Die Leidenden heute dürfen sich von ihm umarmt wissen

Gedanken aus der Predigt in der Liturgie vom Leiden und Sterben Jesu

Wegkreuz (c) UBentz
Wegkreuz
Datum:
Fr. 2. Apr. 2021
Von:
Weihbischof Udo Bentz

Jesus leidet und stirbt „mit ausgebreiteten Armen“.. Von Anfang an haben die Christen in diesen, am Kreuz ausgebreiteten Armen die Geste einer „Umarmung“ erkannt: Jesus stirbt nicht für sich, er leidet und stirbt mit uns und für uns....
- Die Leidenden heute dürfen sich von ihm umarmt wissen.
- Die Geschundenen und die Geschmähten heute dürfen sich von ihm umarmt wissen.
- Diejenigen, denen Unrecht geschieht, dürfen sich von ihm umarmt wissen...
- Diejenigen, die den Tod vor Augen haben, dürfen sich von ihm umarmt wissen.

Die ausgebreiteten Arme des sterbenden Jesus am Kreuz sind Zusage und Mahnung. Zusage an die Leidenden: Gott leidet mit uns im Leiden. Gott fühlt mit uns im Leiden. Gott ist uns nahe im Leiden. Gott solidarisiert sich mit allen, denen Leid zugefügt wird.
Die ausgebreiteten Arme Jesu am Kreuz sind Mahnung an seine Kirche, Mahnung an diejenigen, die Verantwortung tragen, Mahnung an alle, die getauft und Zeugen der gekreuzigten Liebe sind.

- Was nämlich ist die Geste der Kirche?
- nicht die Geste der Gewalt.
- nicht die Geste der Macht.
- nicht die Geste der Überheblichkeit.
- nicht die Geste der Distanz.
- Die Geste der Kirche muss die der ausgebreiteten, offenen Arme sein, die sich dem leidenden, entrechteten Menschen entgegenstreckt. Wenn Gott sich in seinem Sohn am Kreuz mit dem leidenden Menschen solidarisiert - dann ist unser Platz der an der Seite Jesu. Und das heißt: an der Seite der Entrechteten, der Geschundenen, der Leidenden, an der Seite derer, denen Unrecht getan wird.

Zu den ausgebreiteten Armen Jesu am Kreuz gehört noch ein weiterer Gedanke: Wenn unser Platz an der Seite der Leidenden ist, wenn wir uns gegen alles Unrecht und alle Gewalt stellen und uns engagieren, dann haben wir auch die Verantwortung und dürfen wir uns nicht „zu schade dafür sein“, den Finger in die Wunden zu legen, Unrecht beim Namen zu nennen und dabei nicht nur zu reden sondern auch zu handeln.
Das aber ist schwer. In der Situation, in der wir als Kirche sind, können wir nicht den Zeigefinger erheben, können wir nicht mit dem Finger auf die anderen zeigen, können wir nicht mahnende Worte sprechen - ohne uns dabei bewusst zu machen: Wenn wir den Finger erheben und auf etwas zeigen. Dann ist das notwendig und hoffentlich auch richtig - aber dabei muss uns klar sein: Wann immer ich mit dem Finger auf jemand - auf etwas - zeige, weisen immer drei Finger auf mich selbst: unser eigenes Versagen, unsere eigene Schuld, das Unrecht, das wir selbst zu verantworten haben.

Das darf ich nicht ausblenden - als Kirche nicht, als Glaubender nicht - an der Seite Jesu geht das nicht! Im Bewusstsein um die eigenen Fehler, Schwächen und das eigene Versagen stehen wir anders an der Seite der Entrechteten und Leidenden - das bewahrt vor Überheblichkeit, Selbstgerechtigkeit, Pharisäertum: Der Ton wird ein anderer, mit dem ich spreche. Die Haltung ist eine andere, in der ich mich solidarisiere. Die Geste ist eine andere, mit der ich den Finger in die Wunde lege. Im Wissen um meine Schwäche stelle ich mich an die Seite der Schwachen!

Diese Haltung vermisse ich derzeit so oft in all den erhitzten Diskussionen auf allen Seiten innerhalb und außerhalb unsrer Kirche!
In den ausgebreiteten Armen Jesu am Kreuz erkenne ich nicht nur meinen Platz an der Seite der Leidenden. Ich erkenne darin auch die ausgebreiteten Arme der Versöhnung, die Jesus mir in meiner Schuld entgegenstreckt: für unsere Sünden ist Jesus gestorben, um uns mit Gott zu versöhnen!
All das verdichtet sich um die Neunte Stunde auf Golgotha - das zu verinnerlichen, darum geht es, wenn wir das Kreuz in unsere Mitte tragen und verehren...