Fasten - wofür?

Gedanken zu Fasten und Verzicht in der Corona-Lockdown-Fastenzeit

Asche (c) Bistum Mainz/Weihbischof Bentz
Asche
Datum:
Mi. 17. Feb. 2021
Von:
Weihbischof Dr. Udo Markus Bentz

„Komm mir bloß nicht mit Fasten und Verzicht!“ Das war der Kommentar einer Bekannten, als ich ihr sagte, ich müsse meine Predigt zu Aschermittwoch vorbereiten. Ich kann das gut nachvollziehen: Ständig und in immer neuen Varianten ist von Verzicht aufgrund der Corona-Krise die Rede. Es wird uns tatsächlich viel abverlangt – im persönlichen Bereich, im gesellschaftlichen Zusammenleben. Und für viele ist der Verzicht so hart, dass ihre berufliche Existenz gefährdet ist. Und all das schon seit langer Zeit. Unsere Geduld scheint überstrapaziert.

Jetzt also auch von der Kirche die Aufforderung zu noch mehr, zu „zusätzlichem“ Verzicht in den kommenden sechs Wochen der Fastenzeit?
Eines ist uns in den vergangenen Monaten klar geworden: Verzicht um des Verzichtes willen macht keinen Sinn. Wir fragen zu Recht kritisch nach, ob der abverlangte Verzicht im Verhältnis steht zu den erzielbaren Ergebnissen. Wir fragen zu Recht, ob der Verzicht wirklich etwas bringt. Wir sind zu Recht skeptisch im Blick auf die Frage, was tatsächlich angemessen scheint. Ein Verzicht, der nichts bringt, ist sinnlos – auch der religiös motivierte Verzicht. Ein Fasten, jetzt zum Corona-Lockdown, sehen daher manche zu Recht zunächst einmal kritisch. Verzicht macht nur dann Sinn, wenn ich dadurch etwas Größeres, Sinnvolleres und Wertvolleres erreichen kann. Es geht daher nicht zuerst um die Frage: Verzicht – worauf? Sondern um die Frage: Verzicht – wofür?
Wir schließen Geschäfte und setzen deren Existenz aufs Spiel. Wir verbieten Veranstaltungen und fordern darin viel Verzicht. Wir verzichten auf Urlaub, wir beschränken die persönlichen Besuche. Und warum? Um unnötige Kontakte, Mobilität und Durchmischung zu vermeiden. Und das alles nochmals um unsrer Gesundheit willen – vor allem der besonders gefährdeten Personen wegen. Wir verzichten vorerst auf die Impfung – bis auf wenige Impfdrängler – um der besonders gefährdeten Personen wegen, weil sie Vorrang haben. Das alles ist nicht selbstverständlich. Es fordert von uns viel. Ich bin aber dankbar, dass das alles so möglich ist, auch wenn der Verzicht hier und da für manchen hart an die Grenzen geht. Es ist grundsätzlich ein gutes Zeichen gesellschaftlicher Solidarität und auch ein Zeichen eines guten Wertebewusstseins: dass es die Bereitschaft gibt, der Schwachen und Gefährdeten wegen selbst zu verzichten! Das fordert aber von allen Verantwortlichen, dass das Maß des Verzichtes ständig neu in einer sehr verantwortungsvollen Weise gegenüber Schaden und Nutzen abgewogen werden muss.
Was machen wir also in dieser österlichen Bußzeit mit der Aufforderung zu einem „Fasten, wie ich es liebe“ – wie Gott den Propheten Jesaja sagen lässt (Jes 58,6)? Fragen wir auch hier zuerst: Fasten - wofür?
Die österliche Bußzeit will uns helfen, unsere inneren Kräfte wieder neu zu bündeln, unsere Solidarität mit den Schwachen und den Gefährdeten zu stärken, uns selbst zu stärken in Glauben, Hoffnung und Liebe, sodass wir geistlich-spirituell gestärkt auf Ostern zugehen können. Die Fastenzeit will das österliche Leben in uns, das uns durch die Taufe gegeben ist, wieder neu entfachen – und das heißt: ein Leben in Hoffnung und Zuversicht, ein Leben aus der Überzeugung, dass das Leiden nicht das letzte Wort hat.
Fasten also wofür?
Werden wir uns zunächst einmal darüber im Klaren, was denn an unsrer inneren Hoffnung, an unsrem Glauben, an unserem Vertrauen und an unserer Solidarität nagt und sie zersetzt! In unserem persönlichen Leben, in der Kirche, in unsrer gesellschaftlichen gegenwärtigen Situation? Solche persönliche aber auch gemeinschaftliche Besinnung sollte in der Fastenzeit möglich sein: Was nagt derzeit an meiner Hoffnung, an meinem Vertrauen, an meiner Solidarität, an meinem Glauben?
Jeder muss da selbst seine Antwort finden, einige mögliche Ansatzpunkte will ich aufgreifen:
An unserem Vertrauen und Zusammenhalt nagt zum Beispiel so manche selbstgefällige Besserwisserei, die schon seit einiger Zeit um sich greift. Besserwisserei, die es im Nachhinein immer besser weiß, wie es anders hätte gehen müssen. Das erleben wir in vielen Corona-Diskussionen im privaten Umfeld wie in der öffentlichen Diskussion. Das erlebe ich aber auch in unsren kirchlichen Diskursen, z.B. im Bistum bei unserem pastoralen Weg, z.B. im Blick auf die Aufarbeitung der Geschehnisse um sexuellen Missbrauch, auch im Blick auf das Ringen um dem Synodalen Weg. Wäre das vielleicht ein Fasten, wie es Gott gefällt? Einmal kritisch auf sich selbst zu schauen und auf solche selbstgefällige Besserwisserei zu verzichten und stattdessen: gut zu unterscheiden, mitzudenken, Fragen zu stellen, sich so einzubringen, dass man konstruktiv Wege miteinander ausloten kann und wirklich gemeinsam Verantwortung übernimmt!
