Predigt von Bischof Peter Kohlgraf beim Pontifikalamt zum Hochfest des Leibes und Blutes Christi

Dieser Glaube gehört in die Öffentlichkeit

Datum:
Do. 31. Mai 2018
Von:
Bischof Peter Kohlgraf
Fronleichnam – das Hochfest des Leibes und Blutes Christi lädt ein zum Beten mit allen Sinnen. Wir feiern festlich Eucharistie, wir ziehen durch die oft noch geschmückten Straßen unserer Dörfer und Städte, wir beten an, glaubend, dass Christus unter uns ist und bleibt. Dafür geben wir als katholische Gemeinde Zeugnis mitten in der Stadt, hier und jetzt in Mainz.

Im Zentrum steht die Feier der Eucharistie, Gedächtnis und Vergegenwärtigung des gekreuzigten und auferstandenen Christus. Er bietet uns seine Gemeinschaft an, er gibt sich selbst zur Nahrung für uns Menschen. Er nimmt uns mit in seine Freundschaft, in seine Beziehung zum Vater. Wir Katholiken nennen diese Eucharistie das „Allerheiligste". So sind wir glaubende Menschen, die zeigen und feiern, dass ihnen etwas unendlich heilig, unendlich wichtig ist. Das Allerheiligste ist für uns Christus selbst, seine Hingabe, seine Freundschaft. Im Sakrament der Eucharistie wird diese Nähe, dieses Allerheiligste für uns berührbar und buchstäblich begreifbar. Christen sind Menschen, denen Christus heilig ist. Für etwas oder jemanden, der mir heilig ist, setze ich mich ein.
Was ist mir heilig?
Ein Theatermacher, der aus dem Libanon stammt, wurde einmal gefragt, was ihm heilig sei, und er gab folgende Antwort :
"Was ist mir heilig? Das ist eine sehr interessante Frage. Ich bin in einer Gesellschaft aufgewachsen, wo alles heilig ist. Jede Gruppe hat etwas zu verteidigen, was ihr 'heilig' ist. Wir hatten Bürgerkriege − Plural: Kriege −, weil wir unsere 'Heiligkeiten' gegeneinander verteidigten, unsere Ideen, unsere Ideologien, alles mögliche, woran wir glauben. Und es geht immer noch weiter. Und irgendwann denkst du dir: Nehmt euch mal zusammen, können wir nicht ganz einfach daran glauben, den anderen zu respektieren und ganz einfach zu akzeptieren."
"Mit der Zeit entdeckte ich, dass es nichts gibt, wofür es sich zu kämpfen lohnt. Ich habe gelernt, dass wir alle unsere Überzeugungen, unsere Normen hinterfragen sollten und bereit sein sollten, sie einfach abzuschütteln."
In seiner Antwort zeigt sich eine interessante Erfahrung. Etwas Heiliges verteidigt man, man kämpft sogar dafür. In der Erfahrung dieses Mannes war das Heilige von Menschen der Grund für Kriege und Intoleranz. Die Folgerung, die er daraus zieht, ist der Verzicht auf dieses Heilige, der Verzicht auf feste Überzeugungen. Ich meine, es müsste einen anderen Weg gerade für uns Christen geben. Ich lade Sie heute dazu ein, Christus heilig zu halten, ihn als den Allerheiligsten neu ins Leben zu holen. Denn ich bin davon überzeugt, dass es nicht zum Frieden einer Gesellschaft beiträgt, wenn den Menschen nichts heilig ist. Tatsächlich möchte ich für Christus etwas einsetzen, ich möchte mein Leben in seiner tiefen Freundschaft führen. Deswegen lässt es mich nicht kalt, wenn andere lieblos über Christus, die Kirche und meinen Glauben reden, wenn christliche Symbole oder Überzeugungen verächtlich gemacht werden. So wie ich als Katholik die Überzeugungen eines anderen Menschen tolerieren möchte, erwarte ich dies für meine Glaubensüberzeugungen ebenfalls. Alle Menschen in unserer Gesellschaft müssen so immer wieder eine wirkliche Toleranz einüben, nicht indem wir Überzeugungen aufgeben, sondern ggfls. Überzeugungen austauschen und den anderen zu verstehen versuchen. Wenn ich Menschen begegne, die von sich sagen, ihnen sei keine Überzeugung heilig, wird es mir eher angst und bange. Beliebigkeit fördert nicht die Toleranz, sondern das Desinteresse an der Meinung eines anderen. Der Verlust eines klaren Standpunkts auch im Glauben ist kein Zeichen von Toleranz, sondern möglicherweise der Abbruch eines klaren und klärenden Gesprächs mit Positionen. Mein Allerheiligstes ist Christus selbst, für den ich mich einsetzen möchte, der mir lebenswichtig ist. Von dieser Überzeugung möchte ich reden und in diesem Glauben handeln.
