Was dient dem Frieden? „Dialog zwischen den Generationen, Erziehung und Arbeit“ – diese Werkzeuge stellt Papst Franziskus zum Welttag des Friedens 2022 vor. Tatsächlich lässt sich weltweit eine nachlassende Bereitschaft zum Dialog wahrnehmen, die brandgefährlich ist. Wachsender Waffenhandel, Aufrüstung auch atomarer Art in vielen Teilen der Welt sind immer noch oder sogar noch mehr Realität geworden. Statt Gespräch und Verhandlungen sucht man die Gewaltandrohung, um sich den anderen vom Hals zu halten.
Vor gut einer Woche bietet der südkoreanische Präsident Gespräche mit Nordkorea an, dieses kommt dem Angebot mit einem Raketenversuch zuvor. Und das in einer Zeit, in der es nicht nur dort geboten wäre, gemeinsam nach Lösungen zu suchen: nach Lösungen für Frieden und eine gewaltfreie Zukunft für die vielen Menschen, die der Gewalt überdrüssig sind; nach Lösungen angesichts der Herausforderung der Pandemie, die an keiner Grenze haltmacht und nur gemeinsam besiegt werden kann; und nach Lösungen nicht zuletzt angesichts der Realität des Hungers durch schlechte Ernten, politische Isolation und ein zunehmend bedrohlicher werdendes Weltklima. Wir schauen an die Grenzen zwischen Polen und Belarus, die Erpressungsversuche, die nicht davor zurückschrecken, Menschen zu instrumentalisieren. Wir sehen besorgt auf die Situation zwischen Russland und der Ukraine. Viele andere Konfliktherde könnte man nennen. Krieg, Gewalt, finanzielle Investition in Waffen und Bedrohung sind nicht getrennt von den vielen anderen Problemen unserer Welt zu sehen. Klimawandel und Gewalt sind auch Ursachen für stärker werdende Migrationsbewegungen weltweit, aus deren Bewältigung auch wir uns nicht werden zurückziehen können. Es ist vor diesem Hintergrund sicher erfreulich, wenn besonders junge Menschen für eine neue Sicht auf Ökologie und Weltklima auf die Straße gehen. Weltfremd erscheint mir dagegen, dass das Friedensthema in diesen Bewegungen kaum Beachtung findet. Die großen Herausforderungen der Welt sind in einem großen Zusammenhang zu sehen und zu bearbeiten. Ich bin dem Papst dankbar, dass er immer wieder auf diese Zusammenhänge zu sprechen kommt. Als Bischof von Rom ist er zwar nicht Symbol der Einheit aller Kirchen, aber sicher wird es in diesen Fragen viel ökumenische Zustimmung geben.
Wenn wir heute für den Frieden beten und um ihn werben, dienen wir der Gesellschaft und der Welt auch in den anderen bedrängenden Themen. Und es kann nicht damit getan sein, die weltpolitischen Themen zu benennen, und sich damit auch der eigenen Möglichkeiten und der Verantwortung im eignen Umfeld zu entziehen. Die Werkzeuge des Friedens, Dialog zwischen den Generationen, Erziehung und Arbeit, sind Werkzeuge auch für das eigene Leben und die Gestaltung des alltäglichen Miteinanders.
