„Selig, die Frieden stiften.“ – Dieses Wort der Bergpredigt straft alle Lügen, die gerne laut fordern, die Kirche solle sich aus der Politik heraushalten – zumindest in den Fragen, in denen sie den Meinungen dieser Menschen widerspricht.
Die Kirche darf sich nicht heraushalten, denn die biblische Botschaft ist zutiefst politisch: Gerechtigkeit, Frieden, Solidarität, Nächstenliebe sind Begriffe, die für den glaubenden Menschen ihr Fundament in ihrem Gottesglauben haben. Gott steht auf der Seite der Armen, und er nimmt die Besitzenden in die Pflicht. Er steht für Frieden, weil auch in seinem Namen zu oft Kriege geführt worden sind. Er fordert Solidarität und Nächstenliebe, weil alle Menschen eine Familie sind, die Erde ein gemeinsames Haus. Die Pandemie derzeit ist nur weltweit in den Griff zu bekommen, ohne nationale Egoismen, ebenso wie die Flüchtlingsfrage, die Bekämpfung des Hungers und die Suche nach Frieden und selbstverständlich die ökologische Krise unserer Erde. Diese Fragen hängen zusammen. Nicht nur nationale Egoismen verhindern wirksame Lösungen, sondern auch die Isolierung dieser Fragen, als hätten sie nichts miteinander zu tun. Papst Franziskus verbindet sie in „Laudato si“ überzeugend miteinander. Der Text wird zwar erst heute veröffentlicht, aber klar ist: Auch in seiner neuen Enzyklika „Fratelli tutti“ (Wir sind alle Geschwister) weist Papst Franziskus auf diese Wirklichkeit hin.
Zu oft sind wir noch auf dem Weg der Abschottung und dem Kreisen um die eigenen Bedürfnisse. Wir haben in vielen Fragen nicht verstanden, dass wir sie nur in weltweiter oder erst einmal wenigstens europäischer Solidarität lösen können. Die biblische Botschaft ist auch deshalb politisch, weil sie anfällig ist für Fundamentalismen und auch die Instrumentalisierung von religiösen Fragen für eigene politische Ansichten immer wieder eine Versuchung bildet. Es bedarf also immer auch einer kritischen Prüfung religiös motivierter politischer Positionen. Gerade die Botschaft der Propheten ist eine politische: Die Propheten warnen vor Ungerechtigkeit, sie nehmen die Rechte der Armen in den Blick gegen die Machtgelüste der Einflussreichen. Sie entwerfen großartige Friedensvisionen: „Schwerter zu Pflugscharen.“ (Jes 2,4). Sie verheißen eine Friedensgemeinschaft aller Völker am Ende der Zeiten (vgl. Jes. 2,1-5 u.a.). Die Bergpredigt Jesu, der das Motto der diesjährigen missio-Aktion entstammt, ist politisch, und besonders die Forderung zum Frieden hat politische Relevanz. Wir dürfen unsere Botschaft nicht hinter Kirchenmauern verschließen, dafür steht auch der heutige Tag: die Eröffnung des Monats der Weltmission. Dabei macht sich die Kirche nicht zu einer NGO – denn hinter der Friedensbotschaft leuchtet die Kunde von dem einen Gott des Friedens, der in Christus Mensch geworden ist und in diesem Jesus von Nazareth für den Weg aktiver Gewaltlosigkeit und Liebe steht. Ihn dürfen wir in Tat und Wort verkünden.
