Lieber Herr Flößer, lieber Herr Haub, lieber Herr Humm, liebe Festgemeinde!
„Nehmt Neuland unter den Pflug! Es ist Zeit, den Herrn zu suchen.“ (Hos 10,12b) Dieses Motto aus dem Prophetenbuch Hosea haben Sie sich als Leitwort für Ihren Sendungsgottesdienst gegeben. Es ist ein mutiges Wort eines kühnen Menschen aus dem 8. Jahrhundert vor Christus, es ist ein mutiges Wort für heute. Sie begeben sich auf Neuland, sie wollen auf dem Weg bleiben, den Herrn zu suchen, und Sie wollen andere Menschen begleiten und mitnehmen auf ihren neuen Wegen und ihrer Gottsuche, Sie wollen neue Wege im Bistum und in der Kirche mitgestalten und machen dabei auf das Wesentliche allen pastoralen Handelns aufmerksam: das Neue ist nicht gut um seiner selbst willen, sondern indem es der Suche nach Gott und seinem Willen dient. Ich freue mich, dass wir uns gemeinsam auf diesen Wegen wissen.
Hosea erzählt in seinem Buch eine Liebesgeschichte. Er ist der erste biblische Autor, der das Verhältnis Gottes zu seinem Volk mit dem Wort „Liebe“ beschreibt. Gott zieht sein Volk an sich mit den „Banden der Liebe“, so wie eine Mutter ihr Kind an die Wange hebt (Hos 11,4). Er nährt die Menschen, die er so sehr liebt. In dieses Bild sollte man sich im Gebet und in der Betrachtung immer wieder versenken. Schöner kann man über Gott nicht reden. Bis heute stehen Menschen für diesen leidenschaftlich liebenden Gott ein. Nach dem Tod des französischen Mathematikers und Philosophen Blaise Pascal (1623-1662) fand man im Futter seines Rockes einen Pergamentstreifen mit einem bemerkenswerten Text. Als sein Memorial ist er in die Geschichte eingegangen. Die ersten Zeilen lauten:
„Jahr der Gnade 1654
Montag, den 23. November, Tag des heiligen Klemens, Papst und Märtyrer, und anderer im Martyrologium.
Vorabend des Tages des heiligen Chrysogonos, Märtyrer, und anderer.
Seit ungefähr abends zehneinhalb bis ungefähr eine halbe Stunde nach Mitternacht
Feuer
Gott Abrahams, Gott Isaaks, Gott Jakobs, nicht der Philosophen und Gelehrten.
Gewissheit, Gewissheit, Empfinden: Freude, Friede. Der Gott Jesu Christi.
Deum meum et Deum vestrum.
Dein Gott ist mein Gott.“
Zu einer bestimmten Stunde an einem ganz konkreten Datum hat er eine Erfahrung gemacht. Gott hat ihn berührt wie ein Feuer. Er hat ihn nicht über philosophische Spekulationen erkannt, sondern Gottes Gegenwart hat in ihm gebrannt. Von Thomas von Aquin wird ähnliches überliefert. Nach einer Heiligen Messe muss er wie erschüttert gewesen sein: sein theologisches Werk sei angesichts der Wirklichkeit Gottes nur Stroh. Ob Hosea auch solche brennende Erfahrung gemacht hat von einem Gott, der vor Liebe brennt? Jedenfalls ist sein Buch voll Leidenschaft. Solche Erfahrungen kann man nicht machen, sie werden einem bestenfalls geschenkt. Aber in unserer Verkündigung müsste etwas von dieser Leidenschaft Gottes für den Menschen aufflammen. Diesen Gott verkünde ich nicht über ein paar eingeübte Floskeln oder banale Aussagen. Jemand hat einmal gesagt: der Gott, wie wir ihn verkünden, ist weder zum Fürchten noch zum Verlieben. Liebe Sendungskandidaten, ich kann Sie nur ermutigen, einen Gott zu suchen und zu verkündigen, den man ernst nehmen kann und in den man sich verlieben kann. Denn auch Gott, so der Prophet Hosea, liebt die Menschen mit der ganzen Leidenschaft seines Herzens, um im Bild zu sprechen. Wer liebt, macht sich verletzlich. Das gilt, so der Prophet, auch für diesen Gott, den er predigt. Es ist ein leidenschaftlicher Gott, ja, auch ein verletzt Liebender. Daher ist auch die Rede des Propheten zornig, leidenschaftlich, berührt, brennend, erschreckend deutlich. Der Prophet vermittelt überdeutlich, wie der liebende Gott die Gewöhnung des Menschen als verletzend empfindet, wie Gott leidet, weil der Mensch ihn nicht ernst nimmt. Es ist nicht damit getan, ihn für existent zu halten. Gott erwartet Leidenschaft. Das Verhalten der Menschen ist ihm nicht egal.
