Wort des Dankes

am Ende des Festaktes in der Rheingoldhalle zu Mainz anlässlich der Feier des 80. Geburtstages und der Beendigung des Dienstes als Bischof von Mainz am 16. Mai 2016

Karl Kardinal Lehmann, Bischof von Mainz

Meine sehr verehrten Damen und Herren,
liebe Schwestern und Brüder im Herrn!

Am meisten zählt heute der Dank. Wenn man überhaupt zurückblickt und den fast selbstverständlichen Gang der täglichen Dinge unterbricht, dann steht an erster Stelle der Dank an Gott, der mich bis heute in meinem Leben immer behütet hat. Dazu gehört auch ein dankbares Gedenken an meine Eltern, denen ich mich für alles, was sie gerade für Schule und Bildung getan haben, im Laufe der Jahre immer mehr zu Dank verpflichtet fühlte. Ebenso gilt dies den Familien meiner Eltern, zahlreichen Lehrern auf allen Ebenen, den Seelsorgern, den Freunden, den vielen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern dieser Jahre, den bosnischen Ordensschwestern im Bischofshaus, den Fahrern und der Sorge für sicheren Schutz.

Heute habe ich besonders zu danken all denen, die nicht nur so zahlreich zu uns nach Mainz gekommen sind, sondern all denen, die auch das Wort ergriffen haben, sowohl heute Morgen im Dom als auch jetzt in dieser Feierstunde. Erlauben Sie mir, dass ich nur wenige Namen nenne: Herrn Apostolischen Nuntius Erzbischof Dr. Nikola Eterović, Herrn Präsident Martin Schulz, Herrn Professor Dr. Thomas Söding, den Vorsitzenden der Deutschen Bischofskonferenz: Reinhard Kardinal Marx, den Kirchenpräsidenten der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau: Dr. Volker Jung, Frau Dr. Hildegard Dziuk für das Bistum und die Diözesanen Räte, Herrn Oberbürgermeister Michael Ebling von der Stadt Mainz. Ich freue mich, dass mein Doktorvater Weihbischof Prof. P. Dr. Henrici SJ unter uns ist.

Besonders danke ich Frau Barbara Hahlweg, Moderatorin im ZDF, für ihre charmante Begleitung dieses Festaktes. Schließlich danke ich sehr herzlich allen Damen und Herren der Presse, besonders auch den Fernsehteams des SWR beim Gottesdienst und von Phönix in diesem Festakt. Nicht vergessen möchte ich die Musik und die Chöre, die mir in der ganzen Mainzer Zeit, besonders im Dom, sehr große Freude bereitet haben.

Ein herzliches Vergelt’s Gott sage ich allen Brüdern und Schwestern im Bistum Mainz. Ich danke Ihnen, dass Sie mich so lange ertragen und auch großzügig über Fehler und Versagen hinweggesehen haben. Ich danke meinem verehrten Vorgänger, Hermann Kardinal Volk, den sechs Weihbischöfen meiner Zeit von Josef Maria Reuß bis zu Udo Markus Bentz, den drei Generalvikaren, besonders Prälat Dietmar Giebelmann sowie den drei Domdekanen Hermann Berg, Wolfgang Rolly und nun Heinz Heckwolf mit dem ganzen Domkapitel und dem Domstift. Nicht zuletzt danke ich allen Priestern, Diakonen und Laien im pastoralen Dienst. Ich bedanke mich auch bei Ihnen allen für Ihr Mitfeiern an diesem Pfingstmontag.

Was ist mir auch an diesem Tag im Blick auf die vergangenen Jahrzehnte und die vor uns liegende Zukunft wichtig? An Pfingsten treibt uns besonders die Frage der Einheit in Kirche und Welt um. Wir stoßen täglich auf unfruchtbare Auseinandersetzungen und eitle Rivalitäten. Es kann nicht um eine gleichförmige Einheit gehen, die alle zusammenzwingen möchte. Aber die bunte Vielfalt muss auch stets auf der Suche nach Zusammengehörigkeit bleiben. Jemand hat dies einmal mit der Kurzformel „Einheit durch Vielfalt“ zum Ausdruck gebracht (O. Cullmann). Wir sind alle mehr als sonst auf dieser Suche.

Besonders möchte ich im Einzelnen folgende grundsätzliche Anliegen meines Dienstes nennen:

