Wir spüren, dass jede Macht über andere Menschen mit scheinbarem göttlichem Anspruch hochproblematisch ist.

Predigt von Bischof Peter Kohlgraf beim Abendlob im Advent Dom zu Mainz, 1.Adventssonntag, 2. Dezember

Texttafel Predigt 2 Dezember (c) Bistum Mainz
Datum:
So. 2. Dez. 2018
Von:
Bischof Peter Kohlgraf
„Da stand Elija auf, ein Prophet wie Feuer, sein Wort brannte wie eine Fackel. (…) Wie wurdest du verherrlicht durch deine Wunder! Wer wird sich gleich dir rühmen können?“ (Sir 48,1,4).

Noch Jahrhunderte später spricht man in Bewunderung und Staunen über den Propheten aus Tischbe in Gilead, der im 9. Jahrhundert vor Christi Geburt gewirkt hat. In der jüdischen Überlieferung gilt er als „Offenbarer jeder Art von Geheimnissen und Bote zwischen Himmel und Erde“ (Günther Stemberger, LThK³ Bd. 3, 596). Auch im Neuen Testament gilt er als Nothelfer, seine erwartete Ankunft kündigt das Ende der Zeiten an. In Judentum und Christentum erfährt er über Jahrhunderte Verehrung und Bewunderung. Tatsächlich zeigen ihn die Geschichten aus seinem Leben im Ersten Buch der Könige als Wundertäter, der im Auftrag Gottes Unvorstellbares bewirkt. Das Hauptthema seines Lebens ist der Ruf zur Abkehr von den Götzen, also den selbsternannten Göttern, den Naturgottheiten, dem Fruchtbarkeitskult des Baal, und die erforderliche Hinwendung zu dem einen Gott, der über allen Göttern steht. Seine Predigt wird begleitet von Machttaten. Auf sein Geheiß hin bleibt über lange Zeit der Regen aus. Wie ein Donnerschlag sind seine ersten überlieferten Worte: „So wahr der HERR, der Gott Israels, lebt, in dessen Dienst ich stehe: in diesen Tagen sollen weder Tau noch Regen fallen, es sei denn auf mein Wort hin.“ Tatsächlich bleibt der Regen aus, über das Land kommt eine schlimme Hungersnot, während Elija von Gott mit Hilfe der Raben Brot und Fleisch erhält und Wasser aus dem Bach trinken kann (1 Kön 17,1-7). In Sarepta begegnet er einer Witwe, die mit ihm das Essen teilt, und das sich beim Teilen vermehrt. Er kann ihren an einer schweren Krankheit verstorbenen Sohn vom Tod ins Leben zurückholen. Seine ärgsten Feinde sind König Ahab und dessen Frau Isebel, die den Götzenkult fördern und rücksichtslos die Armen im Lande unterdrücken und ausbeuten. In einer dramatischen Szene auf dem Berg Karmel kommt es zu einer Entscheidung zwischen den Priestern des Baal und Elija. Das Volk muss sich entscheiden: „Wie lange noch schwankt ihr nach zwei Seiten? Wenn der HERR der wahre Gott ist, dann folgt ihm! Wenn aber Baal es ist, dann folgt diesem! Doch das Volk gab ihm keine Antwort“ (1 Köln 18,21). Sowohl die Baalspriester als auch Elija legen ein Brandopfer auf einen Altar, beide Parteien rufen ihren Gott an, der Feuer vom Himmel schleudern soll, das den Scheiterhaufen zum Brennen bringen soll. Die Baalspriester rufen, tanzen, singen bis zur Erschöpfung – es passiert nichts. Elija ruft einmal zum HERRN, und es kommt ein Feuer, das alles verzehrt. Elija lässt im Rausch des Erfolgs die Priester des Baal erschlagen.
Verweilen wir an dieser Stelle ein wenig. Für Elija und seine Botschaft läuft es gut. Er predigt, Gott unterstützt ihn, er brennt in Leidenschaft für diesen einen Gott, der ihn gepackt hat. Der Name Gottes ist Macht, Erfolg, Kraft, Feuer, Sieg. Ich stelle mir vor, dass Elija von einem inneren Feuer gepackt war, und ihn seine Erfahrungen mit diesem mächtigen Gott auf der Welle des Erfolgs mitreiten lassen. Er steht erfolgreich mit seiner Botschaft da, das Volk muss ihm folgen, schon aus Schrecken und Angst vor diesem unbesiegbaren Gott und seinem Propheten. Mit diesen Erfahrungen im Gepäck ist es leicht möglich, dem König und seiner Frau zu trotzen. Gott ist mit ihm, der Erfolg belegt das.