Der Papst sieht auch aufgrund der Pandemie eine wachsende Entfremdung zwischen den Generationen. Dabei erinnert er auch an die vielen ermutigenden Erfahrungen der Solidarität – weltweit. Viele Menschen sind gerade aufgrund des technischen und wirtschaftlichen Fortschritts abgehängt. Es wird vielfach deutlich, wie nötig sich die verschiedenen Generationen mit ihrem je unterschiedlichen Lebenshintergrund haben. In einem Zeitungsartikel, den ich kürzlich las, macht sich der Autor angesichts der Weltprobleme genau über den angedeuteten Generationenkonflikt Gedanken1. Er nimmt Bewegungen gerade im Umfeld junger Menschen als ungeduldig und manchmal auch unduldsam wahr. Forderungen werden radikal formuliert und mit Verve vorgetragen. Nicht jede genannte Ursache muss man teilen, aber der Autor sieht einen Grund auch im Umgang mit der digitalen Realität, die manche durch die analoge Wirklichkeit gesetzte Grenze nicht mehr zu akzeptieren bereit ist. Gerade junge Menschen erweitern permanent ihre Möglichkeiten und kommen dann nur schwer damit zurecht, dass die Weltentwicklung mit dem Tempo nicht mitkommt, sondern gebremst wird durch Lebenserfahrungen und Werthaltungen, vielleicht manchmal auch dem Pragmatismus älterer Generationen. Ältere Menschen bringen in das Gespräch ihre gewonnen und gereiften Erfahrungen ein, wohl auch manche Desillusionierung. Wahrscheinlich braucht es in den Begegnungen in den vielen bedrängenden Fragen beide Positionen: den Sturm und Drang der einen, aber auch die Lebenserfahrung und vielleicht auch die Weisheit der anderen. Grenzen weiten, aber auch Grenzen akzeptieren zu lernen braucht es im Dialog der Generationen. Dass beide Seiten Visionen einer besseren Welt brauchen, eint sie dann in der Begegnung und im Gespräch. Mäßigung und Geduld braucht es auch in der Friedensarbeit, aber auch den Enthusiasmus und das Herauskommen aus Resignation und Lähmung. Friedensarbeit braucht die Visionen und klaren Ansagen, aber auch die Geduld der kleinen Schritte. Das Miteinander der Generationen könnte dafür ein Modell sein, an dem es zu arbeiten gilt. Der Papst erinnert an wichtige Eigenschaften des Dialogs, die nicht nur für die verschiedenen Altersgruppen, sondern für alle unterschiedlichen Wirklichkeitszugänge gelten. Politische Lösungen dürfen nicht nur von tagesaktuellen schnellen Lösungen geprägt sein, sondern nähren sich aus den Erfahrungen der Vergangenheit und sind motiviert von Hoffnungen auf eine menschenwürdige Zukunft, für die es sich zu arbeiten lohnt.
Während die Rüstungsausgaben weltweit steigen, werden die Investitionen in Bildung und Erziehung zurückgefahren, so jedenfalls die Wahrnehmung des Papstes. Frieden beginnt damit, dass Menschen lernen, „den Frieden zu suchen und ihm nachzujagen“, wie es im 34. Psalm heißt (Ps 34,15). Es ist daher nicht nur für pax christi ein bleibendes Anliegen, Friedensarbeit und –erziehung aktiv zu fördern und zu gestalten. Größere Kampagnen sind die eine Seite, das alltägliche Miteinander die andere. Die vielen Bildungseinrichtungen hierzulande müssen ermutigt werden, junge Menschen heranzubilden, die sich für ein Miteinander der verschiedenen Sichtweisen, für Offenheit, Toleranz, aber auch für den Mut zu eignen klaren Positionen einsetzen können. Toleranz und Freiheit basieren nicht auf Egoismus und Beliebigkeit, sondern auf klaren Werthaltungen, zu denen auch religiös begründete Positionen gehören dürfen. Wenn der Papst eine „ganzheitliche Ökologie“ als Erziehungsziel fordert, bringt er auch in der Bildungsarbeit die vielen verschiedenen Aspekte der unterschiedlichen „Baustellen“ unserer Gesellschaft zusammen. Im Augenblick ringen wir in unserer Gesellschaft, noch einmal verstärkt durch die Pandemie, um ein rechtes Freiheitsverständnis. Ohne eine bewusst angestrebte Solidarität, das Entwickeln von Empathie für die Bedürfnisse anderer Menschen und auch gute Kenntnisse über die Hintergründe verschiedener Problemlagen wird sich keine Gesellschaft des Friedens entwickeln, und am Ende auch keine menschenwürdige freiheitliche Gesellschaft. Als Bischof lade ich aus Überzeugung dazu ein, auch die friedensstiftenden und –motivierenden Aspekte des Glaubens, besonders auch des Evangeliums, zu leben, weiterzugeben und werbend zu gestalten. Das Christentum ist kein Zuckerguss für die Gesellschaft, die auch ohne auskäme. Sondern eine menschenfreundliche Tradition gelebten Glaubens wird ihren unverzichtbaren Beitrag für die Gestaltung einer friedlichen Welt leisten. Es ist kein Gewinn, wenn die Bedeutung von Religion und Glaube in den politischen Programmen nur noch marginal vorkommt. Es hilft weder, das Gewaltpotential der Religion zu marginalisieren, noch die Kraft zum Frieden gering zu schätzen. Auch eine zunehmend säkularer werdende Gesellschaft kann an die Stelle des religiösen Potentials nicht die weltanschauliche Beliebigkeit setzen. Daher sollten wir nicht müde werden, für unseren Glauben einzustehen und selbstbewusst zu werben, der auch immer eine Friedensvision enthält, die irdisches Maß übersteigt. Woher sollte das Bewusstsein für den anderen Menschen als Bruder oder Schwester kommen, wenn nicht aus dem Glauben, dass wir alle Geschöpfe des einen Gottes sind und wir unter seinem Anspruch leben. Sich unter dem Anspruch eines Größeren zu wissen, relativiert menschliche Machtansprüche erheblich. Nicht umsonst besteht die biblische Friedensvision am Ende darin, dass nur der eine Gott alle Menschen zum endzeitlichen Mahl des Friedens versammeln kann, nicht ein noch so gewandter Herrscher.
