Vor Jahren gab es eine Ausstellung in Aachen, die mit Jugendlichen konzipiert war, zum Thema: „Was ist mir heilig?“ Aus dieser Frage ist eine bunte Präsentation entstanden. Viele Gegenstände und Bilder waren ausgestellt. Was macht etwas heilig? Meistens waren es Erfahrungen mit etwas oder mit jemandem, die das eigene Leben reich machen. Die Jugendlichen wollten diese Erfahrungen oder Beziehungen nicht missen, dafür waren sie bereit, sich zu engagieren. Ich will mir niemanden vorstellen, dem nichts oder niemand im Leben heilig ist. Für dieses Heilige engagiert man sich gern. Und man wird selbst groß in der Begegnung mit dem Heiligen. Es gibt Sinn und Lebensinhalt. Dieses Heilige muss nicht im engen Sinne mit Religion verbunden sein, aber es gehört in die Beschäftigung mit dem Menschen, mit Gott, mit dem Leben und den eigenen Lebensinhalten.
Es gibt in unserer Gesellschaft viele Menschen, denen Gott und der Glaube heilig sind, allen Vorurteilen zum Trotz. Ich vermute: Auch Sie haben sich für den Beruf des Religionslehrers und der Religionslehrerin entschieden, weil ihnen die Frage nach Gott etwas bedeutet, weil Sie Erfahrungen gemacht haben, dass der Glaube tragen kann, und dass es Freude machen kann, diesen heiligen Gott auch anderen Menschen als tragfähigen Grund bekannt zu machen und zu einer Beziehung zu ihm einzuladen. Mir ist bewusst: Sie gehen in diesen Beruf in einer Zeit mancher Krisen und Umbrüche in Gesellschaft und Kirche. Ich bin davon überzeugt, dass er dringend gebraucht wird und eine Zukunft hat. Denn junge Menschen einzuladen, von einem eigenen Standpunkt aus kennenzulernen, was jemand anderem heilig ist, dies gegebenenfalls kritisch zu reflektieren und sich über die eigenen Lebensfundamente Rechenschaft zu geben, ist nicht überholt, ganz im Gegenteil. Daraus ergeben sich für mich einige Perspektiven für Ihre Arbeit in den Schulen mit Kindern und Jugendlichen.
Religion ist mehr als Wertevermittlung, auch wenn es natürlich um Werthaltungen und praktische Konsequenzen aus dem Glauben gehen muss. Religion stellt die Frage nach dem Heiligen, nach dem, was einen Menschen erfüllt und trägt. Das ist eine zutiefst religiöse Frage. Dabei kommen Lebenserfahrungen zur Sprache, das Leben selbst ist oft der Schlüssel für den Zugang zu Gott und der Welt. Glaubensaussagen der Bibel und der Tradition sind ja selbst nicht zu verstehen, ohne die Zeitumstände, die Lebensfragen der Menschen dahinter und ihre Glaubenserfahrungen verstehen zu wollen. Nichts aus dem reichen Schatz der Kirche und ihrer Glaubensgeschichte ist einfach vom Himmel gefallen. Gotteswort hat sich immer im richtigen Menschenwort ausgesprochen. Heute dürfen Kinder und Jugendliche lernen, dass auch ihre Lebenswelt zu einem Begegnungsraum mit dem Heiligen werden kann. Es ist der Tod der Religion, wenn sie in einen weltfremden Sonderraum verbannt wird. Auch Gott lässt sich nicht in lebensfremde Sonderwelten verbannen.
Die Bedeutung der Religion, des Heiligen im Leben eines Menschen wird meiner Wahrnehmung nach immer mehr unterschätzt, nicht zuletzt auch durch politische Vertreterinnen und Vertreter. Wenn der Koalitionsvertrag der aktuellen Bundesregierung die Bedeutung der Religionen und Kirchen für die Gesellschaft vor allem in der Wertevermittlung sieht, wird dies der Bedeutung der Religion und des Heiligen im Leben von Menschen und Gemeinschaften nicht ganz gerecht. Es stimmt: die Bedeutung der Kirchen in einem institutionellen Sinne schwindet. Aber nicht allein durch Migrationsbewegungen von Menschen mit anderem religiösen Hintergrund verschwindet die Religion keineswegs aus der Öffentlichkeit. Insofern lädt der Religionsunterricht dazu ein, diese Erfahrungen und Hintergründe wahrzunehmen, altersgemäß zu reflektieren und auch eigene Glaubenshaltungen verstehen zu helfen. Religion kann so helfen, immer mehr zu Menschen zu werden, die sich dessen bewusst sind, was sie trägt, was ihnen heilig ist, und somit den Gott kennenzulernen, der uns in Jesus Christus wie Freunde anspricht (DV2), und respektieren zu lernen, was für andere ihr Fundament darstellt. Religionsunterricht braucht das Kennenlernen der eigenen Tradition, aber auch die ökumenische und interreligiöse Offenheit.