Doch die Geschichte geht weiter. Isebel, die Königin, erfährt vom Mord an den Baalspriestern. Sie droht Elija den Tod an und lässt ihn verfolgen. Elija flieht in die Wüste. Dort packt ihn eine schlimme Depression. Er wünscht sich den Tod: „Nun ist es genug, HERR. Nimm mein Leben.“ (1 Kön 19,4). Ein Engel rührt ihn an und gibt ihm Brot und Wasser. Er fordert ihn auf, zu essen und zu trinken und sich auf den Weg zu machen. „Steh auf und iss! Sonst ist der Weg zu weit für dich“. Durch diese Speise gestärkt, wandert er 40 Tage durch die Wüste, bis er den Gottesberg Horeb erreicht. Dort macht er Gott bittere Vorwürfe, dass er es so weit hat kommen lassen, dass Elija flüchten musste. Elija vermisst den starken Gott des Feuers, der schlägt und siegt. Auf dem Horeb angekommen verbirgt er sich in einer Höhle. Er sucht Geborgenheit, Sicherheit, die Höhle erinnert ein wenig an den Schoß der Mutter. Neben die Erfahrung der Macht tritt nach der Verzweiflung die Erfahrung, ganz geborgen zu sein. Die Dichterin Hilde Domin greift dieses Bild auf: „Gott, geheimnisvolle Höhle, in der wir immer schon wohnten, und wussten es nicht.“ Tatsächlich erfährt Elija Gott als bergende Höhle, als Schutz, der immer mit ihm ist, besser gesagt, in dem er sich immer schon geborgen wissen durfte.
Bei dieser Erfahrung bleibt es nicht. Gott ruft ihn aus der Höhle heraus (1 Kön 19,11-13). Zuerst zieht ein Sturm vorbei, dann kam ein gewaltiges Erdbeben, danach ein Feuer. Und Elija begreift: Gott zeigt sich hier weder im Sturm, noch im Feuer, noch im Erdbeben. Am Ende erfährt er Gott im „sanften, leisen Säuseln.“
Elija muss Gott in diesen vielen Erfahrungen kennenlernen, bevor er die Auseinandersetzung mit Ahab wieder aufnehmen kann: Gott als Macht und Sieg, Gott als der Ferne und Abwesende, der Dunkle und Unbegreifliche, Gott, der Nahrung gibt auf dem Weg durch die Wüste, Gott, die bergende Höhle, Gott, der sich im leisen Hauch zeigt, sanft, kaum zu spüren. In diesen starken Bildern zeigen sich Glaubenserfahrungen, die bis heute berühren. Was sie verbindet, ist die Tatsache, dass Gott für Elija immer das „Du“ war und geblieben ist, ein Gegenüber, das ihn gepackt hat und ihn über die Etappen seines Weges begleitet.
Gott mit Macht und Erfolg zu verbinden, ist hochproblematisch. Das Thema begleitet die Kirche seit ihren Anfängen. In den ersten Jahrhunderten werden Christen verfolgt und sind eine oft unterdrückte Minderheit. Liest man Predigten dieser Zeit, erinnern sich die betroffenen Gemeinden gerne an ihren leidenden und misshandelten Herrn, in dessen Nachfolge sie sich erfahren. Gerade die Machtlosigkeit sehen sie als Beleg für die Echtheit der Nachfolge. Das wendet sich, als sich die Kirche im 4. und 5. Jahrhundert mit der weltlichen Macht verbandelt. Die Zahl der Gläubigen wächst, nicht zuletzt auch durch politische Unterstützung. Christentum wird zur Weltreligion. Es gibt nicht wenige Prediger, die nun den äußeren Erfolg als Beweis der Macht Gottes beschreiben. Ähnlich wie Elija, der die Baalspriester erschlagen lässt, ziehen Christen im 4. Jahrhundert los und zerschlagen heidnische Tempel, etwa in Alexandrien. Plötzlich wird der politische Erfolg zum Gottesbeweis. Tatsächlich kann man die Geschichte des Christentums als Erfolgsgeschichte lesen. Man kann versucht sein, darin die Macht Gottes zu sehen, dessen Wahrheit sich eben durchsetzt. Und heute reden manche wieder von einem christlichen Abendland, das sich auch durch politische Machtkategorien auszeichnet. Wir werden uns wohl ähnlich wie Elija wundern. Gott lässt sich nicht durch menschliche Machtkategorien instrumentalisieren. Wir müssen neu lernen, dass Erfolg keiner der Namen Gottes ist. Wenn Menschen ihre Machtansprüche mit Gott begründen, wird es gefährlich. Das ist ein hochaktuelles Thema. Wir reden heute aus aktuellem Anlass über klerikalistische Verhaltensweisen. Wir spüren, dass jede Macht über andere Menschen mit scheinbarem göttlichem Anspruch hochproblematisch ist. Auch heute neigen wir dazu, göttlichen Einfluss mit statistischem Erfolg, mit Zahlen, politischem Einfluss und pastoralen Erfolgsmeldungen zu belegen.
