Der christliche Glaube ist von seinen Ursprüngen her ein menschenfreundlicher Glaube, konkret auch ein schöpfungs- und leibfreundlicher Glaube. Wir wissen natürlich, dass es in den Jahrhunderten der Kirchengeschichte andere Entwicklungen gab. Gerade die Sakramentalität der Kirche zeigt aber die Hochschätzung der Schöpfungswirklichkeit.
Sakramente nehmen Dinge dieser Welt und Gott macht sie zum Instrument, seine Nähe und sein Heil zu vermitteln. Auch der Leib des Menschen ist ein sakramentales Zeichen für die Nähe Gottes, der Mensch ist Gottes Ebenbild. Christlicher Glaube geht nicht ohne die Erfahrung geschenkter Nähe, die sich in Zuwendung und Berührung zeigen muss. Das macht natürlich die derzeitige Situation so widersinnig. Christsein geht nicht ohne Nähe und Zuwendung, und derzeit müssen wir Abstand halten. Das setzt einen Stachel in unser sakramentales Selbstverständnis. Wenn man über Folgen der Pandemie rätselt, darf am Ende wohl nicht stehen, dass die Distanz zum kirchlichen und gesellschaftlichen Normalzustand wird[1].
Der Mensch ist als Geschöpf aus Leib und Seele Ebenbild Gottes. Das ist die eine Seite der Medaille. Die andere Seite des Menschseins ist seine Hinfälligkeit, seine Anhänglichkeit an das Böse und seinen Hang, gegenüber Gott und anderen schuldig zu werden. Menschliches Leben ist geprägt von Schwäche, es ist bedroht, nicht zuletzt durch Krankheit und Leiden vielerlei Art. Am Ende steht der Tod. Die Bibel sieht deutlich beide Seiten der Medaille: „Du hast ihn, [den Menschen] nur wenig geringer gemacht als Gott“ (Ps 8,6); aber auch: „Des Menschen Tage sind wie Gras, er blüht wie die Blume des Feldes. Fährt der Wind darüber, ist sie dahin“ (Ps 103, 15-16)
Gott wird Mensch: menschenfreundlicher, schöpfungs- und leibfreundlicher kann ein Glaube nicht sein. In die Vergänglichkeit des Menschen steigt Christus ein, und er nimmt den Menschen mit in das ewige Leben. Gott wird Mensch, damit der Mensch vergöttlicht werde, so sagen es besonders die griechischen Kirchenväter. In seinem Fleisch kann der Mensch zum Tempel der göttlichen Herrlichkeit werden. In Christus, so sagen die Evangelien, ist die Herrschaft Gottes unter uns Gegenwart geworden und angebrochen. Diese Gottesherrschaft ist angebrochen, sie ist schon da, aber noch nicht vollendet. Die Vollendung beschreiben wir mit blassen Worten: „(…) was kein Auge gesehen und kein Ohr gehört hat, was in keines Menschen Herz gedrungen ist, was Gott denen bereitet hat, die ihn lieben“ (1 Kor 2, 9). Wir schauen in die Evangelien und sehen die Anfänge der Gottesherrschaft in Jesus Christus. Er heilt den Menschen, von ihm geht eine Kraft aus, die Menschen heil und stark macht. Er treibt die Dämonen aus, er vergibt die Schuld und stärkt Menschen auf ihrem Weg zum Guten. Er will das Heil des ganzen Menschen, sein Heil an Seele und Leib. Wer krank ist, ist als ganzer Mensch krank, seine Heilung will ihn gesund machen an Leib und Seele. Dieser Anbruch der Gottesherrschaft ist im Wesentlichen Folge einer Nähe und einer tiefen Beziehung.
In den Sakramenten der Kirche setzen sich diese Nähe und das Angebot der Beziehung fort. Christus tauft, er schenkt sich in der Eucharistie, er vergibt die Schuld, er weiht zu einem besonderen Dienst, er segnet den Bund der Ehe, er stärkt durch seinen Geist, er stärkt die Kranken in ihrer unheilvollen Situation und schenkt ihnen seine Nähe. Es sind Dinge der Schöpfung, die in den Dienst genommen werden, um diese Nähe zu vermitteln und darzustellen.
Heute weihen wir die Heiligen Öle: den Chrisam, das Katechumenenöl und das Öl für die Kranken. Salbungen sind Berührungen, sie sind Ausdruck der königlichen Würde, sie sollen gegen das Böse stärken, heilen, Gott kommt den Menschen in den vielen Lebenssituationen nahe. Menschen sollen groß gemacht werden, sie sollen Hilfe erhalten auf ihrem Weg des Glaubens. Mögen die Begegnungen in den Sakramenten ihre Wirkungen im Leben der Menschen entfalten. Mögen Menschen Mut bekommen, ihren Weg des Glaubens zu gehen. Und ich bete und wünsche mir sehr, dass wir in eine Zeit und eine Situation gehen, auch als Kirche wieder Nähe und heilende Berührung zu schenken. Gott segne die Öle, aber mehr noch, er segne die Menschen, zu denen wir gesandt sind.
[1] Vgl. zum Folgenden: Silvia Schroer, Thomas Staubli, Die Körpersymbolik der Bibel, Darmstadt 1998, 15-44.