Was ist denn katholische Identität?

Predigt von Bischof Peter Kohlgraf bei der Eucharistiefeier zum 50jährigen Bestehen der Katholischen Hochschule Mainz Sankt Albertus, Mainz, Mittwoch, 7. Dezember 2022, 10 Uhr

Bischof Peter Kohlgraf (c) Bistum Mainz
Datum:
Mi. 7. Dez. 2022
Von:
Bischof Peter Kohlgraf

Ich glaube tatsächlich, dass man katholisch sein kann, an einer katholischen Einrichtung leben und lernen kann, und nicht nur trotzdem, sondern gerade deshalb gut drauf sein kann. Denn katholisch zu sein heißt für mich: Liebe zu allen Menschen, Interesse an der Welt und ihren Herausforderungen, Unterschiede und Vielfalt wertzuschätzen, für etwas oder jemanden klar einzustehen, nicht beliebig zu sein, Schwache zu fördern, Menschen nicht aufzugeben; kurzum: Katholiken sollten einen wachen Verstand und ein weites Herz haben.

„Katholisch – und trotzdem gut drauf“ war der Titel eines Buches aus dem Jahr 2000 (Michael Graff). Damals war die Außensicht auf die katholische Kirche noch eine etwas andere als heute. Und dennoch waren bereits deutliche Krisensymptome wahrnehmbar, die heute eine neue Dimension angenommen haben.

Ich greife in dieser Predigt auf meinen Fastenhirtenbrief aus dem Jahr 2020 zurück. Vor zwei Jahren habe ich ihn so begonnen: „Welchen Glauben haben Sie? – In einem seiner Programme lässt der Kabarettist Konrad Beikircher einen Rheinländer auf diese Frage antworten: „Normal.“ Damit ist bei ihm natürlich die katholische Konfession gemeint. Sie ist der „normale Glaube“ für einen alteingesessenen Rheinländer. Wohlgemerkt: Es handelt sich hier um ein Kabarettprogramm. Die Christinnen und Christen der ersten Jahrhunderte hätten es wohl ähnlich selbstbewusst formuliert. Sie bekannten sich als katholisch und meinten damit die Zugehörigkeit zu einer alle Menschen und alle Welt umspannenden Glaubensgemeinschaft. Etwas Anderes hätten sie sich nicht vorstellen können. So war es mit Höhen und Tiefen über viele Jahrhunderte. Die Situation verändert sich heute spürbar. Auch dem freundlichen Rheinländer kommt das Bekenntnis zum „normalen“ Glauben in der Zugehörigkeit zur katholischen Kirche nicht mehr derart leicht über die Lippen. Wer hoch zu stehen meint, kann umso tiefer fallen. Das ist auch die aktuelle Wahrnehmung für mich und für viele Menschen, die um den Glauben ringen, angesichts der Situation der katholischen Kirche.“

