Sehr verehrter, lieber Herr Erzbischof,
liebe Mitbrüder im bischöflichen und priesterlichen Dienst,
Schwestern und Brüder,
„wie sich die Zeiten ändern…“: Vor 950 Jahren kam zur Weihe des Imad-Domes der Erzbischof des damals mächtigen Erzbistums Mainz in das zur Kirchenprovinz gehörende Suffraganbistum Paderborn. Heute – 950 Jahre später - kommt zum Jubiläum aus „dem einfachen Bistum Mainz“ ein Weihbischof ins „ehrwürdige Erzbistum Paderborn“, um das Domjubiläum mitzufeiern. Tja, „tempora mutantur, nos et mutamur in illis“ – die Zeiten ändern sich, und wir ändern uns in ihnen… Die Zeiten ändern sich tatsächlich in vielerlei Hinsicht, nicht nur im Blick auf die Bistumshierarchien – auch wenn wir Mainzer uns manchmal immer noch in der guten alten Zeit Mainzer Größe sonnen möchten...
Die Zeiten ändern sich für die Kirche. In der heutigen Zeit erleben wir einen so radikalen Gestalt- und Mentalitätswandel von Kirche wie wahrscheinlich schon lange nicht mehr. Kirche ist längst nicht mehr die festgemauerte und uneinnehmbare Burg, die den Stürmen der Zeit einfach nur trotzt, auch wenn manche sich so Kirche wünschen. Kirche ist nicht die Wehrburg gegenüber dem Heute. Die Kirche ist zuallererst eine Gemeinschaft von Menschen von heute – geeint durch die Taufe mit Christus. So ist sie Gottes Volk, als Volk Gottes auf dem Weg. Kirche pilgert duch Zeit und Geschichte. Und jede Generation dieses Gottesvolkes hat auf diesem Weg neue Herausforderungen zu meistern. Und in den seltensten Fällen in der Geschichte der Kirche hat das Gottesvolk diese Veränderungen und Herausforderungen freiwillig aufgegriffen. Zumeist wurden diese Herausforderungen vor allem und zuerst als Zumutungen erlebt. Zumutungen, denen man sich aber stellen musste und nicht ausweichen konnte, wollte man auf dem von Gott geführten Weg bleiben. Das erlebte das Volk Israel schon so. Das war früher so, als der Imad-Dom gebaut wurde. Das ist auch heute für die Kirche so. Da muss man nichts beschönigen. Die Geschichte des Paderborner Domes kann ein sprechendes Bild dafür sein.
Der Imad-Dom war bei seiner Weihe vor 950 Jahren bereits der vierte Kathedralbau. Selten bauten die Menschen aus freien Stücken ihren Dom um oder gar neu. Meist waren es verheerende Brände, die das bisherige Gotteshaus zerstörten. Solch ein Brand zwang auch Bischof Imad, den dann mittlerweile vierten Dom zu errichten. Aber auch dieser Dom sollte in der Geschichte Paderborns nicht der letzte sein. Man baute immer wieder neu und immer wieder anders. Wie stark musste der Glaube und das Vertrauen gewesen sein, dass Gott trotz der Zumutung von Zerstörung und Abbruch gegenwärtig blieb, so dass nicht Resignation um sich griff sondern eine geistliche Energie freigesetzt wurde, immer wieder ein neues Haus zu bauen und so Gottes Gegenwart im wahrsten Sinne des Wortes neu Raum zu geben. Vom Imad-Dom ist heute so gut wie nichts mehr erhalten. Doch in seinen Maßen, in seiner Ausrichtung und in seiner Konzeption ist er bis heute im gegenwärtigen Dom präsent. Es ist also mehr als würdig und recht, das Jubiläum dieses Imad-Domes zu feiern.
Lassen wir die Geschichte dieses Domes als Bild auf uns wirken: An der Kirche zu bauen und Kirche zu gestalten, geschah nicht „aus Lust und Laune“, sondern weil keine andere Wahl blieb! Zumutung blieb Zumutung. Wo aber diese Zumutung angenommen und die Sendung der Kirche neu in den Blick genommen wurde, da blieb die Kirche ihrer Sendung treu. Beim Neubau des Domes wussten sich die Menschen einerseits gebunden an die Vorgaben der Tradition, andererseits hatten sie die Chance entdeckt, neu auf Zukunft hin gestalten zu können! Das geht nur mit einem starken Vertrauen auf Gottes Geist und Gnade, dass ER den Weg weist und führt. Das zeigt uns: Kirche braucht den echten Willen zum Heute, der aber alles andere ist als eine opportunistische Anpassung der Tradition! Gottes Geist führt uns dabei in eine neue Zukunft.
Machen wir uns nichts vor: Auch die Veränderungen der Kirche unsrer Zeit geschehen nicht aus „Lust und Laune“ und nur, weil wir etwas anders machen wollen. Der Rückgang der Berufungen, vor allem der Rückgang der Gläubigen, die schwindende Relevanz des Glaubens und die damit einhergehenden Veränderungen in den Gemeinden werden von meisten von uns als eine „Zumutung“ erlebt. Wenn wir uns aber dieser „Zu-Mut-ung“ stellen und das Vertrauen auf Gottes Geist in uns stark machen, dann kann aus dieser Zumutung Mut werden! Der Mut nämlich und das Vertrauen, dass wir – gebunden an das Unveränderliche des Evangeliums und an die lebendige Tradition – wirklich auch Neues hervorbringen, das Gottes Wille entspricht.
