Reiche und Arme, Gesunde und Kranke, Gebildete und schlichte Menschen, sie alle entdecken Christus als die Wahrheit und das Fundament ihres Lebens.

Predigt von Bischof Peter Kohlgraf beim Pontifikalamt am Fest Mariä Geburt Wallfahrtskirche Marienthal, Samstag, 8.9.2018

Texttafel Predigt (c) Bistum Mainz
Datum:
Sa. 8. Sept. 2018
Von:
Bischof Peter Kohlgraf
„Meine Seele preist die Größe des Herrn“ – dieses Leitwort aus dem Lobpreis Mariens, dem „Magnificat“, steht über der diesjährigen Wallfahrt nach Marienthal. Sie erfährt am eigenen Leib, welche Freude sie in sich trägt, und welche Freude sie weitergeben kann. Ich erinnere mich an einen Satz von Papst Benedikt XVI. beim Weltjugendtag in Köln im Jahr 2005: „Wer Christus in sein Leben eintreten lässt, verliert nichts, gar nichts, absolut nichts von dem, was das Leben frei, schön und groß macht. Nur in dieser Freundschaft öffnen sich die Türen des Lebens weit. Nur in dieser Freundschaft erschließen sich die großen Möglichkeiten des Menschseins.“

Auch unser jetziger Papst Franziskus wird nicht müde, uns in Erinnerung zu rufen, dass Glauben etwas Wunderbares sein kann, etwas Frohmachendes und Bereicherndes. Er spricht von der Freude am Evangelium, von der Freude am Ruf zur Heiligkeit. „Gaudete et exultate“ heißt sein letztes Schreiben über die Berufung eines jeden Getauften zu einem heiligen Leben in der Welt von heute. „Gaudete et exultate“ – Freut euch und  jubelt: dieser Titel erinnert an die Reaktion Mariens auf ihre Berufung. Sie bricht in Freude und Jubel aus. Der erste Absatz des päpstlichen Schreibens fasst das Programm eines christlichen Lebens aus der Freude zusammen:

„Freut euch und jubelt“ (Mt 5,12), sagt Jesus denen, die um seinetwillen verfolgt oder gedemütigt werden. Der Herr fordert alles; was er dafür anbietet, ist wahres Leben, das Glück, für das wir geschaffen wurden. Er will, dass wir heilig sind, und erwartet mehr von uns, als dass wir uns mit einer mittelmäßigen, verwässerten, flüchtigen Existenz zufriedengeben. Der Ruf zur Heiligkeit ist nämlich von den ersten Seiten der Bibel an auf verschiedene Weise präsent. So erging die Aufforderung des Herrn an Abraham: „Geh vor mir und sei untadelig!“
Die Antwort auf die Berufung ist mehr als ein einmal gesungenes Loblied. Die angemessene Antwort ist ein Leben, das sich nicht in einer mittelmäßigen Glaubensexistenz zufriedengibt, sondern Gott im Herzen trägt, ihm die ganze Existenz zur Verfügung stellt und darin ein Leben in Fülle, in Glück und Zufriedenheit findet. Maria ist hier das Vorbild und eine gute Fürsprecherin.

Jede Zeit entdeckt ihr Marienbild. Oft war die schmerzhafte Mutter diejenige, die den Menschen besonders nahe war. In der Erfahrung von Flucht und Ausgestoßensein, in der Erfahrung des Leidens und des Dunkels kann sie vielen Menschen nahe sein – auch heute.

Es kann aber auch gut sein, dass es uns glauben hilft, wenn wir die Freuden Mariens betrachten. Die mittelalterliche Frömmigkeit hat neben den sieben Schmerzen auch eine Verehrung der sieben Freuden Mariens entwickelt.
Die ersten sechs sind der Kindheitsgeschichte entnommen. Verkündigung, Begegnung mit Elisabeth, Geburt Christi, Anbetung der Könige, Begegnung mit Simeon, Wiederfinden Jesu im Tempel.

Maria darf erleben, wie die Begegnung mit Christus die Welt wirklich verwandelt. Wie ganz unterschiedliche Menschen Christus als die Erfüllung ihrer Sehnsucht entdecken.
Zunächst einmal erlebt Maria selbst, dass Gott das Unmögliche möglich macht, eine Jungfrau wird Mutter, sie selbst darf Christus, den Erlöser zur Welt bringen. Sicher waren damit auch viele Fragen verbunden. Die Haupterfahrung ist aber, dass Gott nicht jemanden deswegen erwählt, weil er groß, klug und mächtig ist. Gott macht die groß, die nicht allein auf ihre Stärke bauen. Gott gibt denen Würde, die bei anderen keinen Namen haben.