Daran musste ich vor einigen Tagen denken, als Erzbischof Desmond Tutu angesichts seines Todes zu Recht gewürdigt wurde. Bis heute beeindruckend bleibt seine Arbeit für gewaltfreie Aufarbeitung der Apartheit und sein Beitrag zur Versöhnungskommission in Südafrika, die Modell für Aufarbeitung in vielen Gegenden und Themenfeldern sein kann. Das ist Arbeit und geschieht nicht einfach so nebenbei. Der anglikanische Bischof und Friedensnobelpreisträger Desmond Tutu und seine Tochter Mpho Tutu beschreiben in einem Buch die Erfahrungen aus den Versöhnungsprozessen nach dem Ende der Apartheid in Südafrika. Wer dieses Buch liest, lernt dort beeindruckende Beispiele von Personen kennen, die großes Leid und Unrecht erlitten haben, und die menschliche Größe und Freiheit dadurch zeigen, dass sie selbst denjenigen Tätern zu vergeben bereit sind, die keinerlei Reue oder Willen zum Versuch einer Wiedergutmachung zeigen. In den gesammelten Beispielen wird der Verdacht entkräftet, Vergebung würde Schuld unter den Teppich kehren wollen oder sie stehe gegen eine Herstellung von Gerechtigkeit. Folterknechte erhielten ihre gerechte Strafe, Schuld wurde klar benannt und geahndet, und daneben schlossen Opfer des Unrechts ihren persönlichen Frieden mit denen, die Leid verursacht haben. Vergebung zu schenken stellt Desmond Tutu als Ausdruck höchster Freiheit und menschlicher Stärke dar. Sie wird noch einmal umso kraftvoller, je weniger die Person, die verletzt hat, sich auf eine Versöhnung einlassen will. Die Personen, die hier vergeben, sind keine Duckmäuser, leben keine falsch verstandene christliche Demut. In den Beispielen wird ein oft aus der Ferne eher abstrakt wahrgenommenes Phänomen zu einem persönlichen Lebensthema von Menschen. Allein theoretisch bleibende Vergebungsbereitschaft gibt es nicht bzw. hat keinen Wert. Versöhnung war hier Grundlage des Friedens. Ich stelle mir vor, wie es sein könnte, wenn sich Menschen auch in anderen Konflikt- und Verletzungssituationen auf diesen Weg machen – und nicht die Waffen aufrüsten und den Ton verschärfen. Am Ende gewinnt auf diese Weise niemand. Aber das eine Beispiel zeigt: Frieden ist echte Arbeit, aber lieber Schweiß und Tränen vergießen auf diesem Weg, als am Ende an den Gräbern so vieler unnötigen Opfer der Gewalt zu stehen.
Lassen wir uns vom Evangelium, von Christus selbst auf diesen Weg rufen. Weihnachten ist noch nicht so lange her. Christus selbst geht uns den Weg des Friedens voraus, als das eine Wort des Friedens, das Gott uns geschenkt hat, als der Lehrer einer klaren Haltung, denn er ist die Wahrheit, und als der Gottessohn, der selbst den Weg der Gewaltlosigkeit gegangen ist, von der Krippe bis zum Kreuz. Er zeigt uns diesen Weg als Weg zum ewigen Leben.