Dabei ist aber auch eines klar: Wie der Imad-Dom schon der vierte Dom, aber längst nicht die letztendliche Gestalt des Paderborner Domes für alle Zeiten war, so wissen wir heute schon, dass unsere Antwort als Kirche auf die Herausforderung der Zeit heute keine Antwort auf „immer und ewig“ sein muss, sondern nur „für eine gewisse Zeit“ und nur für das nächste Stück des langen Pilgerweges der Kirche sein kann. Das entlastet. Das ermutigt aber vor allem.
Von der damals neuen Gestalt des Imad-Domes möchte ich ein vielsprechendes Detail aufgreifen: Während das Hauptportal beim Vorgängerbau im Westen lag, hat Bischof Imad den Hauptzugang nach Süden verlegt: der aufstrebenden Handelsstadt Paderborn zugewandt. Die neue Gestalt des Domes öffnete sich der profanen Lebenswelt. Eine neue Beziehung zwischen der Lebenswelt der Menschen und dem heiligen Raum Gottes war möglich. Lassen wir wiederum dieses Bild sprechen: Kirche als der ganz andere, nämlich als der heilige Ort inmitten der Lebenswelt der Menschen. Dieser Spannung von ausgespartem, heiligen Raum und alltäglicher Lebenswelt hat sich Kirche zu allen Zeiten zu stellen und darf sie nicht einseitig auflösen. Kirche gefährdet ihre Sendung, zieht sie ganz aus auf den Marktplatz. Sie gefährdet aber gleichermaßen ihre Sendung, zieht sich ganz in den Innenraum zurück. Kirche lebt mitten unter den Menschen und hat doch den ganz Anderen inmitten der Welt präsent zu halten. Deshalb steht die Frage im Raum: Leben wir als Kirche wirklich mitten unter den Menschen? Wie präsent sind wir an den Orten, an denen sich das Leben der Menschen heute ereignet? Treiben uns die Fragen, die die Menschen heute tatsächlich umtreiben, auch selbst um? Wo aber laufen wir Gefahr, den Glauben nur im eigenen, gesicherten Milieu leben und bezeugen zu wollen? Sich auf den Marktplatz hin zu öffnen ohne selbst zum Marktplatz zu werden – das bleibt für die Kirche immer eine der schwierigensten Aufgaben zu allen Zeiten!
Antwort darauf zu geben ist schwer. Und es werden viele Antworten darauf heute auch kontrovers diskutiert. Eine Grundhaltung scheint mir aber unverzichtbar zu sein: Wir werden diese Balance nur dann fruchtbar leben können, wenn wir als Christen das Unterscheidend Christliche des Evangeliums nicht einfach immer nur wie ein „Protestplakat“ vor uns hertragen, sondern wenn es uns geligt, immer zuerst auf das Gemeinsam-Verbindende des Christlichen mit allen Menschen zu schauen und dann aus diesem Bewusstsein des Gemeinsam-Verbindenden heraus das Unterscheidend-Christliche zu bezeugen.
Ein letzter Gedanke in aller gebotenen Kürze: Außer einem Stück Außenmauer ist über der Erde vom Imad-Dom heute fast nichts mehr erhalten. Umso wertvoller ist die Marienskulptur aus der Zeit des Bischofs Imad. Und auch das ist ein sprechendes Bild: Maria als Typos der Kirche. Maria verweist uns nämlich auf die wesentliche Innenseite der Kirche: Eine Kirche in neuer Gestalt gelingt nicht mit einer selbst gemachten neuen „programmatischen Ausrichtung“, nicht mit der Neukonstruktion von Strukturen und Institutionen. Die Kirche in neuer Gestalt muss sich von innen her formen – aus einer tiefen geistlichen Innerlichkeit – dafür steht Maria: im Hören auf Gottes Wort, im sich Öffnen für seinen Willen – im Handeln aus der Erfahrung des Geistes und in einer sorgfältigen Unterscheidung der Geister öffnet sich der Weg in die Zukunft. Und der Lebensraum für diese Innerlichkeit ist der sakrale, der heilige Raum. Es braucht viel Sorgfalt und Aufmerksamkeit, um den Menschen solche „Lebensräume der Innerlichkeit“ inmitten ihrer Lebenswelt zu erhalten.
Wo wohnt Gott? Greifen wir die Frage des König Salomos aus dem Tempelweihegebet, wie wir es in der Lesung gehört haben, auf. Wohnt Gott wirklich auf der Erde? Wenn selbst der Himmel ihn nicht fassen kann, wieviel weniger dieses Haus? Schauen wir auf die letzte Schrift der Bibel, die Geheime Offenbarung. Dort wird die Frage Salomos beantwortet, denn es heißt im 21. Kapitel: „Seht die Wohnung Gottes unter den Menschen. Er wird in ihrer Mitte wohnen und sie werden sein Volk sein. Und er, Gott, wird bei ihnen sein.“
Gott wohnt tatsächlich mitten unter den Menschen. Wir finden ihn mitten im Leben der Menschen unsrer Zeit. Zugleich wohnt Gott mitten in diesem Heiligen Haus, in diesem Lebensraum der Innerlichkeit, dessen Jubiläum wir feiern. Wir finden ihn mitten im Leben der Menschen mt den Sinnen nach außen gewandt. Wir finden ihn in diesem heiligen Raum mit den Sinnen nach innen gewandt. Wenn wir in dieser doppelten Weise „Gottsucher“ bleiben, dann können die Zeiten sich ändern und neue Zumutungen uns bedrängen. Dann bleiben wir aber, was wir sein sollen: pilgerndes Gottesvolk durch die Zeit - „behütet und bedacht“ im Heute unsrer Zeit!
Amen.