„Weh mir, wenn ich das Evangelium nicht verkünde"

Predigt von Bischof Peter Kohlgraf beim Pontifikalamt anlässlich des 40jährigen Priesterjubiläums von Kardinal Gerhard Ludwig Müller

Datum:
So. 4. Feb. 2018
Von:
Bischof Peter Kohlgraf

Mainz-Finthen, Pfarrkirche Sankt Martin, 4. Februar 2018

Sehr geehrter, lieber Herr Kardinal Müller,
liebe Festgemeinde hier in Finthen!

„Weh mir, wenn ich das Evangelium nicht verkünde" – so lesen wir im 1. Korintherbrief des Apostels Paulus (9,16). Diese Aussage ist sehr treffend anlässlich des heutigen Jubiläums, das wir gemeinsam feiern: 40 Jahre Priester, aber natürlich auch den Dank für den 70. Geburtstag Ende 2017.

Paulus kann gar nicht anders, als das Evangelium zu verkünden, weil er Christus persönlich erfahren hat. Christus ist ihm begegnet. Wir kennen die Szene, wie aus dem Christenhasser und –verfolger der Zeuge Jesu Christi wird. Aus persönlicher Erfahrung wird Paulus ein glühender Verkünder. Lieber Herr Kardinal, wir feiern diesen Gottesdienst in Mainz-Finthen, Ihrer Heimat. Für die Berufungsgeschichte wird dieser Ort sehr bedeutsam sein. Berufung wächst in Begegnung und Beziehung. Vielleicht sind Ihnen in den vergangenen Wochen Menschen durch den Kopf gegangen, die Ihnen Christus erfahrbar gemacht haben: im Elternhaus, in der Familie, in dieser Gemeinde. Wenn wir für 40 Jahre Priestertum danken, erinnern wir uns auch dankbar an die Menschen, die eine solche Berufung ermöglicht haben. Sie, Herr Kardinal, haben Christus anders als Paulus erfahren, aber die Ursprünge hier haben Ihnen Christus so nahe gebracht, dass Sie sich auf den Weg gemacht haben, ihn zu verkünden. Ein Jubiläum wie heute soll uns, die wir mitfeiern, ermutigen, selbst ein Umfeld zu schaffen, in dem Berufungen wachsen können, in dem junge Menschen die Erfahrung machen können, dass Glaube etwas Wunderbares ist, ein Fundament, das trägt. Das wird nur dort gelingen, wo Menschen diesen Glauben überzeugt leben, wo eine Offenheit für Gottes Ruf auch in unserer Zeit da ist. Unsere Feier heute soll uns neu Mut machen, dem Evangelium Raum zu geben, es zu leben, täglich neu im Gebet und Gottesdienst Herz und Verstand für Gottes Ruf zu öffnen.
Das Evangelium des Paulus ist klar und einfach: Jesus ist unser Herr (vgl. 1 Kor 9,1). Das ist Ihr Wappenspruch. Dass Paulus den Ruf Christi gehört und seine Barmherzigkeit erfahren hat, ist bei ihm nicht ohne Konsequenzen geblieben. Christus bestimmt sein Leben. Wenn Jesus der Herr ist, hat er einen Anspruch an uns. Nicht mehr ich lebe dann, Christus lebt in mir, so beschreibt Paulus seine Beziehung zum Herrn (Gal 2,20). Glaube ist kein Freizeitvergnügen, sondern ist etwas Verbindliches, und ist schließlich konsequenzenreich. Wenn Paulus heute in unsere Zeit und in unsere Kirche käme, würde er uns daran erinnern. Er würde uns fragen, ob es uns in unserer Verkündigung wirklich um Christus geht, den Mensch gewordenen Sohn Gottes. Ob wir bereit sind, alle Facetten des Evangeliums, Jesu Anspruch auf Nachfolge, seinen Ruf zur Umkehr, seine Klarheit ebenso zu akzeptieren wie die Zusage der Barmherzigkeit und der Liebe Gottes. Er würde uns daran erinnern, dass wir Christus, den Gekreuzigten verkünden, der uns so sehr geliebt hat und liebt, so dass wir nicht daran vorbeikommen, selbst Position zu beziehen. In der Nähe des Paulus würden wir vielleicht schmerzlich erkennen, wie sehr wir uns manchmal einen Glauben und einen Jesus konstruieren, der zu uns passt. Nicht wir passen unser Leben Jesus, dem Herrn an, sondern er wird uns passend gemacht. Paulus hat sich mit seiner Radikalität, d.h. seiner kompromisslosen Verwurzelung in Christus nicht nur Freunde gemacht. Sie, lieber Herr Kardinal Müller, hat Ihr Berufungsweg nach der Priesterweihe schnell in die theologische Wissenschaft, in Forschung und Lehre, geführt. Sie haben bei Karl Lehmann promoviert und sich habilitiert. Die Themenpalette, mit der Sie sich beschäftigt haben, ist breit: Dietrich Bonhoeffer und seine Sakramententheologie, die Gemeinschaft und Verehrung der Heiligen, die Eucharistie, ein grundlegendes Werk über die Dogmatik, d.h. den Glauben der Kirche, über die Armen und die Armut, zuletzt ein großes Buch über das Papstamt. Über 400 Publikationen zeugen