Nachdem wir vor wenigen Tagen das Heilige Jahr unter dem Motto „Pilger der Hoffnung“ auch hier in Mainz eröffnet haben, will ich diesen Gedanken der Hoffnung gerne auch an diesem Neujahrstag aufgreifen. Während Furcht und Ängstlichkeit lähmen, motiviert die Hoffnung, denn wer hofft, ist sicher, etwas gestalten und verändern zu können. Während der ängstliche Mensch den Eindruck hat, im Meer der Zeit unterzugehen und sich nur mühsam über Wasser halten kann, ist der hoffnungsvolle Mensch davon überzeugt, dass er erhobenen Hauptes weitergehen kann. Das gelingt, weil es einen Grund gibt, der ihn trägt.
Für mich als Christ ist dies das Fundament der Liebe Gottes, das mich nicht untergehen lässt. Seinen Segen glaube ich auch über dieser Welt. Segen entfaltet sich jedoch nicht automatisch, sondern dort, wo Menschen Segen, Frieden, Hoffnung und ein gutes Miteinander leben. Das ist der Grund der Hoffnung am Beginn des neuen Jahres.
Als Jesus eines Tages schildert, was alles auf die Menschheit zukommt an Krieg, Naturkatastrophen und anderen Dunkelheiten, sagt er seinen Jüngern und Jüngerinnen: „Wenn das alles geschieht, erhebt euer Haupt, denn eure Erlösung ist nahe.“ Gott ist nahe, er trägt euch, ihr seid dem Schlechten nicht schicksalhaft ausgeliefert, ihr könnt Hoffnung haben, denn ihr könnt gemeinsam gestalten, ihr seid auf einem Fundament, dem Segen Gottes, dem Glauben, der euch trägt. Nicht das Schicksal, nicht das Böse, nicht anonyme Mächte bestimmen über uns.
„Nachdem der eine Stern, Christus, aufgegangen ist, herrschen nicht mehr die Sterne über uns.“ So formulierte ein spätantiker Theologe sein neues, christliches Weltgefühl. Weil der eine Stern aufgegangen ist, herrschen nicht blinde Schicksalsmächte über uns. Das ist meine Hoffnung und mein fester Glaube für das neue Jahr, und in dieser Hoffnung will ich erhobenen Hauptes meine Aufgaben wahrnehmen, mein Leben, Kirche und Welt gestalten.
Bereits in der antiken Philosophie spielte das Nachdenken über die Hoffnung eine Rolle. Dort wurde sie beschrieben als Unerschütterlichkeit. Der Mensch ließ sich von den schwierigen Erfahrungen nicht berühren.
Das konnte nicht das Motiv christlicher Hoffnung sein.
In der Tradition der jüdischen Bibel, des christlichen Alten Testaments beruhte die Hoffnung auf der Treue Gottes zu seinem Volk. In ihm konnten sich die Glaubenden bergen. Die Psalmen etwa besingen diese Hoffnung, dieses Geborgen-Sein: Der Herr ist mein Hirte, mir wird nichts fehlen, auch wenn ich durch das finstere Tal wandere, ich fürchte kein Unheil. So sagt es der Psalm 23, ich könnte andere Beispiele nennen.
Gott geht den Weg seines Volkes mit, durch Höhen und Tiefen. Und dieser Glaube war offenbar auch immer das tragfähige Fundament des Glaubens für jeden und jede Einzelne. Nicht nur dem gesamten Volk ist Gott treu, er bleibt auch an meiner Seite, so war der feste Glaube derer, die auf Gott bauen konnten. Er bleibt an meiner Seite an dunklen wie an hellen Tagen. Hoffnung zeigt sich dann im Neuen Testament in vielen Grundhaltungen: in der Geduld, in der Freude am Leben, der Demut, der Großzügigkeit, dem Bemühen um Frieden, und schließlich auch im Gebet, das täglich Gott das eigene Leben anvertraut.
