Vor kurzem durfte ich meine Antrittsvorlesung an der Johannes-Gutenberg-Universität anlässlich meiner Bestellung zum Honorarprofessor halten. Für die Auszeichnung danke ich sehr. Die Vorlesung gab mir die Gelegenheit, mich mit dem kirchlichen Auftrag der Evangelisierung zu beschäftigen.
Es ist der zentrale Auftrag des Auferstandenen an seine Kirche, das Evangelium zu allen Völkern zu tragen. Doch wie kann das gehen? Ich habe vor zu einfachen und plakativen Antworten gewarnt. Es braucht viele Wege, viele Methoden und eine Grundhaltung, die den anderen Menschen ernst nimmt. Evangelisierung kann nur dort wirksam werden, wo Menschen sich in ihren Fragen, Hoffnungen und Sorgen ernst genommen fühlen. Die Auffassung, die mir auch begegnet, man müsse den Menschen den Glauben und seine Inhalte nur besser erklären, verdächtigt die Gesprächspartnerinnen und -partner der Dummheit: Sie könnten es verstehen, man müsse es nur verständlicher erklären.
Ich verstehe gut, dass manche diese Linie seitens der Kirche als anmaßend empfinden. Auch Moral wird nicht dadurch lebbarer, dass man sie nur einfacher oder intensiver erklärt. Die Begründungsmuster müssen überzeugen, und daran scheitert es oft, nicht an der Erklärung. Auch Strukturen sind kein Selbstzweck, und doch muss es der Kirche um Glaubwürdigkeit gehen. Glaubwürdige Strukturen sind keine Nebensache. Natürlich müssen Struktur, Form und Inhalt übereinstimmen. Schon die Kirchenkonstitution „Lumen Gentium“ beschreibt in Kapitel 8 die Notwendigkeit der Übereinstimmung zwischen der äußeren Gestalt der Kirche und ihrer inhaltlichen Botschaft.
Ich glaube, dass uns heute nicht die großen Strategien der Glaubensweitergabe helfen, sondern die persönliche Glaubwürdigkeit der einzelnen Menschen in der Kirche, der Verantwortlichen und auch aller anderen, die den Glauben in dieser Zeit anbieten. Und da stoße ich nicht nur auf taube Ohren. Das Evangelium ist vielfältig. Es ist Zuwendung zum Menschen, es ist eine Botschaft klarer Orientierung, es will nicht verurteilen, sondern einladen, in die Dynamik des Reiches Gottes „einzusteigen“. Das geht ohne Glaubensgemeinschaft nicht, deswegen kann ich die Kirche auch nicht trennen vom lebendigen Glauben und dem persönlichen Glaubenszeugnis. Die letzte Kirchenmitgliedschaftsuntersuchung hat eindrucksvoll beschrieben, dass persönlicher Glauben und das Eingebettetsein in eine Gemeinschaft nicht voneinander zu trennen sind. Der Auftrag zur Weitergabe des Evangeliums bleibt zentral. Begnügen wir uns jedoch nicht mit einfachen Konzepten und Methoden, die von verschiedenen Seiten kommen. Wir werden weiter um die rechten Wege ringen müssen.
// + Bischof Peter Kohlgraf
Peter Kohlgraf ist Bischof von Mainz. Einmal im Monat schreibt er die Kolumne „Perspektiven“ für das Magazin "Glaube und Leben".