von Ihrer theologischen Arbeit. Viele nehmen nicht nur den Fleiß mit Staunen und Respekt wahr, sondern auch die Haltung, die sich in Ihrer Theologie zeigt. Es ist eine Theologie, die Glauben und Verstehen gleichermaßen fördern und befruchten will. Es geht Ihnen um „Aneignung", dass Glauben in Fleisch und Blut übergeht und so zu einer Lebenshaltung wird. Die Wahrheit, die Christus ist, bleibt so keine wissenschaftliche Theorie, sondern eine Haltung, ein Weg, ein Wachsen, eine Beziehung zu einer Person. Christus lebt als Auferstandener in seiner Kirche, in dieser konkreten Kirche, er begegnet in den Sakramenten, er begegnet in der gelebten und lebendigen Tradition. Wenn wir heute nach Reformen in der Kirche fragen, können diese nur aus dem Strom dieser Glaubensüberlieferung und in Rückbindung an die Wurzeln unserer Kirche erfolgen. Daran erinnern Sie in Ihrer Theologie und Verkündigung.
Lieber Herr Kardinal, liebe Festgemeinde, ich bin überzeugt, dass die Etiketten „konservativ" oder „progressiv, liberal", die uns in der Kirche oft verpasst werden, nicht helfen. Schauen wir etwa in die Zeit des II. Vatikanischen Konzils, waren die innovativsten Theologen diejenigen, die aus dem ältesten Schatz der Kirchenväter, also der Theologen der ersten Jahrhunderte schöpften. Darin fanden sie Vorbilder, die eine Theologie geschenkt haben, die ganz aus der Kenntnis der Schrift gespeist ist, aber gleichzeitig offen für die Themen der Zeit war: eine gläubige, betende, kenntnisreiche und vernünftige Theologie. Eine Theologie, die „die Zeichen der Zeit" wahrnahm, und sie im Licht des Evangeliums deutete (Vgl. GS 4). Das fordert das Konzil auch von uns. Wir bemühen uns heute sehr um das Verstehen unserer Zeit, dann darf aber auch nicht zu kurz kommen, diese Zeit ins Licht des Evangeliums und der gelebten Glaubenstradition zu halten; dann darf auch nicht zu kurz kommen, dass wir uns bemühen, den Willen Gottes für unsere Zeit zu verstehen. Daraus kommen dann die Maßstäbe für einen Weg der Kirche in die Zukunft. Wer die Kirche von dieser Tradition löst, und nur im Hier und Heute nach Antworten sucht, sieht irgendwann den „Wald vor lauter Bäumen" nicht mehr. Dass Reform verankert sein muss in diesem großen Strom gelebten Glaubens, das aber nicht nur in der geistlosen Festschreibung der Vergangenheit, daran erinnern Sie in Ihrer Theologie. An diesem Maßstab messen Sie, lieber Herr Kardinal, die verschiedenen Strömungen in der Kirche. Bequemer sollten es sich wir alle nicht machen.
Ihr priesterlicher Dienst, Ihr Dienst als Professor und Bischof nährt sich aus der Feier der Eucharistie. Christus nimmt uns hier in seine Beziehung zum Vater hinein, so haben Sie einmal geschrieben (Die Messe, Augsburg 2002, S.11). Die Eucharistie ist die sakramentale Begegnung mit Christus, sie macht uns ihm ähnlich, sie macht uns zur Gemeinschaft der Kirche. Ein Priesterjubiläum erinnert uns an das Kostbarste, was wir als Kirche haben, tatsächlich das „Allerheiligste". In Ihrer Biographie wird schnell deutlich, dass Eucharistie nicht getrennt werden darf vom Einsatz der Kirche für die Armen. Zwischen 1988 und 2002 haben Sie jeden Sommer in verschiedenen südamerikanischen Ländern seelsorgerisch mitgearbeitet. Die Lebensverhältnisse der verarmten Bevölkerung und die herrschenden sozialen Unterschiede sind Ihnen nicht nur theoretisch bekannt. Sie haben immer wieder ermahnt, die Armen im Handeln der Kirche nicht zu vergessen. Liturgie und Diakonie gehören untrennbar zusammen. Wenn wir über die Zukunft der Kirche nachdenken, liegt darin eine unverzichtbare Einsicht. Daran erinnert uns Ihr priesterlicher Dienst.
Verehrter Herr Kardinal, noch Vieles wäre zu sagen, was einen Predigtrahmen sprengt. In einem Interview haben Sie sich gegen einen Personenkult gegenüber kirchlichen Würdenträgern ausgesprochen. Es geht um Christus und sein Evangelium. Ihn stellen wir in die Mitte, wenn wir heute gratulieren und Danke sagen. Er hat Sie und uns berufen, er möchte, dass wir ihm folgen, seine Nähe dürfen wir feiern und bezeugen. Wir gratulieren Ihnen sehr herzlich, wünschen Ihnen Gottes Segen. Im Letzten aber danken wir Gott, dass er Sie und uns alle berufen hat, „vor ihm zu stehen und ihm zu dienen" (II. Hochgebet).