ist für uns ein guter Begleiter, wenn wir heute versuchen, eine Kirche des Teilens in den verschiedenen Dimensionen zu gestalten. Sollten in unserer Gesellschaft rein selbstbezogene Tendenzen zunehmen, können wir als Kirche im Bistum Mainz ein lichtvolles Beispiel sein, dass gemeinsame Visionen und Glaubenshaltungen Menschen befähigen, nach gemeinsamen Lösungen zu suchen, respektvoll miteinander umzugehen, mit Achtung vor dem anderen Menschen Konflikte zu bearbeiten und: einen gemeinsamen Auftrag auch gemeinsam erfüllen zu wollen.
In der jetzigen Zeit der Kirche ist dies, was wir hier versuchen, unter dem bisher ungewohnten Wort der „Synodalität“ beschrieben. Die Weltsynode ist genau wie der Synodale Weg in Deutschland erste Schritte gegangen, um diese eigentlich in die Gene der Kirche eingeschriebene Lebensform und Haltung besser zu verstehen und konkret werden zu lassen. Papst Franziskus hat es einmal ausdrücklich gesagt, er wolle ein „synodale Kirche“. Bilder einer solchen Kirche finden sich bereits im Neuen Testament. In einem grundlegenden Konflikt der Kirche in Jerusalem streiten die Apostel und die Gläubigen heftig miteinander, sie müssen Kompromisse machen, die nur gelingen, wenn zum einen egoistische Grundhaltungen aufgegeben werden und zum anderen ein Vertrauen auf Gottes Führung leitend ist. Der Apostel Paulus vergleicht die Kirche mit einem Leib. Jedes einzelne Glied ist wichtig, aber jedes Glied hat eine eigene unverzichtbare Aufgabe für die anderen Teile des Leibes. Er beschreibt eine Einheit in Vielfalt und Unterschiedenheit. Das könnte ein Bild für Synodalität sein: verschiedene Aufgaben und Verantwortung, verschiedene Begabungen, verschiedene eigene Grenzen, so dass jeder und jede den anderen Teil zum Leben braucht.
Lange war die Kirche nicht wirklich synodal. Ein Theologe hat einmal rückblickend das Bild vom Leib aufgegriffen und die Beobachtung formuliert: Zu lange war die Kirche ein Kopf mit Füßen. Es gab „die da oben“, die Anordnungen gaben, und es gab „die da unten“, die zu gehorchen hatten. Die Obrigkeit trat mit dem Anspruch auf, für alle Lebenslagen der Menschen alles wissen zu können. Das mag eine Überzeichnung sein, aber ganz falsch ist es wohl nicht. Wir lernen Synodalität, das heißt: die Unterschiedlichkeit der Menschen zu achten und wertzuschätzen, sie in ihren Gaben und ihrer Verantwortlichkeit nicht als Konkurrenz, sondern als notwendige Hilfe zum Leben zu sehen. Wir brauchen einander. Wenn alle alles machen wollen, geht es auch nicht. Wenn jemand Missachtung erfährt, leiden alle.
Gestern kam ich von der zweitägigen konstituierenden Sitzung des Synodalen Ausschusses in Essen zurück, gegen alle Erwartung haben die Mitglieder die Satzung und die Geschäftsordnung einstimmig beschlossen. Das ist keine Kleinigkeit. Denn wir haben gemeinsam gerungen: Was die Rolle der Bischöfe? Wie gestalten sie das Miteinander in diesem Ausschuss (und darüber hinaus) mit ihren Gläubigen? Wie beteiligen sie glaubende Menschen an Beratungen und Entscheidungen? Wir erreichten Einstimmigkeit, weil wir versucht haben, die Sichtweisen der jeweils anderen zu verstehen, die eigenen Haltungen zu hinterfragen und dann auch zu begründen. Ich gehe zuversichtlich auch in die nächsten Sitzungen.
Auf verschiedenen Ebenen machen wir uns an die Umsetzung der Beschlüsse des Synodalen Weges. Und was unser Bistum betrifft, kann das nicht ohne unsere Räte gehen. Der Katholikenrat im Bistum Mainz hat sich bereits intensiv mit konkreten Fragen der Synodalität befasst. Im Bistum gründen sich zum 1. Januar 2024 die ersten fünf neuen Pfarreien: Offenbach, Viernheim, Lorsch-Einhausen, Langen-Egelsbach-Erzhausen und Ingelheim. Nehmen wir das Kirchenbild des Apostels Paulus ernst, kann es nicht darum gehen, Vielfalt einzuebnen, sondern gerade auf sie zu setzen und sie zu fördern. Dennoch braucht es Einmütigkeit, es geht darum, jedes Glied ernst zu nehmen. Wenn Glieder miteinander im Streit liegen, müssen Lösungen gesucht werden. Auf niemanden können wir verzichten. Besonders emotional sind die anstehenden Gebäudefragen. Auch diese werden wir gemeinsam lösen, wenngleich Entscheidungen oft schwierig sind. Die entscheidende Haltung ist dabei das Interesse an einer gemeinsamen pastoralen Idee, zu sehen, welche Hilfsmittel wir wirklich brauchen und wo wir Ressourcen zusammenlegen und gemeinsam nutzen können. Vor einiger Zeit haben wir zusammen einen Visionstext entwickelt, der für uns leitend ist. In diesem Sinne haben wir in der Leitung des Bistums und den pastoralen Räten nun ein Rahmenleitbild erarbeitet, das im Hinblick auf die neue Grundordnung für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Dienst der Kirche die gemeinsame Vision unseres Bistums vorlegt, um sie in den einzelnen Einrichtungen konkretisieren zu können. Im Sinne des heiligen Martinus wird nun zunehmend auch der Gedanke des „Verantwortung Teilens“ ernst. Menschen mit Verantwortung in den Pfarreien und Kirchorten sind keine Monarchen, sondern Teil eines Leibes, die ermöglichen, dass andere ihre eigene Aufgabe und Verantwortung wahrnehmen. Leitung nehmen wir so gemeinsam und kollegial wahr, im Sinne des Apostels haben alle Beteiligten eigene Verantwortlichkeiten, Aufgaben und Rollen, die aber in einem Leib zusammenfinden. Sonst wären wir wieder beim Kopf mit den Füßen.
Synodalität ist ein spannendes Projekt, die Kirche bleibt eine Gemeinschaft auf dem Weg, eine Gemeinschaft, die lernt. Heute will ich herzlich allen danken, die mitgehen, mitdenken, mitsprechen und auch entscheiden, indem sie zu ihrer eigenen Verantwortung stehen.