In dieser Situation gilt es, Neuland unter den Pflug zu nehmen und Gott neu zu suchen. Die Menschen machen sich ihre Götter zurecht. Damit wird der Glaube an den einen Gott geradezu pervertiert. Gott ist nicht das Instrument des Menschen, vielmehr ist der Mensch Partner und Partnerin Gottes, sein Werkzeug. Das gilt auch für die Hauptamtlichen in der Kirche. Gott suchen heißt auch, ihn nicht zu besitzen, sondern sich in den Dienst nehmen zu lassen. Wie oft sagen Menschen: „Der Glaube an Gott bringt mir nichts, der Gottesdienst bringt mir nichts“. Gott muss uns nichts bringen, da ist der Prophet sehr deutlich. Wenn es Gott gibt, sind wir ihm unsere Anbetung schuldig. Wenn es ihn nicht gibt, hilft uns auch ein selbstgemachter Götze nichts. Wir sind seine Kinder, er ist uns liebender Vater und Mutter. Immer wieder versuchen biblische Autoren, diese Liebe neu zu entfachen und uns der Gleichgültigkeit zu entreißen. Ob es der Hebräerbrief ist, der Mut machen will, wenn uns Verzagtheit und Mutlosigkeit überkommen, oder die Offenbarung des Johannes, die ermahnt, sich entweder für einen heißen Glauben oder einen kühlen Unglauben zu entscheiden und nicht lau zu bleiben. Das heißt Neuland betreten und Gott zu suchen: die erste Liebe neu zu entfachen (Offb 2,4).
Liebe Sendungskandidaten, Sie haben Theologie studiert. In der Logik des Propheten haben Sie damit nicht Gott verstanden, allenfalls den Saum seines Gewandes berührt. Immer wieder werden Sie in Situationen kommen, in denen Sie Menschen eine Ahnung von der Schönheit und auch Unbegreiflichkeit Gottes vermitteln können. Da hilft natürlich eine gute Theologie, aber mindestens genauso das persönliche Berührt- und Ergriffensein von diesem Gott. Wieviel Banales haben wir vielleicht angesichts der Pandemie oder einer Flutkatastrophe von uns gegeben, das der Größe und auch Verborgenheit Gottes nicht gerecht wird. Wir müssen auch im Angesicht eines leidenschaftlich liebenden Gottes ernst nehmen, dass Gott dem Hiob nach langen Gesprächen und tiefem Ringen ins Gesicht sagt, dass sein Versuch, Gott zu verstehen, auch vermessen ist. Es gehört zum Glauben, ein „Leben lang die Unbegreiflichkeit Gottes auszuhalten“ (Karl Rahner).
Neuland unter den Pflug nehmen und Gott suchen: für Hosea beinhaltet dies das Bemühen um Gerechtigkeit und Liebe im Alltag. Ja, Gott kann man „handeln“. Man muss es sogar. Angesichts der Flutkatastrophe haben Menschen die umwerfende Erfahrung gemacht, wie stark die Solidarität der Menschen untereinander sein kann. Wenn man fragt, wo denn Gott gewesen sei, ist dies vielleicht der stärkste Beweis dafür, dass es ihn gibt, denn seine Kinder, wir Menschen, sind zu einer derartigen Liebe fähig, ohne zu rechnen und zu zählen.
An diesem Tag der Sendung ist der Prophetentext wahrlich nicht harmlos. Es geht nicht um ein paar neue pastorale Ideen, wenn er vom Neuland spricht. Es geht um das, was Jesus „Metanoia“ – Umkehr und radikaler Zuwendung zu seinem Gott und Vater nennt. Macht also Gott nicht klein, lasst ihn leuchten. Redet Gott nicht kaputt, indem ihr ihn in Floskeln packt. Handelt ihn und ermutigt Menschen, als seine Kinder zu leben und zu handeln. Und: hört nicht auf, ihn zu suchen und andere an dieser spannenden Suche zu beteiligen.