Die Reduzierung auf Wertevermittlung verkennt auch etwas die dunkle Seite, die sich in allen Religionen zeigen kann. Wenn heute eine christliche Kirche einen Krieg in Europa auch religiös unterstützt, zeigt dies: Auch die gewaltbereite Seite des Glaubens muss thematisiert werden. Immer, wenn ein Mensch sein Heiliges absolut setzt, ohne den anderen in seinen Erfahrungen zu respektieren, ist Gewalt im Raum. Es ist immer wieder faszinierend, dass gerade die Bibel diese dunklen Epochen der Glaubensgeschichte des Gottesvolkes offen benennt. Der Religionsunterricht birgt die Chance in sich, vor zwei Extremen gleichermaßen zu bewahren: Fanatismus und Beliebigkeit. Daher sind Grundhaltungen im Unterricht einzuüben: die Bereitschaft zuzuhören, Neugier, Respekt, Toleranz, aber auch der Mut, Fehlhaltungen anzusprechen. In einem derartigen Unterricht dürfen, ja müssen auch Fragen, Suchen und Zweifel einen Raum haben, auch die Fragen und Zweifel der Lehrerin und des Lehrers. Ein Glaube, der nicht mehr sucht und nicht mehr fragt, lässt auch Fragen und Zweifel anderer Menschen nicht mehr zu. In der Begegnung mit den jungen Menschen gehen Sie auch das heilsame Risiko ein, ihren Glauben verändern zu lassen. Und dennoch können wir Antworten einer weiten und lebendigen Tradition anbieten. Wir tappen als Christinnen und Christen nicht im Nebel des völligen Unwissens.
Die Beschäftigung mit dem heiligen Gott, seiner Kirche mit den verschiedenen Seiten führt auf jeden Fall zur Anerkennung der Heiligkeit eines jeden Menschen als Ebenbild Gottes. In einer Welt, die aggressiver und gewaltbereiter zu werden droht, leisten Sie einen wichtigen Friedensdienst. Jeder Mensch ist heilig, unantastbar. Ich meine, dass die Begründung dafür im Letzten nur religiös gegeben werden kann. Der Mensch kann mir nur heilig sein, wenn er Abbild des ganz heiligen Gottes ist. Der Staat sollte ein Interesse daran haben, einen solchen Unterricht mit eigenem Standpunkt, der mehr ist als Information, zu fördern, auch deswegen, um Qualitätsstandards zu sichern, die einen theologisch –wissenschaftlich fundierten Unterricht gewährleisten. Noch am vergangenen Sonntag gab es in einem Gespräch in einer Gemeinde den Hinweis mangelnder Wertschätzung einer Schulleitung gegenüber dem Religionsunterricht. Wenn er ausfällt wird er nicht vermisst. Wir sollten zum einen durch Qualität überzeugen, und uns den prophetischen Hinweis erlauben, dass eine Schule, die die Dimension des Heiligen den Kindern und Jugendlichen vorenthält, diese im Letzten um das Nachdenken über eine wesentliche Dimension ihres Lebens betrügt. Es muss auch im schulischen Kontext die Beschäftigung mit dem geben, was das Leben heilig macht.
Ich danke Ihnen für Ihre Bereitschaft und den Mut, diesen Dienst zu leisten. Im Bistum Mainz werden wir Ihnen gerne hilfreich zur Seite stehen. Sie stehen für den Glauben an einen Gott ein, dem jeder einzelne Mensch und seine Welt heilig ist. Sein Segen möge Sie und die Ihnen anvertrauten Kinder und Jugendlichen begleiten.