  • Menschenbild: Unter den vielen Fragen, die das Verständnis des Menschen von sich selbst betreffen, nenne ich zunächst die Reichweite des menschlichen Erkennens und Strebens. Wir leben in vielen Welten, manche auch im Sinne einer „virtuellen Realität“, aber oft verdrängen wir den Hunger nach einem Sinn, der uns wirklich erfüllt und auch in schwierigen Situationen trägt. Die Welt des Menschen schließt sich aber nicht so schnell über unseren Köpfen, wie wir oft meinen. Wir übersteigen immer wieder uns selbst und lassen uns nicht durch Ideologien und Utopien, Triebe und Drogen gefangennehmen. Auch der endliche Geist des Menschen überschreitet sich immer wieder bei seinem Suchen. Deswegen müssen wir beständig dem Menschen den Bereich dessen, was wir Transzendenz nennen, erschließen. Es gibt dabei viele Vornamen für Gott, wie z.B. die Suche nach Gerechtigkeit, Wahrheit und Schönheit, unzerstörbaren „Werten“ und ungeheuchelter Liebe. Dazu gehört auch, dass wir nicht so leben, als ob wir keinen Anfang und kein Ende, auch kein Ziel hätten, es einfach endlos so weitergehe. Vieles auf diesem Weg des Menschen zu einer Erfüllung seiner tiefen Sehnsucht ist verschüttet. Die Religion braucht hier Bundesgenossen, wie das Denken und die Kunst, um den vollen Reichtum des Menschlichen und damit auch des Heiligen wieder zu entdecken.
  • Theologie: Mein Leben ist schon früh bis heute bestimmt durch die denkende Erschließung des christlichen Glaubens, zu dem auch das Judentum gehört. Dabei hat die Theologie nicht nur den Buchstaben und das Wort als Quellen, sondern viele Glaubensgehalte werden erst verständlich im Bild, in der Musik, im Gebet und in der Schöpfung. Von Anfang an braucht gerade der christliche Glaube die theologische Reflexion. Wir wollen unseren Glauben öffentlich begründen und auch durch Argumente verteidigen. Wir haben keine Angst vor geistigen Auseinandersetzungen. Wir brauchen Mut freilich nach allen Dimensionen und wollen uns redlich den Anfragen unserer Zeitgenossen stellen. Wir wissen um Fehler und Irrwege, zu denen wir uns verleiten ließen. Wir wissen, gerade wenn wir Zeugen Gottes in dieser Welt sein wollen, auch um Verdunkelungen, die auf uns selbst zurückgehen. Wir müssen von Gott so reden, dass er wirklich ein Geheimnis bleibt. Wir bleiben im Gespräch mit anderen Religionen, verteidigen dabei aber ganz besonders die personale Freiheit des Menschen und die Menschenwürde, nicht zuletzt die Religionsfreiheit für alle. Ich bin Thomas Söding dankbar, dass er am Beispiel meines theologischen Schaffens darauf hingewiesen hat.
  • Ökumene: Ich bin in einer Gegend, die fast ganz katholisch bestimmt war, aufgewachsen. Aber zwei Dinge haben mich auch schon ganz früh auf das Elend der getrennten Christen und die Notwendigkeit ihrer Einigung hingewiesen: die Not vieler „Mischehen“, wir sagen heute besser konfessionsverbindender Ehen, und die Nähe von Christen verschiedener Konfessionen in Krieg und Widerstand während der NS-Zeit. Alfred Delp und Dietrich Bonhoeffer haben mich zugleich fasziniert. Als ich ab 1968 in eigener Verantwortung Theologie zu lehren begann, hat der Auftrag Jesu Christi, dass wir alle eins seien in ihm, mein theologisches Suchen und Forschen nachhaltig bestimmt, ohne dass ich an der Beheimatung meines Glaubens in der eigenen Kirche zweifelte. Diese ökumenische Grundeinstellung habe ich auch als Bischof bewahrt, konnte sie in vielen Gesprächen und Gremien fruchtbar machen und möchte auch künftig in diesem Sinne weiterarbeiten. Dabei müssen heute Müdigkeit und Gleichgültigkeit in der Ökumene überwunden werden. Wir brauchen wieder neuen Schwung. Aber das Feuer glüht noch unter der Asche. Vielleicht verhilft uns das Reformationsgedenkjahr 2017 zu einem neuen frischen Aufbruch.
  • Europa: Ich gehöre einer Generation an, die, wenn auch als Kind, den Zweiten Weltkrieg noch recht hautnah erlebt hat. Wir hatten auf dem Land zwar kaum Zerstörungen und hatten immer zu essen, aber die Eindrücke und Bilder der zahlreichen Nächte, in denen wir Kinder aus dem Schlaf gerissen wurden und in den Bunker bzw. Luftschutzkeller verbracht worden sind, verfolgen mich noch immer. Aber wie es unter den Völkern Europas nach der jahrhundertelangen Selbstzerfleischung weitergehen sollte, das hat doch auch schon damals uns Jüngere beschäftigt. Es waren aber auch persönliche Erlebnisse. Zwei Brüder meiner Mutter, einer davon mein Taufpate, kamen nicht mehr aus dem Krieg zurück. Es war für uns ein großes Hoffnungszeichen, als namhafte und angesehene Politiker sich anschickten, ein neues gemeinsames Haus Europa zu bauen, allen voran Winston Churchill, der bereits 1944 in Zürich „Vereinigte Staaten von Europa“ in die Diskussion warf. Dass wir 70 Jahre – vom Balkan-Krieg Anfang der 90er Jahre abgesehen – in Europa keine kriegerischen Auseinandersetzungen größeren Stils hatten, war ungemein befreiend. Sicher mischten sich auch bald unangenehmere Töne in das Ganze: die manchmal kleinlich erschienene Brüsseler Bürokratie, die große Dominanz ökonomischer Interessen, die Uneinigkeit über eine Verfassung und eine Präambel dafür, schließlich die Auseinandersetzungen der letzten Zeit bis heute, die wir alle kennen. Dennoch ist dies vor dem Hintergrund unserer Geschichte ein reales und auch bleibendes Hoffnungszeichen, wie wir es nur erträumen konnten. Wir danken Ihnen, verehrter Herr Präsident Martin Schulz und Ihren Kollegen, dass Sie trotz so vieler Hindernisse an der Idee eines neuen Europa mit eindrucksvoller Überzeugungskraft und hohem Einsatz festhalten. Wir danken Ihnen für Ihr Kommen, Ihre Rede und wollen Sie gerne auch künftig nach Kräften unterstützen.
  • Bewahrung unserer Schöpfung und Solidarität mit den künftigen Generationen: Ich bin ein Bub vom Land, weiß, woher die Milch kommt und habe selbst über viele Jahre alle Arbeiten auf einem Bauernhof gemacht. Auch wenn ich später fast nur in Städten lebte, hatte ich doch ein tiefes Verhältnis zur Natur. Dies blieb bis heute. Als der „Club of Rome“ um 1970 uns mit einem Warnruf zur Erhaltung der Schöpfung aufweckte, bin ich sofort in meinen Vorlesungen zur Schöpfung intensiv darauf eingegangen. So hat mich, auch in der Ökumene und im Gespräch mit Parteien und Regierungen, das Thema der Solidarität mit der ganzen Schöpfung herausgefordert, auch im Blick auf den Erhalt der Vielfalt der Arten und der nichtlebendigen Natur. Deshalb haben mich zu gleicher Zeit und spätere Themen wie Klimawandel, Schonung der Ressourcen der Erde, Konsumismus und Änderung unseres Lebensstils beschäftigt. Es sind und bleiben auch Themen der nächsten Zukunft. Ich bin überzeugt, dass wir im Sinne einer Generationengerechtigkeit die Maßstäbe unseres Lebens überprüfen müssen. Glaube und Theologie geben uns eine große Ermutigung zur Beachtung dieser Sorge.
  • Abschiedliche Existenz  und ewiges Leben: Vieles, was uns heute Sorgen bereitet und was wir bereits angesprochen haben, zielt in die Richtung, dass wir in Geschwisterlichkeit und Solidarität mit dieser Welt und auch im Blick auf die Lebensbedingungen der Zukunft bescheidener leben. Ich spreche gerne von einer abschiedlichen Existenz und meine vor allem, dass wir gerade bei der Liebe zur Erde und erst recht zu den Menschen uns nicht verlieren dürfen in einem immer größeren Besitzstreben und uns nicht in die irdischen Dinge verkrallen dürfen. In diesem Sinne müssen wir alle damit leben, zu manchen Gewohnheiten und Gütern, die wir nicht so unbedingt brauchen, wie wir meinen, etwas in Distanz zu treten. In diesem Sinne gilt ein kleines Wort, das sich bei Meister Eckart und auch bei Martin Heidegger sowie bei manchen Weisen und Denkern findet: „Der Verzicht nimmt nicht, er gibt“. Wir wollen auch nicht, dass Worte wie „Sinn“ und „Gott“ absurde und unverständliche Begriffe werden. Was ist der Mensch, wenn er seine letzte Sehnsucht nach unverbrauchbarem Glück verliert?