An unserem Vertrauen und unserem Zusammenhalt nagt aber auch so manche „Tut mir leid“-Formel der letzten Wochen, bei denen man merkt, dass sie doch einem gewissen Kalkül entspringen: gesellschaftlich Verantwortliche wie kirchlich Verantwortliche tragen mit dazu bei, dass das Vertrauen schwindet und Misstrauen wächst. Könnte nicht auch das ein Fasten sein, wie Gott es in dieser Zeit gefällt? Auf dünne Entschuldigungen und Beteuerungen zu verzichten und mutig auch zu Versagen zu stehen, um einer notwendig wiederherzustellenden Glaubwürdigkeit wegen?
An unserem Vertrauen und unsrer Solidarität nagen auch so manche Auseinandersetzungen, bei denen wir in unsrer Kirche doch sehr um uns selbst kreisen. Das bindet so viel Energie und Kreativität, die wir bräuchten, um gerade jetzt in der Seelsorge in besonderer und neuer Weise nah bei den Menschen zu sein. Könnte es ein Fasten sein, wie es Gott gefällt in diesen Zeiten? Auf unrealistische Erwartungshaltungen zu verzichten, die alles oder nichts fordern, wie ich es wiederum in mancher Diskussion um den pastoralen Weg in unserem Bistum aber auch in der Dynamik des Synodalen Weges erlebe? Ein Verzicht, um nicht destruktiv verhärtete Haltungen aufeinanderprallen zu lassen, um nicht das notwendige Miteinander zu gefährden, sondern gemeinsam mit Geduld Entwicklung zu ermöglichen und ihnen den Weg zu bereiten?
Angesichts der Herausforderungen in der Seelsorge während der Corona-Einschränkungen: Kann es sein, dass ein Verzicht auf manche selbstverständliche Gewohnheit in unserem seelsorgerischen Tun und unserem Gemeindeleben angezeigt ist, um jetzt die Kraft und Energie zu haben, den Menschen auf andere Weise – wie es jetzt eben möglich ist – seelsorglich nahe zu sein?
Kann es sein, dass ein Verzicht auf sensations- und skandal- und krisenhungrige Nachrichten und das Einstimmen in ein gewisses Jammern und Klagen in diesen Wochen ein Fasten sein kann, wie es Gott gefällt? Es geht nicht darum, die Augen vor der Realität zu verschließen, aber ich kann mich fragen: Was will und was muss ich wirklich wissen? Was hilft mir wirklich weiter? Verzicht um sensibel zu werden, wie anfällig und in einer gewissen Weise „lüstern“ wir für schlechte Nachrichten sind, wie schwer es dagegen gute Nachrichten haben, wirklich wahrgenommen zu werden, aber wie notwendig gerade sie sind in diesen Tagen, um Vertrauen und Zuversicht stark zu machen. Mir gefällt die Initiative unsres Nachbarbistums Limburg, für die Fastenzeit einen eigenen Blog für gute Nachrichten einzurichten!
Kann es sein, dass ein Verzicht auf wirklich Verzichtbares angezeigt ist, wenn ich sowieso nicht wie sonst die Gelegenheit habe, Geld auszugeben? Könnte ich davon etwas nehmen, um anderen zu helfen, denen es in dieser Pandemie deutlich schlechter geht als uns? Meine Begegnungen mit unseren Partnern in der Weltkirche machen mir deutlich, mit welchen Corona-Schwierigkeiten Menschen z.B. in den Ländern Lateinamerikas oder Afrikas ringen.
Man könnte diese Liste noch fortsetzen. Ich möchte Sie ermutigen, bei sich selbst nachzudenken und auf „Entdeckungsreise“ zu gehen, wie ein ganz anderer Verzicht in der Zeit des „Corona-Verzichts“ Sie stärkt und Ihnen Perspektiven eröffnet. Vielleicht ist Ihnen in den vergangenen Wochen auch deutlich geworden, worauf es Ihnen ganz schwer fällt zu verzichten. Auch dieser Frage genauer nachzugehen, kann ein Fasten sein, wie es Gott gefällt, denn darin entdecken wir, was uns wirklich wertvoll und was eigentlich unverzichtbar ist: bestimmte Menschen, zu denen mir der Kontakt fehlt; bestimmte Formen des Miteinanders auch in unsrer Kirche, die so wertvoll, jetzt aber kaum möglich sind; bestimmte Aktivitäten, die mich stabilisieren und mein Leben bereichern… wenn ich darüber nachdenke, werde ich eine Dankbarkeit verspüren können und es zurückbinden an Gott, der uns das alles schenkt…
Das ist ein Fasten, wie Gott es liebt, mitten in einem von außen auferlegten Verzicht, der uns allen viel abverlangt, das neu entdecken können, was uns wertvoll und wichtig erscheint!