Hirten hört! Die Botschaft der Engel!

Predigt von Weihbischof Bentz zur Christmette im Mainzer Dom am 24. Dezember

Hirte und Engel an der Krippe (c) Bistum Mainz
Hirte und Engel an der Krippe
Datum:
Mo. 24. Dez. 2018
Von:
Weihbischof Udo Markus Bentz
Schwestern und Brüder, an Weihnachtspredigten werden besondere Erwartungen gestellt. Sie setzen den Prediger nicht selten unter Druck: Was hat die Kirche in diesem Jahr an Weihnachten zu sagen? Welche Themen werden aufgegriffen, welche beiseite gelassen? Auf den Feldern von Bethlehem geht es zunächst einmal gar nicht ums Reden und Verkünden. Da sind die Hirten und da sind die Engel. Da sind das freie Feld und der offene Himmel. In der Weihnacht verkünden die Engel nicht die Menschen – die Hirten schweigen und hören. An Weihnachten geht es darum zu hören, was von Gott her kommt. Hirten, die hinhören! Eine Kirche, die zuhört! Das ist für mich die erste Botschaft dieser Heiligen Nacht!

Wir kommen nicht umhin, neu hören zu lernen um zuhören zu können. Das ist in den vergangenen Monaten deutlich geworden. Gott spricht auf ungewöhnliche Weise zu uns. Gott spricht zu uns auch durch das, was er uns zumutet! Wenn die Hirten auf den Feldern von Bethlehem für das Gottesvolk mit seinen Hirten stehen, dann ist die erste Botschaft dieser Heiligen Nacht: Ihr Hirten – hört! Und ich selbst nehme mich dabei nicht aus. Nur wenn die Hirten wirklich bereit sind zuzuhören und ernstzunehmen, was sie hören, können sie ihrer Verantwortung als Hirten gerecht werden. Wenn wir auf die dunklen Schatten sexualisierter Gewalt in der Kirche schauen, dann ist sehr deutlich geworden: Wirkliches Hinhören ist schwer. Man wehrt ab, weil man nicht hören will, was einem gesagt wird. Man hört weg, weil man nicht glauben kann, was da einem gesagt wird. Schnell hat man Erklärungen zur Hand, weil man nicht an sich heranlassen will, was einem gesagt wird. Zu Recht fragen uns die Menschen: Seid ihr bereit, wirklich zuzuhören? Daran werden wir gemessen.

Bei anderen Themen ist es ähnlich. Gerade die jungen Menschen in unsrer Kirche haben das Gefühl, dass man ihnen nicht wirklich zuhört. Im Zusammenhang mit der Jugendsynode haben die Jugendlichen das sehr deutlich gezeigt. Sie fühlen sich unverstanden. Papst Franziskus hat das in seinem Schlussdokument zur Synode aufgegriffen und stellt fest: „Manchmal ist man lieber mit vorgefertigten Antworten und Patentrezepten zur Stelle, anstatt die Fragen der Jugendlichen in all ihrer Neuheit zuzulassen und die in ihnen liegende Provokation zu begreifen.“ (Nr. 8)

Die Hirten der Weihnacht hören zu – zwar mit Furcht, Zittern und Schrecken, aber sie hören. Die großartige Ermutigung der Botschaft der Engel erschließt sich ihnen noch nicht gleich. Aber sie nehmen ernst, was man ihnen sagt: „Fürchtet euch nicht!“ Und sie nehmen ernst, dass ihnen Zeichen gegeben werden, die sie besser verstehen lassen, was da geschieht. Das Evangelium verkünden kann nur, wer hören gelernt hat und wer die vielfältigen Weisen und Wege kennt, durch die Gott zu seinem Volk spricht. Manchmal sind es nicht die Engel, sondern die fremden, unbequemen Propheten von außen, durch die Gott zu uns spricht! Wenn der Papst von einer hörenden Kirche spricht, geht er sogar soweit, dass er vom „Charisma des Zuhörens“ spricht, das ein wesentliches Kriterium sein könnte, jemand zum kirchlichen Dienst zuzulassen. (Vgl. Nr. 9) Denn das Zuhören können schafft „die Voraussetzungen dafür, das Evangelium so zu verkünden, dass es tatsächlich die Herzen auf einprägsame und fruchtbare Weise erreicht.“ (Nr. 8) Die Hirten auf den Feldern von Bethlehem machen es uns vor: im Hören der Botschaft der Engel nehmen sie „die Bewegung Gottes auf, der in seinem Sohn jedem Menschen entgegenkommt.“ (Nr. 6)