Allerdings ist die Zeit vorbei, in der wir als Kirche auf der Welle des Erfolgs schwimmen. Die Reaktion des Elija kenne ich und kennen viele von uns. Wir setzen uns hin uns sind verzweifelt. Die Erfolgslosigkeit, die Wüstensituation muss man erst einmal akzeptieren. Wir sind Gottes Ruf gefolgt, wir haben uns in seinen Dienst gestellt, und dann bleiben die äußeren Erfolge aus. Die Zahlen gehen zurück, der Einfluss ist nicht wie erhofft, die Leute tun, was sie wollen, die Ressourcen werden weniger, und die Kirche wird angefragt und kritisiert wie wohl noch nie. In welcher Situation ist Gott dem Elija, ist Gott uns, seiner Kirche näher? Er ist immer dabei, doch er führt den Propheten auf einen Lernweg, dass der Erfolg nicht der einzige Ort seiner Gegenwart ist.
Gott stößt ihn an zum Weitergehen, und er gibt die notwendige Nahrung. Wir stehen im Bistum – wie in allen deutschen Diözesen auch – am Anfang eines pastoralen Weges. Nach einer langen Zeit scheinbarer Sicherheiten sehen wir, dass vieles nicht mehr tragfähig ist. Wir können uns wie Elija hinsetzen und uns bedauern. Helfen tut dies nicht, auch wenn es verständlich ist. Wir müssen weitergehen mit der Nahrung, die er uns gibt. Und die haben wir im Gepäck: sein Wort, seine Sakramente, seine Verheißungen und die Gemeinschaft der Glaubenden, in der er gegenwärtig bleibt. Wir werden den Weg nicht gehen können, wenn wir diese Nahrung nicht stärker zu schätzen lernen. Wir müssen wie Elija Gott selbst als Nahrung neu entdecken, das DU, die Leidenschaft für ihn. Worüber diskutieren wir? Über Strukturen, über Geld, über Gewohnheiten und vieles andere. Unsere Leidenschaft muss Gott selbst werden. Wenn wir ihn nicht zu unserem Thema machen, sind alle weiteren Debatten überflüssig. Geld und Gebäude, Gewohnheiten und menschliche Sicherheiten können nicht wichtiger sein als die Frage nach dem Gott, den wir zu bezeugen haben. Ich wünsche mir, dass uns das im Bistum gelingt, sonst unterscheiden wir uns nicht von den Götzendienern, gegen die Elija zu Felde gezogen ist.
Auf dem Weg brauchen wir die Höhle, die Erfahrung eines bergenden Gottes. Unser Weg darf nicht nur von Aktionen und Diskussionen geprägt sein, sondern es muss Glaubenserfahrungen geben, in denen wir uns diese bergende Nähe Gottes schenken lassen. Wir sollen einander stützen und tragen, bergen und behüten. Wenn uns aktuelle Fragen zwingen, über eine Kultur der Achtsamkeit nachzudenken, stellen wir die richtigen Fragen. Auf der Jugendsynode in Mainz, bei der ich mit 180 Jugendlichen diskutieren konnte, waren Gottesdienste, die solche bergenden und lebensnahen Erfahrungen ermöglichen, ein zentrales Thema – und das nicht nur für Jugendliche. Ich wünsche mir, dass wir Gottesdienste feiern, die uns eine ganz starke Erfahrung der Nähe Gottes schenken.
Gott begegnet Elija im leisen Hauch. Elija lernt, dass das Medium der Verkündigung nicht nur die Gerichtspredigt sein kann. Die Erfahrung des starken Gottes geht in die Erfahrung des leisen, stillen, wehrlosen und liebenden Gottes über. Elija geht in den Alltag zurück, der im Einsatz für die Armen besteht. Ein weihnachtlicher Gedanke kündigt sich an. Gott, der Mensch wird, ist wie der leise Hauch, den man, wenn man nicht aufpasst, nicht bemerkt. Elija lernt die Liebe und den Dienst am Armen im Volke Gottes. Mit Elija werden wir in die Sendung zu den Menschen hineingenommen, besonders zu den Menschen, die im Dunkeln leben und auf den leisen Hauch der Berührung durch Gottes Liebe warten. Am Ende seines Wirkens zeigt sich Gottes Allmacht und Kraft in der Liebe. Die Frage, wozu Kirche heute da ist, beantwortet Elija damit deutlich. Es geht nicht um Einfluss und Macht als Zeichen der Gegenwart Gottes, sondern um die stille und ausdauernde Verwirklichung des Einsatzes für die Menschen im Namen Gottes – das ist unser Auftrag heute. Und dann kann ich akzeptieren, dass manches verloren geht, auch politischer Einfluss.
Eine große Bandbreite an Gotteserfahrungen sehen wir im Leben des Propheten Elija: Macht, Verzweiflung, Geborgenheit, Stille, Liebe. In allen zeigt sich Gott als das liebende und leidenschaftliche „Du“. Ohne leidenschaftliche Antwort auf seinen Ruf geht es für uns nicht. Elija zeigt Wege, für Gott und seinen Anspruch einzustehen. Er bewegt und rüttelt auf – bis heute. Viele Götzen treten heute an Gottes Stelle, auch in der Kirche: Besitz, Macht, Gewohnheiten und vieles andere. Beten wir um die Erfahrung, dass Gott uns Nahrung gibt auf diesen Wegen in die Zukunft,  denn ohne sie ist der Weg zu weit für uns.