Wagemutig

Predigt von Bischof Peter Kohlgraf beim Ökumenischen Gottesdienst auf dem Rheinland Pfalz Tag Dom St. Peter Worms, 2. Juni

Datum:
Sa. 2. Juni 2018
Von:
Bischof Peter Kohlgraf
Was Wagemut ist, kann man vielleicht prägnant mit dem Gegenteil verdeutlichen: Kleinmut. Kleinmut ist die Angst davor loszugehen, weil man Angst hat, stolpern zu können. Wagemut ist dann das Vertrauen darauf, etwas schaffen zu können, dass es eine Perspektive gibt, dass es gut ist, etwas anzupacken.

Das Evangelium nach Matthäus erzählt von einem Herrn, der auf Reisen geht und drei Dienern Geld hinterlässt, damit sie damit wirtschaften. Jeder bekommt so viel, wie der Herr seinen Fähigkeiten zutraut. Die ersten beiden Diener verdoppeln den Einsatz, der dritte vergräbt das Geld, aus Angst vor dem Herrn, aus Angst vor dem Scheitern, auch aus mangelndem Zutrauen zu den eigenen Fähigkeiten. Angst, Mutlosigkeit und mangelndes Vertrauen sind offenbar schlechte Ratgeber im Reich Gottes. Wagemut ist dieses Vertrauen in Gott, in meine Fähigkeiten, in die Zukunft.
Wagemut: es lohnt sich, auf Gott zu setzen. Die Bibel ist voll mit wagemutigen Menschen, die dann nicht enttäuscht werden. Abraham zieht los in ein neues Land, das ihm verheißen ist. Er traut dem Versprechen Gottes, ohne einen Beweis zu haben. Auf dem Weg wird er angefochten, es braucht viel Geduld, es braucht immer wieder die Ermutigung durch Gott, der an sein Versprechen erinnert. Bis heute stehen Menschen staunend vor dem Glauben dieses Abraham und seiner Frau Sarah, die sich die Zukunftsperspektive offen halten, weil sie der Treue Gottes glauben. Mose führt im Auftrag Gottes das Volk aus der Sklaverei Ägyptens, in die Wüste, und er kämpft nicht nur mit den Unbilden des Wüstendaseins, sondern mit den Problemen des Volkes, mit der wachsenden Müdigkeit und Überforderung, verliert aber nie das Ziel aus den Augen. Während das Volk sich Götterbilder macht, weil es etwas zum Anfassen braucht, setzt Mose vierzig Jahre auf den Gott, der sich in seinem Wort offenbart und in diesem Wort Orientierung schenkt. Beweise des Gelobten Landes wird Mose bis zuletzt nicht haben. In den Psalmen begegnen uns Menschen, die in scheinbar aussichtslosen Situationen auf Gott setzen, der ihnen Halt, Licht, Hirte, Burg und Fels ist. Sie machen immer wieder die Erfahrung und berichten davon, wie andere Menschen daneben stehen und ihren festen Glauben lächerlich machen, und ihnen ins Ohr rufen: „Es gibt keinen Gott“ (Ps 53,2). Die Apostel Jesu sind wagemutig. Auf ein Wort hin verlassen sie den väterlichen Betrieb und folgen dem Prediger aus Nazareth, und nach seiner Auferstehung müssen sie auf seinen Beistand vertrauen. Das alles sind Beispiele für Menschen, die etwas wagen, die nicht sitzen bleiben, weil sie sich vor dem Stolpern fürchten. Dabei setzen sie weniger auf eigene Kraft und Stärke, sondern auf die Treue Gottes. Wagemutige Menschen sind Menschen, die vertrauen, die eine große innere Freiheit haben, die eine Perspektive sehen, die Geduld mitbringen, weil sie davon überzeugt sind, dass Gott mit ihnen ist.
Wagemut: Gott setzt auf den Menschen. Das Verhältnis zwischen Gott und Mensch ist ein Bund, eine Partnerschaft, eine Beziehung. Gott selbst ist wagemutig, indem er auf Menschen setzt, denen er seine Aufgaben anvertraut, die in seinem Namen die Erde hüten und bebauen sollen, die in seinem Namen Menschen in Freiheit setzen, die zu seinen Botinnen und Boten werden. Gott setzt sein Reich und seine Liebe schwachen Menschen aus, immer mit dem Risiko, dass der Mensch die Talente ängstlich vergräbt und sie nicht einsetzt. Auch solchen Menschen begegnen wir in der Bibel. Die Menschheitsgeschichte geht damit los, dass der Mensch im Paradies dem göttlichen Vertrauen, dem göttlichen Wagemut, nicht gerecht wird. Die gesamte Geschichte Gottes mit dem Menschen spricht davon, dass Gott immer wieder auf den Menschen setzt, ihm etwas zutraut, und der Mensch handelt nicht, bricht nicht auf, setzt sich nicht ein, sondern bewahrt, vergräbt, schaut weg, schließt sich ein. Jeden Morgen darf ich mir zusagen lassen, dass es ein Tag wird, an dem Gott mir etwas zutraut. Dieses Risiko geht Gott ein. Und dann ist es schlimmer, ich lege die Hände in den Schoß aus Angst, aus Mutlosigkeit, aus mangelndem Vertrauen, als etwas gestalten zu wollen – und es dann am Ende vielleicht falsch zu machen. Offenbar ist es besser, im Vertrauen loszugehen und dann zu stolpern, als es erst gar nicht zu versuchen, weil ich Gott und mir nicht traue. Wenn Gott mir traut, dann darf ich das auch tun.
Wagemutig sein heißt, auf Gott setzen; wagemutig sein darf ich, weil Gott auf mich setzt. Das macht mich, das macht jeden Menschen groß. Und auch die Kirche insgesamt darf auf Gott setzen, so wie Gott auf uns als Gemeinschaft setzt. Wagemut bedeutet immer auch Zukunft, die mehr ist als routinierte und geistlose Überlieferung oder das Bewahren der Asche.