Das gilt natürlich nicht nur für die Hirten der Kirche. Die Hirten auf den Feldern von Bethlehem stehen für das ganze Gottesvolk. Mit den Hirten sind wir alle gemeint – und wir können nur eine hörende Kirche sein, wenn wir gemeinsam und gegenseitig aufeinander hören. Gemeinsam hören, was das Evangelium uns sagt. Gemeinsam hinhören, wie wir in der lebendigen Tradition der Kirche unseren Weg in die Zukunft gestalten können. Gemeinsam die Zeichen deuten. Uns einander in unsrer je verschiedenen Verantwortung Gehör schenken: Nur so werden wir das „Fürchtet euch nicht!“ der Engel aufnehmen können.

Die Botschaft von Weihnachten kann sich der Mensch nicht selbst geben. Wie erschließt sich den Hirten diese Botschaft? Sie sehen ein Kind. Das ist ihnen ein Zeichen. Sie sehen schlicht und einfach einen Menschen. Aber als sie das Kind sehen, klingt in ihnen nach, was sie von den Engeln gehört haben: Gott die Ehre und Friede der Erde. Gottes Ehre ist der lebendige Mensch! So hat es der Heilige Irenäus von Lyon einmal formuliert (Adv. Haer. 20,7). Die Gottebenbildlichkeit des Menschen ist Dreh- und Angelpunkt der Würde des Menschen. Wo wir nicht versuchen, dem Menschen einen Wert beizumessen, nicht zuerst auf seine Leistungsfähigkeit, nicht zuerst auf seine Herkunft, nicht zuerst auf seine Volks- oder Religionszugehörigkeit schauen, sondern ihn zuerst und in allem in seiner Würde anerkennen, da geben wir Gott die Ehre. Gott gibt sich im Menschen die Ehre – und deswegen können wir Gott auch nur die Ehre geben, wenn wir den Menschen nicht nach unseren Kategorien „passend machen“. Genau dieser Versuchung erliegen wir aber: den Menschen nämlich nach unseren eigenen Kategorien „passend haben“ zu wollen. Wer bereit ist, die Botschaft der Weihnacht zu hören, der wird den Menschen so sein lassen, wie er von Gott her gedacht ist und wie er von Gott her ins Leben gerufen ist und wie er von Gott her aus dem Leben genommen wird. Den Menschen, die Schöpfung, ja alles Leben „von Gott her“ zu erfassen, das ist die Konsequenz der Nacht von Bethlehem.

Nur: Wie ist der Mensch von Gott her wirklich gedacht? Wie ist er wirklich ins Leben gerufen? Wie wird er wirklich von Gott her aus dem Leben genommen? Da berühren wir schwierige ethische Fragen der Gegenwart. Haben wir darauf schon fertige Antworten? Jetzt kommt wiederum alles auf das Hören an, um Antwort zu finden: Hören auf das Evangelium und die lebendige Tradition der Kirche? Hören wir auf die Fragen der Menschen und das, was sie heute umtreibt? Und auch: Hören wir auf das Ringen um Erkenntnis in den Wissenschaften? – Warum entsteht der Eindruck, die Kirche höre nicht zu? Weil vielleicht manche – so Papst Franziskus - nur so tun, als hörten sie zu, aber der Auffassung sind, alle Antworten schon zu besitzen und nicht mehr zuhören und lernen zu müssen? (Schlussdokument Jugendsynode, vgl. Nr. 30)

Hüten wir uns davor, uns als Kirche selbst zu marginalisieren, indem wir nur unsere eigenen, fertigen Antworten wiederholen. Haben wir keine Angst davor, im Gespräch und im Ringen um Wahrheit mit allen gesellschaftlichen Kräften unsrer Zeit neu zu lernen, wie der Mensch wirklich von Gott her gedacht ist. Damit kommen wir nie an ein Ende.

Zu jeder Botschaft gehören Boten. Die ersten Boten der Weihnacht sind die Engel. Lassen wir uns als Hörende wie die Hirten die Botschaft von Weihnachten neu sagen. Schauen wir ehrfürchtig auf das Kind und erkennen, wie der Mensch von Gott her gedacht ist. Werden wir selbst zu Boten und machen wir uns aus dieser Heiligen Nacht auf den Weg als Boten eines Friedens, den die Welt sich nicht selbst geben kann.

Linktipp: Zum Abschlussdokument der Jugendsynode vom 27. Oktober 2018