Die erste Freude Mariens ist etwas Hochaktuelles, wenn sie auch manches moderne Denken auf den Kopf stellt. Wie nie zuvor meinen sich Menschen ihren Wert selbst geben zu müssen, durch Erfolg und Reichtum, durch Gesundheit und Aktivitäten. Sie übersehen, dass das Wichtigste, was uns wertvoll macht, ein Geschenk bleibt, das Gott uns gemacht hat. Würde und Bedeutung können uns nicht andere Menschen zuteilen, sondern wir haben sie: das ungeborene Kind hat sie, der Sterbende und hilflose Mensch hat sie. Maria, die kleine Frau aus Nazareth ist in den Augen Gottes die Größte.

Die weiteren Freuden Mariens zeigen Christus als die Erfüllung der Sehnsucht der Menschen. Johannes der Täufer hüpft vor Freude im Schoss seiner Mutter, die Hirten beten an, genau wie die Könige, die alles stehen und liegen lassen, um ihn als das Licht der Welt zu finden, auch der alte Simeon erkennt Christus als die Sehnsucht, die ihn ruhig und erfüllt sterben lässt. Wenn diese Menschen Christus gefunden haben, haben sie alles. Reiche und Arme, Gesunde und Kranke, Gebildete und schlichte Menschen, sie alle entdecken Christus als die Wahrheit und das Fundament ihres Lebens. Auch hierin ist etwas Bleibendes:  Die Kirche beginnt nicht mit Programmen und Papieren. Glaube überträgt sich in der Regel nicht durch noch so schlaue Bücher. Sondern er überträgt sich durch den Zeugen, denjenigen, der Christus liebt, der ihn zu anderen trägt. Und dann etwas von der Freude des Glaubens, von der Erfahrung weitergeben zu können, dass Gott eine lebendige, liebende Wirklichkeit ist, darin besteht der Dienst Mariens. Daran hat sich bis heute nichts geändert. Glaube überträgt sich durch Beziehung zum Glaubenden. Glaube steckt dort an, wo jemand selbst Christus als den Schatz seines Lebens entdeckt hat. Wo deutlich wird, dass der Glaube für mich nicht nur eine Last ist, sondern der Lebensinhalt, der mich reich macht, der mir leben hilft. Wo ich Christus berührbar mache, weil ich meine alltägliche Arbeit mit Liebe mache, nicht nur aus Pflicht. Maria findet Christus im Tempel wieder – zunächst keine große Sache. Vielleicht besteht die Freude Mariens darin zu erfahren, dass ihr Sohn gut in Gottes Händen steht. Maria ist uns eine große Wegbegleiterin dann, wenn wir meinen, Christus verloren zu haben.

Die letzte Freude Mariens: ihre Aufnahme in den Himmel und ihre Krönung. Christen haben in ihr damit ein Zeichen der Hoffnung gefunden, einen Orientierungspunkt, wenn sie das Ziel aus den Augen verlieren. Wir verzetteln uns nicht selten in den Angelegenheiten des Alltags. Sie kennen den berühmten Satz: wenn du ein Schiff bauen willst, dann verteile nicht Baupläne o.ä., sondern wecke in den Menschen die Sehnsucht nach dem weiten Meer. Vielleicht ist das oft auch unsere Not in der Kirche. Wir haben Material, wir haben Menschen, die mitmachen, wir haben Pläne zuhauf. Aber die Sehnsucht ist nicht mehr da, das Wissen darum, warum wir das tun, warum wir Christen sind. Maria erinnert uns an das große Ziel, sie weckt die Sehnsucht nach dem Großen und Weiten, nach der Ewigkeit.

Christus nimmt uns nichts, er gibt uns alles. Vielleicht sind die freudenreichen Aspekte des Lebens Mariens ein wunderschöner Kommentar zu diesem Satz von Papst Benedikt, ein Beweis dafür, dass Christsein nicht arm macht, sondern etwas sehr Schönes sein kann, das uns von unserer großen Würde spricht, von unserer großen Aufgabe für andere Menschen und die Welt und vom großen Ziel, dass Gott uns vor Augen stellt.

Nur in dieser Freundschaft mit Christus öffnen sich die Türen des Lebens weit. Nur in dieser Freundschaft erschließen sich die großen Möglichkeiten des Menschseins.
Christus nimmt nichts weg von dem, was Ihr an Großem und Schönem in euch habt, sondern er gibt alles. So dürfen wir in den Lobpreis Mariens einstimmen: „Meine Seele preist die Größe des Herrn“.