„Stern über Bethlehem, zeig uns den Weg.“

Predigt von Bischof Peter Kohlgraf beim Pontifikalamt zu Epiphanie im Mainzer Dom am 6. Januar 2025

Blauer Nachthimmel. Elemente dieses Bildes wurden von der NASA zur Verfügung gestellt. (c) Artsiom P | stock.adobe.com
Datum:
Mo. 6. Jan. 2025
Von:
Bischof Peter Kohlgraf

„Stern über Bethlehem, zeig uns den Weg.“ – so singen wir in einem Weihnachtslied. Wir verbinden uns mit den Weisen aus dem Morgenland, die dem Matthäusevangelium zufolge im Osten einen besonderen Stern gesehen haben und ihm gefolgt sind. Das Ziel ist das Kind in der Krippe und die Anbetung. Dass der Weg beschwerlich war, singen wir in manchen Liedern zum heutigen Festtag. Sie durcheilen viele Länder, bergauf, bergab durch Reif und Schnee. Ein Lied nennt ihren Weg einen Pilgerpfad.

Ich lese dieses Evangelium vor dem Hintergrund der vielen Wege, auf denen wir in Kirche und Gesellschaft heute unterwegs sind, und manchmal vor lauter Irrlichtern das eigentliche Licht und das eigentliche Ziel (noch) nicht erkennen können.
Wir gehen einen Pastoralen Weg, der von vielen Menschen als Weg des Verzichts erlebt wird. Es geht im Wesentlichen darum, sich ehrlich zu machen, und das ist eine schmerzliche Pilgerfahrt. Natürlich haben die abnehmenden Zahlen der Gläubigen Auswirkungen auf die äußere Form der Kirche. Diese Veränderungsprozesse müssen nichts aussagen über die Glaubenskraft und die Hoffnung, die uns leitet. „Stern über Bethlehem, zeig uns den Weg.“ – ein derartiger Weg des Ehrlichmachens darf kein hoffnungsloser Weg werden, denn natürlich will uns weiter der eine Stern leiten, dem wir folgen.
Im kommenden Jahr wird uns noch stärker die Frage bewegen, welche Wege uns der Stern führen will, wenn es uns darum geht, Christus zu verkünden und glaubwürdig ihn zu bezeugen, statt nur Besitzstand zu wahren. Auf was dürfen wir nicht verzichten? Auf was müssen wir verzichten? Derartige Fragen dürfen nicht allein von der Ökonomie geleitet sein.

Ich denke an die verschiedenen synodalen Wege, die ebenfalls vielen Menschen Angst machen, die Ursache von gegenseitigen Verwerfungen sein können, in Deutschland und darüber hinaus. Papst Franziskus hat das Wagnis einer Weltsynode zu diesem Thema angeregt und in den letzten Wochen des vergangenen Jahres beendet, damit ist aber noch nicht der synodale Weg beendet. Papier ist geduldig. Es geht schließlich um die Veränderung der Kultur und des kirchlichen Selbstverständnisses in einer suchenden Welt. Christinnen und Christen verstehen sich als Weggefährten ihrer Zeitgenossinnen und Zeitgenossen, sie treten nicht als die auf, die schon alles wissen, auch wenn genau diese Haltung manchmal noch lautstark hervortritt.
Bis sich eine neue Kultur des Miteinanders in einer Weltkirche etabliert, werden wahrscheinlich Generationen vergehen, denn Kultur verändert sich nicht auf Knopfdruck. „Stern über Bethlehem, zeig uns den Weg.“ Der Papst sagt es deutlich, und die Synode bestätigt ihn: er will keine Kirche von Herrschenden und Beherrschten, auch wenn es Verantwortlichkeiten geben muss, die klar beschrieben sind.
Er will eine Kirche, in der sich alle Menschen willkommen fühlen dürfen, und die dennoch Unrecht beim Namen nennt und dagegen angeht, gerade auch in ihren eigenen Reihen.
Er will eine Kirche, die immer wieder den Konsens sucht, und nicht die Polarisierung, auch wenn Konflikte zum Leben von Menschen dazugehören.
Dennoch bleibt die Frage, wie wir Konflikte lösen, und wie wir im Konfliktfall miteinander umgehen. Für die Gesellschaft im Ganzen wäre es ein Geschenk, wenn unser kirchliches Miteinander ein Modell sein könnte, wie ein Miteinander gelingen kann.