Hoffnung kann so ein Gegenbild sein zu einem modernen Menschenbild. Wo scheinbar nur Stärke, Schnelligkeit, Erfolg, Gesundheit und Kraft zählen, setzen hoffnungsvoll glaubende Menschen auf die Kraft Gottes, die gerade auch den Menschen, die mit manchem nicht mitkommen, Würde und Zukunft gibt. Die Hoffnung auf das ewige Leben kann für glaubende Menschen ein Maßstab sein, die rechten Schwerpunkte zu setzen.
Vielleicht ist es die wichtigste Aufgabe der Kirche heute, Hoffnung zu geben, Menschen zu ermöglichen, erhobenen Hauptes die Aufgaben anzugehen, die das Leben stellt.
Für mich bleibt ein zentraler Text bei der Suche nach kirchlichen Schwerpunkten heute der Anfang der sogenannten Pastoralkonstitution des II. Vatikanischen Konzils „Gaudium et spes.“:
„Freude und Hoffnung, Trauer und Angst der Menschen von heute, besonders der Armen und Bedrängten aller Art, sind auch Freude und Hoffnung, Trauer und Angst der Jünger Christi. Und es gibt nichts wahrhaft Menschliches, das nicht in ihren Herzen seinen Widerhall fände. Ist doch ihre eigene Gemeinschaft aus Menschen gebildet, die, in Christus geeint, vom Heiligen Geist auf ihrer Pilgerschaft zum Reich des Vaters geleitet werden und eine Heilsbotschaft empfangen haben, die allen auszurichten ist. Darum erfährt diese Gemeinschaft sich mit der Menschheit und ihrer Geschichte wirklich engstens verbunden.“
Ja, Kirche gehört an die Seite der Menschen. Und stärker als früher erlebe ich den Auftrag, auch eine Gemeinschaft der Hoffnung zu sein. Es ist Auftrag der Glaubenden, auch die Hoffnung der Menschen in unserer Gesellschaft wahrzunehmen. Hoffnung auf Leben, auf Frieden, auf Gerechtigkeit, auf ein gutes Leben und eine menschenfreundliche Gesellschaft. Und wir sind, wie es der 1. Petrusbrief beschreibt, aufgerufen: „Seid jederzeit bereit, Rede und Antwort zu stehen, wenn jemand nach der Hoffnung fragt, die euch erfüllt.“
Es ist nicht leicht, in Zeiten kirchlicher Sparpläne, des offenkundigen Priester- und Gläubigenmangels und einer nicht sehr hoffnungsvollen Stimmung auch in unserer Gesellschaft, in Zeiten von Krieg und anderen Übeln, über die Hoffnung zu sprechen, die uns erfüllt.
Vielleicht hilft es zu wissen, dass sich dieser Brief des Petrus nicht an Christen in einer Situation richtet, die leicht ist. Es sind zerstreute Christen in der griechischen Diaspora, kleine Gruppen in einer Welt, die geprägt ist von einer großen Beliebigkeit, von Armut, von Gewalt und vielfältiger Not. Man lebt seine Religion, aber auch dies ist mehr ein äußerer Ritus. Andere flüchten in die Magie, in esoterische Gruppen, die allein das religiöse Gefühl suchen. Alles, was wir über diese Zeit wissen, ist bei aller Verschiedenheit unserer Welt in religiöser Hinsicht nicht unähnlich. Man kann sich vorstellen, dass die Christen damals ebenso wie wir heute in Versuchung waren, sich einzuigeln. „Es bringt doch sowieso nichts, was sollen wir schon bewirken? Wie soll es nur weitergehen?“ Der Apostel setzt die Hoffnung dagegen. Gebt den Menschen Hoffnung. Denn Gott ist bei euch, und ihr könnt die Welt gestalten. In diesem Sinne sollen wir Pilgerinnen und Pilger der Hoffnung sein. Wir sind nicht dunklen Mächten unterworfen, sondern von „Guten Mächten treu und still umgeben“, wie es der Theologe Dietrich Bonhoeffer gedichtet hat. Diese Hoffnung wünsche ich Ihnen allen, der Gesellschaft und der Kirche. Und auch ich selbst werde mich regelmäßig daran erinnern, welche Hoffnung mir geschenkt ist.