Dieser Glaube gehört in die Öffentlichkeit. Die Prozession an Fronleichnam hat sich zwar erst nach der Entstehung des Festes im Mittelalter gebildet, gehört aber in unserer Region bis heute fest zur Feier von Fronleichnam dazu. Wenn Christentum an die Öffentlichkeit geht, sollte dies nicht geschehen, um andere nieder zu machen oder ihnen mit Hochmut zu begegnen. Der Gestus des Fronleichnamsfestes ist der Segen. Unsere christliche Gemeinschaft geht mit einer Segensbotschaft in die Öffentlichkeit. Gott möchte Gutes für die Menschen, er möchte ihnen seine Liebe zusagen. Indem wir mit der Eucharistie segnen, bekennen wir öffentlich, dass Christus das Herz dieser Stadt sein möchte, dass er diese Stadt und unsere Welt nicht verlässt und nicht verlassen wird. Gewalt im Namen des Glaubens in welcher Form auch immer darf für uns und für niemanden eine Option sein. Ich glaube, dass es für unsere Gesellschaft gut ist, dass es Menschen gibt, denen etwas, denen jemand, nämlich Christus selbst heilig ist. Sie bezeugen seine Gegenwart und kehren damit die Botschaft in Richtung der Menschen: Ihr seid Gott heilig. Jeder einzelne Mensch ist für Gott unendlich wertvoll, so kostbar, dass er seinen Sohn für jeden und jede einzelne gegeben hat. In ihm zeigt uns Gott bis heute, dass wir alle ihm heilig sind.
Vor dem Allerheiligsten beuge ich die Knie. Ich erkenne an, dass Gott Gott ist und ich sein Geschöpf, vor der unendlichen Liebe Gottes in seinem Sohn mache ich mich klein. Anbetung ist der „Tiefgang des Glaubens" (Franz Kamphaus), oder wie der Jesuitenpater Alfred Delp (+1945) in schwierigen Zeiten erinnert: „Brot ist wichtig, die Freiheit ist wichtiger, am wichtigsten aber – die ungebrochene Treue und die unverratene Anbetung". Er erfährt am eigenen Leib im Gefängnis, was Hunger und Unfreiheit bedeuten. Die Anbetung aber ist Ausdruck seiner Menschenwürde. Während ihn die Unterdrücker klein machen wollen und seine Würde zu nehmen versuchen, macht ihn das Knien vor Gott innerlich frei von allem, was ihn von außen bedrückt. Er weiß wohl, dass es am Ende niemanden gibt, der nicht vor irgendetwas kniet. Es gibt eine alte Erfahrung: Religiöser Unglaube öffnet nicht zwangsläufig den Weg in die innere Freiheit, sondern öffnet oft Tür und Tor vor jeder Form des Aberglaubens oder des Glaubens an Fortschritt, Medizin, Macht, Wissenschaft, Politik o.ä. Wer nicht an Gott glaubt, glaubt an irgendetwas. Delp macht die Erfahrung, und viele andere Beterinnen und Beter mit ihm, dass die gebeugten Knie innere Freiheit garantieren. Das Allerheiligste, der Allerheiligste, den wir heute öffentlich verehren, ist für uns die letzte Garantie menschlicher Würde und wahrer Freiheit, einer Freiheit, die nichts und niemand auf dieser Welt geben kann.
Christus ist mir, ist uns heilig. Dazu bekennen wir uns. Wir tun dies segnend, betend, lobpreisend, um allen Menschen den Segen zuzusprechen. Wir tun dies anbetend, weil wir wissen, dass außer Christus selbst niemand unendliche Freiheit und wahren Frieden schenken kann. Christus bleibt bei uns. Mit dieser Botschaft sind wir heute unterwegs, aber hoffentlich an allen Tagen.