Katholische Hochschule: das wird vor 50 Jahren ein unbestrittenes Qualitätsmerkmal gewesen sein. Die breite Öffentlichkeit war kirchlich sozialisiert, katholisch hieß: Gemeinschaft, Werte, Glauben, prägender Teil der Gesellschaft zu sein. Allerdings war das auch damals schon ein Stück Selbsttäuschung oder Wirklichkeitsverdrängung. Die 68-Generation hatte längst den klerikalen Mief verdammt, die Praxis der meisten Katholikinnen und Katholiken entsprach längst nicht mehr der Morallehre in Hinblick auf Sexualität und Partnerschaft, bereits Anfang der 60er Jahre hatte Papst Johannes XXIII. die ungeklärte Frauenthematik auch in der Kirche als ein „Zeichen der Zeit“ benannt, das es aufzugreifen und zu bearbeiten gelte. 50 Jahre später gehen wir in Deutschland den Synodalen Weg, der genau diese Themen neu aufgreift und zu lösen versucht. Nach manchen unerträglichen Enthüllungen der letzten Jahre über Verbrechen in der Kirche an Kindern, Jugendlichen und Schutzbefohlenen haben wir auf dem Tisch, welche fatalen Konsequenzen diese systemisch ungelösten Fragen haben. Für viele Menschen ist „katholisch“ kein Qualitätsmerkmal mehr, sondern Abschreckung und Grund zur Ablehnung. Mit den anstehenden Themen gehen Menschen innerhalb und außerhalb der Kirche unterschiedlich um. Wenn wir heute das Jubiläum der Katholischen Hochschule feiern, dann stehen wir vor der Herausforderung, zu beschreiben, was genau katholisches Profil ausmacht. Für die Kirche insgesamt haben bestimmte Gruppen dazu klare Ansagen. Katholisch ist, wer den Papst in allen Glaubens- und Lebensfragen anerkennt, gleichgültig, ob er sein unfehlbares Lehramt wahrnehmen will oder nicht; katholisch ist, wer einzig und allein die die gelebte Sexualität in einer heterosexuellen Beziehung akzeptiert; katholisch ist, wer die Weihe von Frauen ablehnt, katholisch ist, wer als Amtsträger klare Grenzziehungen zwischen Klerikern und Laien vornimmt.

Ich habe nicht die Lösungen für die Fragen, aber was ist denn katholische Identität?

Ich gestehe, dass mich diese Positionen mittlerweile nicht nur ermüden, sondern geradezu wütend machen. Ich habe nicht die Lösungen für die Fragen, aber was ist denn katholische Identität? In allen den polemischen und kritischen Kommentaren auch zu den Themen des Synodalen Weges kommt Christus als Freund, als Lehrer, als Vorbild auch nicht vor. Das kann nicht katholisch sein. Katholische Hochschule heißt doch nicht: Wir schreiben klassische Geschlechterrollen fest, wir teilen Kirche und Welt in Oben und Unten, in Richtig und Falsch, in Schafe und Hirten. Katholisch muss wieder zum Qualitätsmerkmal werden. Wir haben nun eine neue Grundordnung als Bischöfe beschlossen, die sich von überholten Merkmalen einer katholischen Einrichtung verabschiedet. Was macht eine Einrichtung, auch eine Hochschule denn katholisch? Nach klassischem Muster hätte man angeboten: die Zahl und Glaubenspraxis der Studierenden, der Beziehungs- und Konfessionsstatus der Lehrenden, Quoten und äußere Merkmale prägten das Bild und Selbstverständnis. Längst vor „out in Church“ haben auch die Bischöfe festgestellt, dass diese Kriteriologie eine Selbsttäuschung ist. Die neue Grundordnung versucht einen neuen Weg, wobei viele konkrete Fragen noch zu bearbeiten sein werden. Die katholische Identität einer Institution wird nicht mehr der Lebensform und schon gar nicht mehr dem Beziehungsstatus eines einzelnen Mitarbeiters/Mitarbeiterin aufgebürdet, vielmehr muss sich die Einrichtung inhaltlich darüber Rechenschaft geben, was sie katholisch macht, welche Identität sie in der Bezeugung des Evangeliums leben will, welche Anforderungen dann an die Mitarbeitenden gestellt werden können und sollen. Es ist dann die anspruchsvolle Aufgabe, die Mitarbeitenden so mitzunehmen, dass sie dieses gemeinsame Verständnis mittragen und fördern. Die Studierenden einer katholischen Hochschule müssten dann den Lehrenden ihre persönliche Lebens- und Glaubenshaltung ablesen und abnehmen können.

