Menschen der Hoffnung – so sehen viele Texte der Bibel die Gemeinden in einer oft unübersichtlichen Welt. Christinnen und Christen sehen sich in der Nachfolge Jesu: „Seid stets bereit, jedem Rede und Antwort zu stehen, der von euch Rechenschaft fordert über die Hoffnung, die euch erfüllt.“ (1 Petr 3,15). Viele andere Stellen könnte ich nennen. Wir feiern die Heiligen in dieser Zeit bewusst als Menschen der Hoffnung.
Was ist Hoffnung nicht? Das lässt sich leichter formulieren als es positiv zu sagen. Hoffnung kann nicht Blauäugigkeit bedeuten, keine Naivität und auch keine Verdrängung der Wirklichkeit. Religion ist eben kein Opium für das Volk. Hoffnung kann auch nicht heißen: „alles halb so wild“, oder: „es wird alles automatisch wieder gut“. Jesus sieht die Armen, die Trauernden, die Verfolgten. Im Moment leben wir wirklich in einer Welt, in der eine derartige Botschaft geradezu zynisch wäre. Menschen in den Kriegsgebieten, in Israel oder in der Ukraine, kann ich mit einer derartigen Perspektive nicht kommen. Das gilt gleichermaßen für die vielen weiteren Kriegsherde, die nicht gesehen werden oder an die wir uns mittlerweile gewöhnt haben. Ebenso könnte man an so viel anderes Leid in dieser Welt denken. Sicher haben viele von uns die täglichen Nachrichten und Bilder im Kopf. Selbst in der Kirche sind Haltungen und das Miteinander meiner Wahrnehmung nach nicht immer von Hoffnung geprägt. Gesellschaftlich reden wir von stärker werdenden Spaltungen, der Ton verschiedener Gruppen wird rauer, wenn nicht hasserfüllter. Dahinter mag auch der Grund stecken, dass sich nicht wenige abgehängt fühlen, auch das Vertrauen in politische demokratische Systeme wird geringer. Menschen haben den Eindruck, sie könnten ohnehin nichts verändern. Dies ist das Gegenteil von Hoffnung, sich ohnmächtig zu fühlen, man sieht sich als Spielball von größeren Mächten, gegen die man ohnehin nichts machen kann. Wer sich durch eine solche Erfahrung bestimmen lässt, wird klein, hilflos, hoffnungslos. Menschen hören auf, an ihre eigenen Fähigkeiten zu glauben. Sie lassen gegebenenfalls die Welt um sich herum Welt sein und ziehen sich ins Private zurück. Hier haben sie den Überblick, diese Welt können sie gestalten. Hoffnungslosigkeit kann für eine Gemeinschaft zerstörerisch sein, weil sie Menschen voneinander trennt. Dennoch dürfen wir nicht schwarzmalen. Immer wieder durfte ich in den letzten Monaten Menschen begegnen, die Hoffnung für ihr Leben und für diese Welt haben.
Christinnen und Christen dürfen sich als Menschen der Hoffnung verstehen. Für diese Hoffnung stehen die vielen großen und auch die unbekannten Heiligen, die wir heute feiern. Für sie alle war wohl die stärkste Motivation, die Welt und sich selbst nicht aufzugeben. Sie waren davon überzeugt, dass Gott diese Welt nicht aufgegeben hat und nie aufgeben wird. Sie verstanden sich als Jüngerinnen und Jünger Jesu, der gekommen ist, um die Welt und jeden einzelnen Menschen zu retten. Die Heiligen waren Realisten, denn auch das Evangelium redet sich die Wirklichkeit dieser Welt nicht schön. Aber sie konnten sich der Hoffnung Jesu anschließen, dass die Herrschaft Gottes in dieser Welt wirkt, oft als kleines Samenkorn oder als kleines Licht auf einem Leuchter. Jesus hat viele derartige Gleichnisgeschichten erzählt. Für manchen war das Reich Gottes wie ein verborgener Schatz, den man aktiv suchen muss, so wie eine kostbare Perle, nach der man lange gesucht hat. Heilige waren Menschen, die immer auf der Suche waren nach dieser verborgenen Gegenwart Gottes in ihrem Leben und in der Welt, viele verstanden Glauben als diese lebenslange, hoffnungsvolle Suche. Die Heiligen verschlossen nicht die Augen vor der Wirklichkeit und Wucht des Bösen in dieser Welt. Sicher hat manche heilige Persönlichkeit auch in dunklen Nächten nach Gott gerufen, so wie Jesus am Kreuz nach seinem Vater ruft. Viele von ihnen waren die Armen, die Trauernden, die Hungernden und nach Gerechtigkeit Strebenden. Viele mussten Verfolgung und Ausgrenzung erfahren. Und dennoch konnten sie sich „selig“ glauben, weil sie sich in Gottes Blick wussten. Ich selbst bin in meiner Tätigkeit als Seelsorger immer wieder Menschen begegnet, die Leid erfahren haben und denen es gelang, anderen Freude und Hoffnung zu vermitteln.
Heilige Menschen wussten: Gott braucht sie. Darin liegt ihre Größe. Sie fühlten sich nicht als Spielball anonymer Mächte, sondern als Bundespartnerinnen und -partner Gottes. Gott will die Welt mit uns Menschen gestalten, mit unserer freien Zustimmung, mit unserem Verstand und unserem Herzen. Deswegen kann ich mir heilige Menschen nur schwer in einer privaten Schmollecke vorstellen, die sie von aller Verantwortung abgrenzt.
Eine Kernbotschaft des Evangeliums lautet, dass wir mitbauen müssen an einer Welt, in der Versöhnung einen Raum hat. In den großen Kriegsgebieten ist dies nicht einfach zu thematisieren, schon gar nicht moralisch zu fordern. Zuviel Leid und Gewalt stehen sinnlos im Raum. Aber immer wieder brechen auch dort kleine Pflänzchen auf, wo Menschen aus privater Initiative im Kleinen dem Feind die Hand reichen, Wunden verbinden oder Trost schenken und sie nicht neues Öl ins Feuer gießen. Vor einigen Wochen war eine Gruppe aus Zentralafrika zu Besuch, die genau dies in ihrem Bürgerkriegsgeplagten Land versuchen. Solche Menschen sehen ihre Verantwortung weniger darin, große politische Umwälzungen in Programme zu schreiben, sondern vielmehr darin, mit konkreten Taten zu beginnen. Sie ergreifen persönlich Initiative und suchen sich Verbündete für den Frieden. Solche Menschen preist Jesus selig. Man kann das nicht einfordern, aber staunend wahrnehmen. Menschen können die Welt verändern. Diese Hoffnung trägt viele, auch heute.
Ich bin dankbar für eine Kirche, in der ich vielen Menschen begegnen darf, die den Seligpreisungen entsprechend leben und für die ich Bischof und mit denen ich Christ bin. Es gibt manche berechtigte Kritik, aber manche wirkt auch zersetzend. Dieser Kritik will ich mich nicht anschließen. Sie wird uns auch nicht weiterbringen.
Heute feiern wir alle Heiligen. Es gibt sie auch heute. Sie sitzen auch hier im Raum. Lassen wir uns einladen, Menschen zu sein und zu bleiben, die von anderen nach ihrer Hoffnung gefragt werden, die sie erfüllt.