Dieses Thema soll uns in den heutigen Nachmittag und Abend einstimmen. Ich halte das für ein sehr schönes und passendes Thema, angesichts gesellschaftlicher und kirchlicher Entwicklungen. Der Theologe Tomáš Halík hat ein neues Buch geschrieben unter dem Titel „Traum vom neuen Morgen. Briefe an Brückenbauer.“ Damit zeigt er, dass dieses Thema uns in die Zukunft führt. Denn Glaube hat eine Zukunft.
Der Mensch hat eine Zukunft, weil Gott eine Zukunft hat und immer mit uns gehen wird. Wir sind berufen, diese Welt, diese Kirche und diese Gesellschaft in seinem Sinne zu gestalten, weil Gott für uns eine Zukunft sieht. Brücken zu bauen zu anderen Menschen, will ich in meinen Gedanken als einen Kernauftrag christlichen Lebens beschreiben. Ich halte das insofern für hochaktuell, weil wir in einer Gesellschaft leben, die sich eher dadurch auszeichnet, dass sie Mauern aufbaut, Gewalt und Hass sät, und damit das Zusammenleben von Menschen erschwert. Martin Buber hat einmal folgenden Satz gesagt: „Alles menschliche Leben ist Begegnung.“ Wenn Gott den Menschen auf Gemeinschaft hin geschaffen hat, dann ist es das Bild der Brücke, nicht das Bild der Mauer, das den Menschen als Ebenbild Gottes beschreibt. Begegnung im christlichen Sinne ist aber mehr als eine zufällige Begegnung, sondern sie besteht in einem echten Interesse, einem echten Zuhören und einem echten Verstehen wollen.
Ich bin in Köln am Rhein groß geworden. Viele Jahre habe ich dann in Bonn, ebenfalls am Rhein, gearbeitet. Seit sieben Jahren bin ich Bischof von Mainz, ebenfalls am Rhein. In meinem Wappen hat dieser Rhein seinen Niederschlag gefunden. Bei der letzten Fasnacht in Mainz gab es einen Künstler, der folgenden Satz gesagt hat: „Mainz hat drei Probleme, alle liegen am Wasser.“ Damit meinte er u. a. die Brückensituation in der Stadt. Eine Brücke war kaputt und musste über Jahre repariert werden. Eine andere Brücke war eine Baustelle, sodass über Jahre Verkehrschaos herrschte. Wo Brücken nicht funktionieren, gestaltet sich menschliches Miteinander sehr schwierig. Brücken können Sehnsuchtsorte sein, manchmal werden sie aber auch bewusst zerstört, um menschliches Leben unmöglich zu machen. Unsere Welt braucht Brückenbauer, und ich meine, dass wir als Christinnen und Christen hier einen wesentlichen Auftrag haben. Gott selbst ist von seinem Wesen her Brückenbauer. Das erweist sich bereits in der Schöpfung des Menschen. Er erschafft den Menschen nicht als abhängigen Knecht, sondern als sein Ebenbild. Mann und Frau sind Ebenbild Gottes. Damit zeigt Gott, wie er ist. Er ist nicht einsamer Herrscher, sondern er ist jemand, der in eine Beziehung zu Menschen treten will. Damit legt er von Anfang an eine Brücke in seine Schöpfung. Der Mensch ist sozusagen die Brücke, die Gott selbst schafft. Der Mensch hat Teil an Gottes Herrschaft über die Schöpfung. Der Mensch soll in seinem Auftrag Leben ermöglichen. Wenn es im Buch Genesis heißt, dass der Mensch herrschen soll, dann ist damit gemeint, dass er als Ebenbild Gottes die Schöpfung erhalten und pflegen soll. Das ist einer der ersten und wichtigsten Brückendienste des Menschen.