Es gab kritische Reaktionen, die Kirche verkaufe ihre Werte dem Zeitgeist. Genau das Gegenteil ist der Fall. Zunächst nehmen wir die Wirklichkeit ernst und wir nehmen sie an. Auf dem Papier katholisch und gültig verheiratet zu sein sagt so gut wie nichts über die innere Haltung. Und die Institution und ihre Leitung wird in die Pflicht genommen, sich Rechenschaft über ihr Katholisch-Sein zu geben und Ansprüche zu formulieren und konkret zu leben. In einem Bistum ist diese Realisierung ein weiter Weg, denn es muss natürlich gemeinsame Standards geben, (die dann auch rechtwirksam sein müssen). Wir stehen vor einem anspruchsvollen Weg. Die Bistümer müssen hier Gesprächspartner und Begleiter sein, sie haben aber nicht in jedem Fall schon die Lösung.

Die Katholische Hochschule lade ich ein, sich auf diesen Prozess einzustellen, denn wir brauchen Ideen, Debatte, Geduld und eine Grundidentifikation mit dem, was in einem weiten und guten Sinne katholisch ist. Natürlich gehören dazu der gemeinsame Glaube, die Einladung zur Feier der Sakramente, die Solidarität mit der Weltkirche und ihren Erfahrungen, ein gemeinsames Wertefundament, die Gottesfrage und das Interesse an Jesus Christus und seinem Lebensmodell. Hier werden Menschen ausgebildet für den Dienst an anderen Menschen. Wer dies aus christlichem Geist tut, wird dies anders tun als Menschen mit einem anderen Hintergrund. Nicht nur die Lehrenden sind in die Pflicht genommen. Studierende, die sich den Fragen des Glaubens und der Werte gleichgültig entziehen, entziehen sich Fragen, die vielleicht den Menschen wichtig sind, mit denen sie später einmal in Kontakt treten werden. Sich der Gottesfrage zu entziehen, kann eine sträfliche Bequemlichkeit sein.

Ich glaube tatsächlich, dass man katholisch sein kann, an einer katholischen Einrichtung leben und lernen kann, und nicht nur trotzdem, sondern gerade deshalb gut drauf sein kann. Denn katholisch zu sein heißt für mich: Liebe zu allen Menschen, Interesse an der Welt und ihren Herausforderungen, Unterschiede und Vielfalt wertzuschätzen, für etwas oder jemanden klar einzustehen, nicht beliebig zu sein, Schwache zu fördern, Menschen nicht aufzugeben; kurzum: Katholiken sollten einen wachen Verstand und ein weites Herz haben.

Ich danke allen, die sich in Vergangenheit und Gegenwart für diesen katholischen Geist engagiert haben und weiter engagieren. Gerade in der Arbeit mit jungen Menschen bleibt man wach und lebendig. Papst Franziskus schreibt über die Kirche, die von der Jugend und von jungen Menschen lernen soll: „Vor einiger Zeit fragte mich ein Freund, was ich sehe, wenn ich an einen jungen Menschen denke. Meine Antwort war: »Ich sehe einen Jungen oder ein Mädchen, die auf der Suche nach ihrem eigenen Weg sind, die mit Flügeln an den Füßen davoneilen wollen, die sich der Welt zuwenden und ihren Blick auf den Horizont richten, die Augen voller Hoffnung, voller Zukunft und auch voller Illusionen. Der junge Mensch läuft auf zwei Füßen wie der Erwachsene, doch anstatt sie wie dieser Parallel nebeneinanderzustellen, setzt der junge Mensch stets einen Fuß vor den anderen, bereit aufzubrechen, loszusprinten. Immer in Startposition. Über die Jungen zu sprechen, bedeutet, über Verheißungen zu sprechen, und es bedeutet, über die Freude zu sprechen. Die jungen Leute besitzen eine solch ungeheure Kraft, ihr Blick zeugt von einer solch großen Hoffnung. Ein junger Mensch ist eine Verheißung des Lebens“. (Christus vivit, 2019, 139). Katholisch und gut drauf sein heißt dann: mit Hoffnung leben, Illusionen und Visionen zulassen, aufbrechen und Freude leben. Wenn das immer mehr aus einer Glaubenshaltung gelingt, ist diese Hochschule wahrhaft katholisch. Dazu wünsche ich Gottes Segen.