Der Stern von Bethlehem möge uns den Weg zeigen, denn auch unsere Zeit kennt die „Herodesse“, die lügen und betrügen zwecks des eigenen Machterhalts, die vor Gewalt nicht zurückschrecken, und die Menschen des Friedens verfolgen und verspotten. Die Geschichte des Matthäusevangeliums steht für viele Aussagen der Bibel: alle diese Machtfiguren werden am Ende als Lügner und Versager entlarvt, und dennoch ziehen sie eine Blutspur hinter sich her.

Das Bild vom Stern und den Sternen ist ein roter Faden durch die Heilige Schrift. Bereits im Schöpfungsbericht der Genesis hängt Gott die Gestirne wie Lampen an das Firmament. Das ist ein klares Glaubensbekenntnis. In einer Welt, in der die Gestirne als Götter verehrt wurden, hängt der eine Gott sie als Lampen auf. Sie sind seine Werkzeuge, es gibt nur den einen Gott. Dieser Gott hat die Macht, er lässt sich nicht von Menschen instrumentalisieren, er entlarvt jede Lüge und jeden Götzenkult, der sich immer wieder auch im menschlichen Kreisen um sich selbst und die eigene Macht zeigt.
Es mag nicht mehr heutiger Naturwissenschaft entsprechen, aber die Sternensymbolik beinhaltete, dass sich der Kosmos um Gott dreht, dass er das Maß bleiben wird.
Schon früh taucht dann das Motiv auf, dass einst ein Stern aufgehen wird, der ein Reich des Friedens aufrichtet, eine Welt der Gerechtigkeit und der Liebe. Im heutigen Evangelium leuchtet genau der Stern auf, der zum eigentlichen Licht, zum eigentlichen Friedensherrscher hinführt. Der frühchristliche Bischof Ignatius von Antiochien (+107) sagt über diesen Stern: „Er war heller als alle Sterne. Sein Licht war unbeschreiblich und seine Neuheit rief Staunen hervor. Alle übrigen Sterne aber, samt der Sonne und dem Mond, führten einen Reigen auf vor diesem Stern und sein Licht überstrahlte alle (…) Christus im Geheimnis der Menschwerdung ist selbst der Stern.“ 1

Jemand hat einmal gesagt, wir lebten in einer Zeit der Lichtverschmutzung. Vor lauter künstlichen Lichtern und Sternen können wir dieses eine wichtige Licht nicht mehr erkennen. „Stern über Bethlehem, zeig uns den Weg.“ – darin ist für mich auch die Bitte enthalten, das eine Licht von den vielen Lichtern unterscheiden zu können, die den Weg zum Leben in Fülle nicht zeigen können, die sich aber in den Vordergrund drängen. Es ist die Bitte darum, das – besser: DEN einen Lebensnotwendigen erkennen zu können. Bei allen inner- und außerkirchlichen Wegen ist es meiner Wahrnehmung nach das mühsamste Unterfangen, die zweitrangigen Lichter vom einen wahren Licht unterscheiden zu lernen.

Eigentlich ist das der eigentliche Zielpunkt aller synodalen Wege, Christus, das Licht zum Strahlen zu bringen und nicht mein Licht an die erste Stelle zu setzen.

Wir gehen mit dem Heiligen Jahr in ein Jahr der Hoffnung, als „Pilger der Hoffnung“. Der Stern über Bethlehem möge manches Dunkel erhellen, er möge uns klarer erkennen lassen, worauf es ankommt, jetzt, zu dieser Weltenstunde. Er möge Licht und Orientierung schenken auf den vielen Wegen der Menschen, auch meinen eigenen. Dieses eine Licht allein mag Hoffnung geben und Mut machen, die keine Selbsttäuschung bleiben. In einem anderen Lied aus dem Mainzer Anhang zum Gotteslob (GL 786) heißt es sehr klarsichtig:

„Nachdem dein Stern in Bethlehem erschienen –
wo bleibt dein Licht in unserer dunklen Zeit?
Was soll uns eine Weihnachtsbotschaft dienen
als Kunde bloß aus der Vergangenheit?

Der Stern, wollt ich mich seinem Licht zuwenden,
müsst über mir am eignen Himmel stehn,
weil dann das Licht, von dem die Schriften künden,
mir helfen würde, meinen Weg zu sehn.

Noch einmal lasse Engelscharen singen.
Noch einmal führe uns zu deinem Kind.
Wovon wir träumen, lass es uns gelingen.
Schenk Frieden, der in dir beginnt.

 

Tatsächlich reicht nicht der Blick in eine Vergangenheit, in der Christus einmal aufgeleuchtet ist. Er bleibt als Licht, als Stern über uns und mit uns.

1Zitiert nach Dorothea Forstner OSB, Die Welt der christlichen Symbole, Innsbruck 1977, 104f.