Der Blick auf eine letzte Erfüllung unseres Lebens von Gott her nimmt uns nicht die Liebe zu den irdischen Dingen. Die christliche Besinnung auf ein ewiges Leben entleert das diesseitige Leben nicht durch falsche Träume über ein Jenseits, sondern macht dafür bereit, das sterbliche Leben ganz anzunehmen, ohne ihm jedoch zu verfallen. Es gibt für diese Dimension des ewigen Lebens ein großartig einfaches Wort von Madeleine Delbrêl: „Der Glaube ist der zeitliche Einsatz des ewigen Lebens: sind wir zeitlich genug?“

Diese Frage bleibt, sie ist gerade uns Christen gestellt. Wenn wir die darin liegende Verantwortung übernehmen, dann brauchen wir keine Sorge zu haben um die Zukunft von Christentum und Kirche in unserer Welt. Dann bin ich mit Leuten einig, die der Meinung sind, Christentum und Kirche hätten ihre Zukunft erst noch vor sich. Dies setzt voraus, dass wir mit dem wachen, nüchternen Blick auf die „Zeichen der Zeit“ die Kirche selbst immer überschreiten auf Gott und auf die Menschen hin. Hoffentlich kann uns dafür Papst Franziskus noch lange ein fruchtbarer Lehrmeister sein. Ihn grüße ich und danke für sein Wirken.