Diese Friedensbotschaft hat eine weltweite Dimension, sie nimmt die Weltpolitik in die Pflicht. Wir erleben eher eine Zeit neuen Säbelrasselns und weltweiter Aufrüstung. Umso aktueller ist die Forderung Jesu in der Bergpredigt[1]. Wir brauchen für den Frieden klare vertragliche Absprachen, äußere Strukturen und die Bereitschaft, auf gewaltsame Lösungen zur Konfliktbewältigung zu verzichten. Kann es gelingen, in Konfliktsituationen auch die Perspektive der anderen Partei zu übernehmen und sich zu bemühen, sie besser zu verstehen? Frieden ist in der christlichen Ethik nie als bloße Idee oder jenseitige, endzeitliche Vertröstung verstanden worden. Bereits der heilige Augustinus (gest. 430) macht deutlich, dass die Sehnsucht nach Frieden zur Ursehnsucht des Menschen gehört. Während das römische Reich für Macht, Geld, Lust und Ehre stehe, verkünde das Evangelium den Frieden und entspreche damit der tiefsten Suche des Menschen. In Klammern sei gesagt: Man darf über die Aktualität dieser Theologie des 5. Jahrhunderts staunen. Augustinus ist davon überzeugt, dass sich diese Friedenssehnsucht auch im Zusammenleben der Menschen und der Völker zeigen muss. Wer als politisch Verantwortlicher nicht aktiv den Frieden fördert, verstößt gegen den Menschen, seine innere Sehnsucht und seine Würde. Staaten, die nach außen hin die Gewalt suchen, stehen für Augustinus auch für den Unfrieden und die Gewalt nach innen. Wer nach innen den einzelnen Menschen fördert, wird immer auch für gewaltfreie Konfliktlösungen nach außen eintreten. Wer gegen andere Krieg führt, zerstört auch die Menschen im eigenen Land. Ein Theologe des 5. Jahrhunderts schreibt dies den Verantwortlichen unserer Tage ins Stammbuch. Manche Begriffe kannte er noch nicht. Die christliche Friedensethik hat sich weiterentwickelt. Sie weiß heute, dass eine weltweite Friedensordnung auf verschiedenen Säulen ruht. Der Schutz der Menschenrechte, die Entwicklungsförderung, die Bekämpfung von Armut und Hunger, der Einsatz für den Frieden sind die erste Säule. Die zweite Säule besteht im Aufbau rechtsstaatlicher Strukturen und der Aufbau gewaltenteiliger Regierungssysteme. Auch hier darf man in Klammern dazu sagen, dass dies die Kirche in unseren Tagen auch für ihr Miteinander neu lernt. Auch die wirtschaftliche Zusammenarbeit als dritte Säule hilft zu einem friedlichen Miteinander. Hier nehmen wir heute auch die Länder Westafrikas in den Blick. Ich darf Eberhard Schockenhoff zitieren: „Solange die reichen Industrienationen die ärmeren Länder in einseitiger Abhängigkeit halten und ihnen einen fairen, gleichberechtigten Zugang zu den Weltmärkten verwehren, kann sich die friedenssichernde Wirkung eines freien Welthandels jedoch nicht frei entfalten. Zwischen dem hohen Wohlstandsniveau in den reichen Industrienationen der westlichen Welt und dem Ausbleiben ökonomischer Erfolge auf der Verliererseite des Weltwirtschaftssystems bestehen nämlich klar erkennbare Wechselwirkungen.“[2]
Wir sollten hierzulande sehr zurückhaltend damit sein, Menschen auf der Flucht als bloße Wirtschaftsflüchtlinge zu qualifizieren. Sie fliehen auch wegen der Folgen unseres Konsumverhaltens und der ökologischen Folgen unseres Alltags. Die Kirche muss politisch sprechen, Jesus predigt keine Religion der reinen Innerlichkeit. Der Frieden, so auch Augustinus, muss sich in den Strukturen menschlichen Zusammenlebens ausbreiten und bewähren.
Die weltweite Politik ist das eine, das andere sind die vielen Friedensstifterinnen und Friedensstifter vor Ort. Hier bei uns, in den vielen Ländern, auch in den christlichen Gemeinden. Im Februar dieses Jahres war eine Gruppe aus dem Bistum Mainz in Ghana. Sie haben dort stellvertretend für viele andere Menschen kennengelernt, die sich aus ihrem Glauben heraus für Frieden und Gerechtigkeit einsetzen und so der prophetischen Botschaft und den Seligpreisungen der Bergpredigt ein zeitgemäßes Gesicht geben. Es sind Menschen der Hoffnung, die unsere Welt so dringend braucht. Überall auf der Welt trotzen auch glaubende Menschen der Unterdrückung und der Unfreiheit, dem Unfrieden und der Gewalt. Diese Menschen sind für unsere Welt unverzichtbar. Ich kann mich vor vielen Glaubenszeugnissen dieser Menschen nur verneigen, denn anders als wir riskieren sie in ihrem Friedenseinsatz oft Kopf und Kragen. Sie stehen wirklich mit ihrem Leben für den Gott des Friedens ein. Sie geben nicht auf, wenn es scheinbar keine Erfolge gibt, sie glauben fest an den Gott, der die Welt verändern kann.
Missio und andere kirchliche Hilfswerke nehmen beide Dimensionen in den Blick. Sie stehen für klare, auch politische Botschaften, und sie unterstützen die vielen Menschen vor Ort. Die Corona-Pandemie hat viele Themen verschärft. Umso wichtiger ist unser Einsatz für die vielen Menschen in Westafrika, aber auch weltweit. Missio steht für einen Glauben und einen Einsatz, der sich nicht in den Kirchen einschließen lässt. Glaube ist politisch. Gott mischt sich in den Alltag ein. Gott sei Dank!
[1] Zum Folgenden vgl. Eberhard Schockenhoff, Frieden auf Erden? Weihnachten als Provokation, Freiburg i. Br. 2019, 125-136.
[2] Ebd. 129f.