In den Evangelien muss der Karfreitag ausgehalten werden. Jesus ist tot. Der Stein vor der Höhle symbolisiert auch die Situation seiner Jüngerinnen und Jünger. Die Geschichte mit Jesus erscheint abgeschlossen. Die Endgültigkeit der Ereignisse zeigt sich auch im Verhalten der Jünger: da sind keine Hoffnungen, es könne irgendwie weitergehen, oder sie wollten die „Sache Jesu“ fortsetzen. Keiner nimmt sich vor: Jesus, der Herr ist tot, aber er wird in unseren Herzen weiterleben, wie wir es so gerne sagen. Selbst, als sich der Auferstandene den Frauen und den Jüngern zeigt, erkennen sie ihn nicht. Auferstehung wird weder erwartet noch herbeigesehnt. Karfreitag in vielerlei Hinsicht: Jesus tot, das Grab verschlossen. Diese Situation, die die Evangelien so drastisch und realistisch schildern, machen für mich dann die Ostererzählungen so glaubwürdig. Da entsteht nichts durch Verdrängung oder durch einen frommen Wunsch, ganz im Gegenteil. Die Menschen erwarten nichts mehr.
Das ist so ganz anders, als in unserer modernen Welt oft mit dem Tod umgegangen wird. Selbst nichtglaubende Menschen haben Wege gefunden, sich zu trösten: er lebt wenigstens in unseren Gedanken. Es ist schön, einen Menschen nicht zu vergessen, aber ist dies nicht eine trügerische Hoffnung? Was ist mit den vielen Menschen, die längst vergessen sind? Für sie gibt es da keine Hoffnung mehr. Vor einiger Zeit wurde ein scheinbar zeitgemäßes Umgehen mit Tod und Abschied in einer Tageszeitung beschrieben. Facebook z.B. ist eines der Netzwerke, in denen Menschen Kontakte pflegen, zumeist sehr oberflächlicher Natur. Ich kann Freunden und Bekannten über das Internet Nachrichten senden, mitteilen, wie es mir geht, und alle, die ich zu meinem Kreis dazugehörig betrachte, werden informiert. Mittlerweile gibt es Anbieter, die solche Netzwerke auch für Verstorbene anbieten, und diese damit für die Freunde unsterblich machen. Sie können ihnen weiter Nachrichten senden, sie teilen ihren verstorbenen Freunden mit, wie es ihnen geht, was die Kinder machen, etc. Zunächst einmal zeigt dies die Sehnsucht des Menschen nach einer Beziehung über den Tod hinaus. In dem Zeitungsartikel wurde aber auch die Problematik solchen Umgangs mit dem Tod, dem Abschied und der Trauer angesprochen. Es gibt im Grunde kein Abschiednehmen. Man verhält sich so, als habe es den Tod nicht gegeben. Psychologen erinnern an die Notwendigkeit, den Tod als Abschied auch zu akzeptieren und sich auf einen wirklichen Trauerprozess einzulassen. Das aber will man oft gerade nicht: ewiges Leben ohne Tod und auch ohne eine Erfahrung von Ostern, es geht einfach weiter wie gehabt.
Das kann nicht Ostern sein. Ostern kann nur stattfinden, wenn man die Endgültigkeit und die ganze Hoffnungslosigkeit des Todes erlebt hat. Denn Jesus kehrt nicht ins irdische Leben zurück. Deswegen liegt zwischen Karfreitag und Ostern der Karsamstag, ein Tag der Stille und der Trauer. Es ist erst einmal zu begreifen, dass Jesus wirklich tot ist. Auferstehung ist dann nicht die Fortsetzung des irdischen Lebens. In den spannungsvollen Osterberichten wird dies in menschliche Sprache gepackt. Er ist leibhaft da, aber wird nicht erkannt, er geht mit den Jüngern, aber sie sehen ihn nicht: das sind merkwürdige Erfahrungen. Die Evangelien erklären nichts, sie lassen die Auferstehung in ihrer ganzen Rätselhaftigkeit stehen. Was bleibt, ist die Erfahrung der Jünger und der Frauen, die den Karfreitag erlebt haben: da ist etwas Neues entstanden, das keiner erwartet oder gar erhofft hatte. Ostern stiftet etwas Neues, Einzigartiges, Unvorstellbares. Mancher mag als Einwand formulieren: so etwas entspricht nicht unseren alltäglichen, wissenschaftlich nachprüfbaren Erfahrungen. Genau das will es auch nicht. Wenn es Gott gibt, kann er ein Leben schaffen, das alle Erwartungen und Vorstellungen übertrifft. Jesus kehrt nicht ins irdische Leben zurück.
Ostern ist ein einmaliges Ereignis, und soll doch allen bis heute Mut machen. Gott hat immer neue Wege, wo wir Menschen nicht mehr können oder weiterwissen. Jesus geht mit uns, auch wenn wir ihn oft nicht erkennen. Wir erhoffen für uns ewiges Leben, und doch möchte er schon jetzt Licht und Hoffnung sein. Wenn unser Osterglaube wahr ist, dann gibt es keine radikal hoffnungslose Situation mehr. Nicht, weil wir uns die Welt und das Leben rosarot malen, sondern weil es Gott gibt, der immer mehr Möglichkeiten hat als wir je denken können.
Jesus hat einmal kurz gesagt, was für ihn Ostern bedeutet: zum Vater gehen. Endgültig beim Vater sein. Ewiges Leben ist kein Ort, sondern eine Beziehung. Auferstehung heißt, beim Vater sein. Ewiges Leben durch das Internet, ewiges Leben dadurch, dass wir einander nicht vergessen? Es ist etwas Wahres an der menschlichen Sehnsucht: Ewiges Leben wird nur erträglich, wenn es ein Leben in Beziehung ist. Genau dies ist Ostern. Jesus ist beim Vater, wir in ihm, so wie er in uns. Auch dies wird alles übersteigen, was wir uns je ausdenken können.
Ostern beginnt nun dort, wo wir uns von Jesus mitnehmen lassen in diese Beziehung zu Gott. Dann wird es nie mehr ein Leben ohne Hoffnung geben. Das ist Ostern.