Im nächsten Jahr werden wir der zehn Jahre zuvor erschienenen Enzyklika Laudato si‘ gedenken. Es ist hoch aktuell in dieser Zeit, den Brückendienst der glaubenden Christinnen und Christen auch in diesem Sinne als Dienst an der Schöpfung und ihrer Bewahrung zu verstehen. Der hl. Martin hat sich wohl zeitlebens als Brückenbauer verstanden, als Bistumspatron ist er uns Vorbild und Begleiter. Wir haben sein Vorbild des Teilens als Leitmotiv für unsere diözesanen Prozesse beschrieben. Den Glauben teilen: Martin hat immer wieder Brücken zu Gott gebaut und Gott die Möglichkeit gegeben, in der Welt zu wirken. Martin hat sich als sein Werkzeug verstanden. Gott war für ihn eine täglich erfahrbare Wirklichkeit. Die zuletzt veröffentlichte Kirchenmitgliedschaftsuntersuchung erweist, dass eine derartige Gottesvorstellung selbst vielen Menschen in der Kirche mittlerweile fremd ist. Wir sollten die Gottesfrage stellen, wobei auch Zweifel und Fragen ihren Platz haben sollten. Die grundsätzliche Überzeugung, dass Gott ein Gott der Liebe und Nähe ist, der in Jesus und in seinem Geist Brücken zum Menschen bauen will, sollten wir nicht nachlassen. Das war für Martin die wichtigste Motivation seines Glaubens und Handelns. Diesen Glauben sollten wir teilen. So wie wir auch das Leben teilen und wie Martin Brücken zum anderen Menschen schlagen. Seine Biographie hebt hervor, dass dies auch vor seinem Christwerden und der Mantelteilung Prinzip seines Lebens war. Er sah im anderen Menschen immer schon den Bruder oder die Schwester, denen er begegnen wollte. Wir stehen derzeit besonders vor den Herausforderungen des Ressourcen-Teilens. Es ist verständlich, dass Gebäude und Geld viele Menschen bewegen. Wir müssen jedoch begreifen, dass diese Ressourcen nur dann einen Sinn haben, wenn sie Werkzeuge sind, die dazu dienen, Brücken zu bauen, und nicht Selbstzweck.
Bei allen zum Teil heftigen Debatten dürfen wir die Dimensionen des Teilens von Glauben und Leben nicht aus den Augen verlieren. Verantwortung teilen lernen ist ein aktueller Prozess, der sich bis in den Abschlusstext der Weltsynode hineinzieht. Ein Blick in das Dokument lohnt sich, es wird uns lange beschäftigen. Es geht um einen neuen Stil des Miteinanders, Synodalität will Brücken bauen. Ich darf zitieren: „Wenn der synodale Stil in Demut praktiziert wird, befähigt er die Kirche, in der heutigen Welt eine prophetische Stimme zu sein.“ Daran anschließend wird Papst Franziskus mit den Worten zitiert: „Eine synodale Kirche ist wie ein erhabenes Banner unter den Völkern (vgl. Jes 11,12)“. Wir leben in einer Zeit, die von immer größeren Ungleichheiten, wachsender Enttäuschung über traditionelle Regierungsmodelle, Ernüchterung über das Funktionieren der Demokratie, zunehmenden autokratischen und diktatorischen Tendenzen und der Vorherrschaft des Marktmodells ohne Rücksicht auf die Verletzlichkeit der Menschen und der Schöpfung geprägt ist. Die Versuchung kann darin bestehen, Konflikte durch Gewalt statt durch Dialog zu lösen. Eine authentische Praxis der Synodalität ermöglicht es den Christinnen und Christen, eine kritische und prophetische Stimme gegenüber der herrschenden Kultur zu sein. Wenn wir uns um Synodalität bemühen, können wir Zeugnisse des Brückenbauens auch in Konfliktsituationen bauen. Brücken bauen ist letztlich auch ein Dienst in der Nachfolge Jesu. Der evangelische Pfarrer Kurt Rommel (1926-2011) hat dieses Gedicht verfasst:
„Herr, gib mir Mut zum Brückenbauen, gib mir den Mut zum ersten Schritt. Laß mich auf deine Brücken trauen, und wenn ich gehe, geh du mit. Ich möchte gerne Brücken bauen, wo alle tiefe Gräben sehn. Ich möchte hinter Zäune schauen und über hohe Mauern geh‘n. Ich möchte gern dort Hände reichen, wo jemand harte Fäuste ballt. Ich suche unablässig Zeichen des Friedens zwischen Jung und Alt. Ich möchte nicht zum Mond gelangen, jedoch zu meines Feindes Tür. Ich möchte keinen Streit anfangen; ob Friede wird, liegt auch an mir. Herr, gib mir Mut zum Brückenbauen, gib mir den Mut zum ersten Schritt. Laß mich auf deine Brücken trauen, und wenn ich gehe, geh du mit.“